Forum:Daten zu verkaufen

WIR

Reto M. Hilty, 59, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München. Zudem ist er Inhaber des Lehrstuhls für Immaterialgüterrecht an der Universität Zürich.

Die Politik will Daten mit Sachen gleichstellen und Informationen auf diese Weise zum handelbaren Gut machen - ein riskanter Vorstoß.

Von Reto M. Hilty

Die "Digital Economy" - auch unter Schlagworten wie Industrie 4.0, Internet der Dinge oder Big Data bekannt - beschäftigt die Politik. Im Kern geht es um die Weiterentwicklung der vernetzten Computertechnologien, an die wir uns seit dem Siegeszug des Internets vor gut 20 Jahren gewöhnt haben. "Intelligente Maschinen" revolutionieren heute fast alle Lebensbereiche und machen sie "smart" - "homes", "cities", "traffic", "factories", "medicine" und "products" aller Art.

Zu einem Symbol für die Digitalwirtschaft sind selbstfahrende Automobile geworden. Dass sie die Gemüter einer führenden Automobilbau-Nation besonders bewegen, erstaunt nicht. Eine wichtige Rolle dürfte dabei spielen, dass inzwischen neue Wettbewerber auftreten - wie IT- oder Telekom-Unternehmen. Hier steht die deutsche Industrie nicht an der Spitze. Nichts liegt daher näher, als dass die Politik darüber nachdenkt, wie sie "ihrer" Industrie den Rücken stärken kann. Diese Nähe zwischen Staat und gewissen Wirtschaftszweigen hat durchaus Tradition, geht sie zuweilen auch über ein gesundes Maß hinaus.

Zentrales Element der datengetriebenen Wirtschaft sind die Daten selbst. Diese spielen im Automobilbau schon heute eine immense und nach wie vor wachsende Rolle. Daten werden generiert, abgegriffen, transportiert, kombiniert und ausgewertet. In diese Vorgänge sind unterschiedlichste Akteure involviert - der Fahrer, der Fahrzeughalter, der Fahrzeughersteller, Zulieferer von Bauteilen und Dritte wie etwa Software- oder App-Hersteller. Eine Frage scheint damit auf der Hand zu liegen: Wem "gehören" diese Daten?

Doch müssen Daten überhaupt jemandem rechtlich "gehören"? Man mag geneigt sein, diese Frage zu bejahen, wenn Daten direkt oder indirekt mit Personen zu tun haben und Rückschlüsse auf diese erlauben. Hier greift aber das Datenschutzrecht ein - oder genauer: der Schutz von Personen vor unrechtmäßiger Verwendung von Daten, die sie betreffen. Maßgebend ist die Datenschutz-Grundverordnung der EU, die von Mitte des nächsten Jahres an europaweit einen hohen Schutzstandard vorschreibt. Allerdings geht es hier nicht um einen Schutz von Daten als Rechtsgut oder darum, solche Daten handelbar zu machen, sondern vielmehr um ein grundrechtlich gebotenes Selbstbestimmungsrecht. Mit einem Eigentumsrecht, wie es an Sachen besteht, hat es nichts zu tun.

Es ist schwer vorstellbar, Daten einzelnen Akteuren rechtlich zuzuordnen, etwa Autoherstellern

Dies möchte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nun ändern; Daten sollen Sachen gleichgestellt und damit für alle zu einem handelbaren Gut werden. Doch was nach Stärkung "wirtschaftlicher Souveränität" des Bürgers aussieht, könnte sich als sozialpolitische Sprengladung entpuppen. Denn unzählige Menschen "handeln" schon heute - oft unbewusst - mit Informationen über sich selbst, als Gegenleistung für Dienste, die sie kostenlos nutzen zu können glauben, man denke nur an Google, Facebook oder Whatsapp. Wer mit personen- oder suchbezogener Werbung bombardiert wird, erkennt eines schnell: Ein wirklich selbstbestimmter Umgang mit den "eigenen" Daten ist jenen Personen verwehrt, die nicht willens oder fähig sind, mittels oft komplizierter und zeitraubender Veränderungen der technischen Einstellungen die Freigabe "ihrer" Daten zu verhindern.

Dabei stehen wir erst am Anfang einer neuen Lebensrealität: der künstlichen Intelligenz. Sie basiert auf Daten jeglicher Art, gestützt auf Algorithmen, die automatisierte - und nicht selten diskriminierende - Entscheidungen treffen. Gerade personenbezogene Daten spielen eine zentrale Rolle. Was wäre aber gewonnen, wenn jene noch offensiver vermarktet werden können? Die "Chance", dies zu tun, dürfte vornehmlich ergreifen, wer auf solch zweifelhafte Einnahmen angewiesen wäre - oft gingen Daten an außereuropäische "Käufer", denen gegenüber sich der europäische Schutzstandard häufig nicht ohne Weiteres durchsetzen lässt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint noch ein anderes Problem umzutreiben. Nicht nur um den Fahrzeughalter geht es ihr, sondern letztlich darum, ob Daten dem Autohersteller oder einem Zulieferer (etwa von Software) gehören. Hier geht es nicht mehr nur um personenbezogene Daten, sondern auch um rein technische - auch wenn solche Abgrenzungen sehr schwierig sind. Fehlt ein Personenbezug, bleibt das Datenschutzrecht ohne Einfluss, industriespezifische Interessen treten in den Vordergrund. Diese zu verteidigen, ist für die betroffenen Industrien gewiss legitim; nicht hinnehmbar ist hingegen, wenn die Politik unreflektiert zu Hilfe eilt. Nun ist aber schwer vorstellbar, Daten einzelnen Akteuren nur innerhalb eines isolierten Bereichs, etwa der Autobranche, rechtlich zuzuordnen; manche Industrien sind eng vernetzt und wären zumindest indirekt davon berührt - man denke an Versicherungen oder Informationsdienstleister.

Bei der wohl überwiegenden Zahl von Branchen steht heute ohnehin nicht die Frage im Raum, ob und welche Daten ihnen "gehören"; denn die Möglichkeiten, Datenbestände technisch oder vertraglich abzusichern, reichen in der Regel aus. Entscheidend ist vielmehr, dass sie nicht durch Eigentumsrechte anderer vom Zugang zu wichtigen Daten ausgeschlossen werden. Ein Schnellschuss aus der Politik könnte aber genau das bewirken - noch schlimmer: Ein deutscher Alleingang könnte heimische Industrien benachteiligen. Denn wenn überhaupt etwas reguliert werden muss, verlangt ein digitaler Binnenmarkt nach europäischem Recht; der Datenverkehr kennt keine Grenzen.

Das Potenzial der digitalen Wirtschaft ist keineswegs ausgelotet - ebenso wenig sind es die Risiken. Zahllose Unternehmen tasten sich langsam vor und brauchen derzeit vor allem eines, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten: möglichst weitreichende Freiräume, damit sie sich laufend auf unvorhersehbare Entwicklungen einstellen können. Gewiss bedarf es rechtlicher Rahmenbedingungen, namentlich solcher, die europäische Grundwerte spiegeln; gerade Allgemeininteressen setzen sich nicht von selbst durch. Den Akteuren Eckwerte vorzugeben, ist genuine Aufgabe der Politik; "Eigentumsrechte" zu schaffen, ist es nicht - jedenfalls nicht, bevor klar ist, ob man sie braucht und welche Wirkungen sie entfalten würden.

Man mag verstehen, dass es weit schwerer fällt, sich durch regulatorische Zurückhaltung und Weitsicht zu profilieren - gerade im Vorfeld von Wahlen scheint Aktionismus ein Gebot der Stunde. Den Preis für fehlgeleitete Gesetzgebung zahlen aber nicht die Politiker; die Zeche ist letztlich von der Allgemeinheit zu begleichen.

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