Forschungsprojekt der Familiendynastie Quandt:"Das ist ein kathartischer Prozess"

Der Wirtschaftshistoriker Christopher Kopper, Sohn von Ex-Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper, über die Familiendynastie Quandt, die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der NS-Zeit - und seine Erfahrungen in russischen Archiven.

Interview: Melanie Ahlemeier

Christopher Kopper ist Wirtschaftshistoriker und Privatdozent an der Universität Bielefeld. Er promovierte über die "Bankenpolitik im 'Dritten Reich'" - darin wurde auch die Historie der Deutschen Bank umfangreich beleuchtet. Seine publizistischen Werke "Hjalmar Schacht - Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier" und "Bankiers unterm Hakenkreuz" wurden hochgelobt. Am Donnerstag zeigt der NDR die Dokumentation "Das Schweigen der Quandts" - in der 90-Minuten-Version. Der Film wurde nach der Entscheidung der Industriellenfamilie Quandt, ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der eigenen Familienhistorie ins Leben zu rufen, ergänzt.

Forschungsprojekt der Familiendynastie Quandt: Christopher Kopper: "Die brutale Öffnung für die familiäre Mitverantwortung im Dritten Reich ist ein radikaler Schritt."

Christopher Kopper: "Die brutale Öffnung für die familiäre Mitverantwortung im Dritten Reich ist ein radikaler Schritt."

(Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Herr Dr. Kopper, die Quandts gelten als verschwiegene Familie. Im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Familienhistorie versprechen sie Zugang zu allen Akten. Wird der Aufarbeitungsprozess umso schwieriger, je bekannter der Name ist?

Christopher Kopper: Nicht unbedingt. Auch die bisherigen Studien zur Rolle von Großunternehmen im Dritten Reich haben sich mit Handlungsmöglichkeiten, Handlungsalternativen und der Schuld von prominenten Persönlichkeiten beschäftigt. Eine gewisse Personalisierung ist nötig und sie ist natürlich bei einem familiengeführten Unternehmen noch bedeutsamer.

sueddeutsche.de: Was ist das Besondere im Fall der Familiendynastie Quandt?

Kopper: Die personale Aufladung bei dem Thema Quandt ist sicherlich höher, weil es ja um eine Familiengeschichte geht. Die meisten Studien über Unternehmen im Dritten Reich haben sich nicht mit einer Familie, sondern mit der Rolle von Managern beschäftigt. Es wird dann schwierig, wenn die Quandts dem beauftragten Historiker Einblick in den persönlichen Briefwechsel der Familie gestatten müssen, weil sich bestimmte Entscheidungsprozesse vermutlich nicht aus den Unternehmensakten rekonstruieren lassen.

sueddeutsche.de: Die Vorwürfe in der ARD-Dokumentation "Das Schweigen der Quandts" klingen wie eine Generalabrechnung: Am Geld der Quandts klebe das Blut anderer, so der Tenor. Wäre es besser gewesen, wenn sich die Unternehmerfamilie eher und von sich aus ihrer Vergangenheit gestellt hätte?

Kopper: Das wäre lobenswert gewesen. Zumal man bei der positiven Resonanz der Öffentlichkeit auf Studien zur Geschichte von Siemens, Daimler-Benz, VW oder den Großbanken gemerkt hat, was von der Öffentlichkeit erwartet wird: Sich dieser historischen Verantwortung zu stellen. Möglicherweise haben die Quandts geglaubt, dass mit der Einzahlung in den Zwangsarbeiterentschädigungsfonds der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft die Sache für sie erledigt sei. Dem ist aber nicht so. Ein öffentliches Interesse, die Rolle eines bedeutenden Familienunternehmens im Dritten Reich deutlich zu machen, besteht weiterhin.

sueddeutsche.de: Welche positiven Beispiele gibt es?

Kopper: Die Quandts hätten vom familiengeführten Unternehmen Bertelsmann lernen können. Dort waren vor einigen Jahren der renommierte amerikanische Historiker Saul Friedländer und der deutsche Zeithistoriker Norbert Frei beauftragt, die Bertelsmann-Geschichte zu schreiben.

sueddeutsche.de: Sind die Vorwürfe der ARD-Film-Autoren berechtigt?

Kopper: Dass die Quandts ihren legendären Reichtum während des Dritten Reichs begründet haben, ist meines Erachtens eine problematische, falsche Verkürzung. Ich denke, dass sie erst in der Nachkriegszeit und vor allem durch ihre Beteiligung bei BMW so reich geworden sind, die 1945 noch gar nicht bestand.

sueddeutsche.de: Will sich die Familie Quandt nun mit ihrem offensiven Vorgehen und mit dem wissenschaftlichen Forschungsprozess ein reines Gewissen verschaffen?

Kopper: Eine Reinwaschung kann man sich dadurch nicht erhoffen, auch wenn die brutale Öffnung für die familiäre Mitverantwortung im Dritten Reich ein radikaler Schritt ist. Es ist in gewisser Weise auch ein kathartischer Prozess, der von der Öffentlichkeit verfolgt wird. Die Nachkommen der Quandts sagen: Wir stellen uns im Rückblick der Verantwortung für das, was geschehen ist - auch wenn sie persönlich natürlich keine Verantwortung tragen. Ich bin mir sicher, dass die Quandts damit rechnen können, dass die Beschuldigungen, sie seien im Dritten Reich vorwiegend durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern reich geworden, relativiert werden. Die Ausbeutung von Zwangsarbeitern ist sicherlich nur eine verhältnismäßig kleine Quelle ihres heutigen Reichtums.

"Das ist ein kathartischer Prozess"

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie von der Aufarbeitung der Quandt-Geschichte durch den Historiker Joachim Scholtyseck?

Kopper: Die Produzenten der Dokumentation haben schon intensiv nach persönlichen Kontakten zu hochrangigen Repräsentanten des Regimes, vor allem zu Goebbels, Göring und Hitler, gesucht. Ich weiß nicht, ob sich da Neues herausfinden lässt. Sicherlich lassen sich die Opportunitätsüberlegungen und die taktischen und strategischen Konzeptionen der Familie Quandt während des Dritten Reiches besser verstehen. Entscheidend ist auch, welche Handlungsperspektiven Unternehmen im Dritten Reich hatten und wo sie partiell oder intensiv kollaboriert haben.

sueddeutsche.de: Zum Beispiel?

Kopper: Haben sie die Aufrüstungspolitik von vornherein unterstützt? Haben sie sich frühzeitig für die Konzentration auf Rüstungsproduktion entschieden und davon maßgeblich profitiert? Haben sie sich aktiv um die Zuweisung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen bemüht? Bei den Quandts würde ich das eher für unwahrscheinlich halten, da eine Akkumulatorenfabrik wie das spätere Unternehmen Varta Produkte hergestellt hat, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt wurden. Die Akkumulatorenproduktion profitierte zunächst von der ganz unmilitärischen Förderung der Motorisierung durch die Nationalsozialisten. Auch bei der IG Farben gab es zwei mögliche Entwicklungspfade: einen zivilen Pfad und einen rüstungspolitischen Pfad. Sicher wird die Ambivalenz ihres unternehmerischen Verhaltens und ihrer politischen Einstellung zum Regime bei einer solchen Untersuchung sehr viel deutlicher.

sueddeutsche.de: Die Quandt-Historie soll innerhalb von drei Jahren erforscht werden - reicht die Zeit?

Kopper: Das ist gemessen an anderen Untersuchungen zur Geschichte von Großunternehmen sehr knapp. Ich weiß natürlich nicht, wie umfangreich das Schriftgut der Quandt-Unternehmen ist, und ich weiß auch nicht, wie umfangreich das Quandt'sche Privatarchiv ist. Man sollte sich aber vor Schnellschüssen hüten. Scholtyseck hat sich bereits mit dem Familienunternehmen Bosch im Dritten Reich beschäftigt. Aber die Frage ist natürlich, wie viele Leute er zur Verfügung hat, um erst einmal die Basisarbeit der Sicherung und Sichtung des Archivmaterials zu übernehmen. Denn damit fängt alles an.

sueddeutsche.de: Sehen Sie ein zeitliches Problem?

Kopper: Ja, das könnte ein zeitliches Problem werden, wenn sich Herr Scholtyseck nicht beurlauben lassen kann. Er hat ja einen Lehrstuhl an der Universität Bonn.

"Das ist ein kathartischer Prozess"

sueddeutsche.de: Wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung ist nicht billig: Wie viel wird das Quandt-Projekt kosten?

Kopper: Das kann schon eine Million Euro kosten, zumal die Ergebnisse in einem angesehenen Verlag veröffentlicht werden sollten. Nichts wäre schlimmer als der Verdacht, dass man die Ergebnisse unter Verschluss halten würde.

sueddeutsche.de: Sie selbst haben für Ihre Forschungsprojekte in russischen Militärarchiven gestöbert - das dürfte nicht besonders einfach gewesen sein.

Kopper: Das ging, denn ich hatte ein Archiv-Stipendium des Deutschen Historischen Instituts in Moskau. Die Mitarbeiter hatten mir ein Empfehlungsschreiben in russischer Sprache mitgegeben. Der Archivar wusste gleich, welchen Bestand ich einsehen und zu welchem Zweck ich forschen wollte. Man hat mir die Akten vorgelegt.

sueddeutsche.de: Hatten Sie sich auch um den Quandt-Auftrag beworben?

Kopper: Ja.

sueddeutsche.de: Wie viele Bewerber gab es insgesamt?

Kopper: Das weiß ich nicht. Ich habe auch keine Rückmeldung der Familie Quandt bekommen.

sueddeutsche.de: Sie haben eine vielbeachtete und hochgelobte Biographie über Hjalmar Schacht, den zeitlebens umstrittenen Wirtschaftsminister Hitlers und Reichsbankpräsidenten, geschrieben. Inwieweit konnte er, der später von den Nürnberger Richtern freigesprochen wurde, von der kriminellen Arisierungspraxis des Regimes profitieren?

Kopper: Schacht hatte eine Galerie zu einem sehr günstigen Preis "arisiert", die während des Zweiten Weltkriegs enorme Gewinne machte. Für Kunst gab es keine Höchstpreise. Außerdem haben gerade Nazibonzen massenweise Kunst gekauft. Die Erforschung von Arisierungsfällen erfordert einige Zeit, weil dafür beispielsweise Akten der NSDAP-Kreis- und Gauleitungen, der NSDAP-Gauwirtschaftsberater, Akten der Industrie- und Handelskammern und der Bezirksregierung ausgewertet werden müssen. Der Fall Schacht zeigt ganz eindrücklich, dass man kein überzeugter Nazi sein musste, um ohne Gewissensbisse an Arisierungsgeschäften teilzunehmen und von ihnen zu profitieren. Auch in diese Richtung sollten Historiker forschen.

sueddeutsche.de: Warum konnten Banken von der Arisierung dermaßen profitieren?

Kopper: Für die Banken waren die Arisierungsgeschäfte ein Zusatzgeschäft, von denen sie vor allem von 1937 bis 1939 profitiert haben. Die Profite waren jedoch nach neuen und zuverlässigen empirischen Untersuchungen geringer als man glauben könnte. Auch die Gewinnmargen waren nicht so, dass man von einer besonders hohen Rendite sprechen könnte. Die Banken haben sich aber - weil das Bankgeschäft des Dritten Reiches nicht so boomte wie das industrielle Geschäft - gerne um diese Aufträge bemüht. Sie waren an jedem Zusatzgeschäft interessiert. Sie haben auch gewisse moralische Bedenken, dass sie ihren jüdischen Kunden dadurch schaden, relativ schnell beiseitegewischt.

sueddeutsche.de: Ein Neuanfang wurde mit der Entnazifizierung der Bankenelite nach Kriegsende nicht wirklich geschafft.

Kopper: Es gab keine Katharsis. Im Prinzip haben sich die großen Banken auch nur von den besonders exponierten, aktiven Nationalsozialisten getrennt. Der Rest machte weiter wie bisher. Die Versuche, die Schuld der Vorstände als Unternehmensorgan aufzuarbeiten, sind recht früh im Sande verlaufen. Das stellte sich als relativ undurchführbar heraus. Für die Alliierten hatte die Verfolgung der Ausbeutung von Zwangsarbeitern oder die Verfolgung von Arisierungsverbrechen absolut keine Priorität.

sueddeutsche.de: Worum ging es ihnen?

Kopper: Es ging ihnen vor allen Dingen darum, prominente Industrielle mit einer Schlüsselrolle bei der industriellen Aufrüstung des Dritten Reiches zu bestrafen, aber nicht darum, die gesamte deutsche Wirtschaftselite für ihre Mitverantwortung bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern haftbar zu machen. Das hatte in der Entnazifizierungs- und Justizpolitik der West-Alliierten gar keine Bedeutung.

sueddeutsche.de: Mehr als sechs Jahrzehnte nach Kriegsende decken Historiker noch immer unbekannte Details auf. Ist auch die Verstrickung deutscher Industriekonzerne mit dem NS-Regime ein dermaßen weites Feld, das vielleicht nie abschließend abgearbeitet werden kann?

Kopper: Ich denke, es ist ziemlich schwer, wenn man die große Zahl mittelständischer Unternehmen erforschen will, die vielfach gar keine Akten mehr besitzen, weil man sie nicht aufbewahrt hat und weil man sich keinen Archivar leisten konnte. Bei den großen Unternehmen sind wir in der Aufarbeitung sicherlich schon sehr weit. Viele Großunternehmen haben ihre Geschichte kompetent von Historikern aufarbeiten lassen. Bei den Großbanken wird sicherlich bald die letzte große Studie über die Geschichte der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank abgeschlossen.

"Das ist ein kathartischer Prozess"

sueddeutsche.de: Warum tun sich deutsche Unternehmen mit der Aufarbeitung dermaßen schwer?

Kopper: Es braucht manchmal einen gewissen äußeren Druck, damit sich eine Aktiengesellschaft und noch mehr ein familiengeführtes Unternehmen dazu entschließt. Bei Bertelsmann gab es sicherlich einen äußeren Anlass, die eigene Geschichte aufarbeiten zu lassen, denn Bertelsmann ist ein Unternehmen, das auf dem amerikanischen Markt stark engagiert ist. In dem Fall spielt die Rücksichtnahme auf die amerikanische Öffentlichkeit eine erhebliche Rolle.

sueddeutsche.de: Also kommen im Grunde genommen zwei Faktoren zusammen: der Druck der Öffentlichkeit und der zeitliche Abstand.

Kopper: Der zeitliche Abstand ist heute groß genug. Die Generation, die heute im Unternehmen Verantwortung trägt, wurde in der Nachkriegszeit geboren.

sueddeutsche.de: Was müssen Industriekonzerne bei der Aufarbeitung ihrer Historie beachten?

Kopper: Die Grundbedingung lautet: Öffnung aller Akten, bei Familienunternehmen auch der Familienakten. Außerdem müssten solche Aufträge bald vergeben werden, da jetzt noch die Möglichkeit besteht, auch die Opfer dieses Zwangsarbeitsregimes zu befragen. Hier ist man als Historiker im Wettlauf mit dem Sensenmann. Die Chance, Zeitzeugen zu befragen und damit Dinge in Erfahrung zu bringen, die man aus den Akten der Täter und Mitverantwortlichen nicht erfährt, wird es nicht mehr lange geben.

sueddeutsche.de: Sie selbst sind mit wissenschaftlichen Arbeiten über Banken und deren NS-Zeit positiv aufgefallen. Ihr Vater, Hilmar Kopper, war acht Jahre lang Chef der Deutschen Bank, außerdem Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler-Chrysler. Inwieweit ist die wissenschaftliche Analyse auch persönliche Abarbeitung familiärer Beziehungen?

Kopper: Vor mir hatte noch kaum einer seriös über Banken im Nationalsozialismus geforscht. Außerdem habe ich mir zugetraut, mich in diese komplexe Materie des Bankgeschäfts und der Bankenpolitik einzuarbeiten. Zum Dritten habe ich mich meiner Mitverantwortung als Wirtschaftshistoriker erinnert. Von meinem Vater bin ich immer ermutigt worden. Er hatte 1988 zum ersten Mal gesagt, dass man die Geschichte der Deutschen Bank während des Dritten Reiches aufarbeiten sollte. Der Vorstand hat sich 1989 entschlossen, einen Forschungsauftrag zur Geschichte des ganzen Unternehmens in Auftrag zu geben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: