Forschung zu Waffenexporten:Einfach skrupellos

Das Geschäft mit Rüstungsgütern lohnt sich, darum wird bei vielen Deals bestochen. Doch wer rüstet auf? Wer ab? Ein Besuch bei den Friedensforschern von Sipri.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Die Zahlen von Pieter Wezeman zeigen, wie sich die Gewichte auf der Welt langsam verschieben. Wezeman ist Forscher am Sipri, dem Stockholmer Institut für Friedensforschung. Seine Aufgabe ist es, Waffen und andere Rüstungsgüter zu zählen, die weltweit gehandelt werden. Im kleinen Besprechungsraum des unscheinbaren, weißen Sipri-Gebäudes im Stockholmer Vorort Solna sitzt Wezeman mit einem Tee in der Hand und erläutert große Zusammenhänge. Sie sollen verdeutlichen, wie Rüstungsindustrien unter Druck geraten, warum Exportregeln aufgeweicht, Amtsträger bestochen und Waffen an Länder geliefert werden, bei denen zumindest fragwürdig ist, ob sie die Menschenrechte achten.

Das Sipri nutzt dafür nur öffentlich zugängliche Quellen. Wezeman kann nicht sagen, ob ehemalige Bundestagsabgeordnete womöglich in einen Bestechungsfall verwickelt waren, bei dem deutsche Panzer nach Griechenland verkauft wurden. Aber er sagt, dass schon immer die Frage gewesen sei, wozu Griechenland eigentlich so viele Waffen, so viele Panzer brauche. "Das ergab keinen Sinn. Der Gedanke, dass da Bestechung im Spiel ist, ist nicht neu."

Eine andere Frage: Kann Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) umstrittene Rüstungslieferungen nach Algerien und Saudi-Arabien wirklich nicht mehr stoppen, wenn die Vorgänger-Regierung sie bereits genehmigt hat? Wezeman weiß es nicht. Er fragt: "Warum braucht Saudi-Arabien überhaupt all diese hochentwickelten Waffen?" Iran, das immer als potenzielle Bedrohung angeführt wird, stehe unter Embargo und sei nicht in der Lage aufzurüsten. "Wenn der Westen all diese Rüstung an Saudi-Arabien verkauft, untergräbt dies dann nicht eine Konfliktbewältigung in der Region?"

Europa und Nordamerika rüsten ab - alle anderen Staaten auf

Wezemans Zahlen zeigen, vereinfacht gesagt, vor allem eines: Europa und Nordamerika rüsten ab, der Rest der Welt rüstet auf. Genau hier liegt das Problem der hiesigen Rüstungsindustrie. Wenn die Armeen ihrer Heimatmärkte keine Waffen mehr brauchen, müssen sie neue Abnehmer finden. Deutschland ist den Sipri-Zahlen zufolge immer noch drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Gleichzeitig haben die europäischen Staaten von Anfang 2009 bis Ende 2013 ein Viertel weniger Rüstung importiert als in den fünf Jahren zuvor. Die USA sind zwar immer noch mit Abstand das Land, das am meisten Geld für seine Streitkräfte ausgibt. Nach Ende des Irakkrieges und mit dem beginnenden Rückzug aus Afghanistan haben sie jedoch vergangenes Jahr 7,8 Prozent weniger investiert als 2012. Saudi-Arabien dagegen hat seine Waffenimporte stark erhöht und ist nun fünftgrößter Einkäufer der Welt - nach Indien, China, Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Eine weitere Herausforderung: Die neuen Abnehmer streben danach, eine eigene Industrie aufzubauen. "China als neuer Exporteur und Russland mit neuen Technologien drängen mit ihren Produkten und massiver politischer Unterstützung auf den Weltmarkt", sagt Christian-Peter Prinz zu Waldeck, Geschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). "Dadurch verschärft sich der weltweite Wettbewerb." Die Sipri-Zahlen belegen das: China konnte seinen Anteil an weltweiten Waffenlieferungen in den vergangenen fünf Jahren verdreifachen, steht jetzt an vierter Stelle der wichtigsten Exporteure. Russland, auf Platz zwei, hat deutlich zum Spitzenreiter USA aufgeholt.

Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan

Warten auf den Abtransport: 200 Panzer und Spezialfahrzeuge wurden aus Afghanistan in die Türkei gebracht. Von dort ging es zurück nach Deutschland.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

"China und Russland werden auch politisch bedeutsamer. Es ist eine Verschiebung der globalen Sicherheitsarchitektur", sagt Michael Brzoska, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Besorgniserregend findet er das nicht, noch nicht.

"Wo ein Staat Skrupel hat, zu liefern, springt ein anderer ein"

Besorgniserregend ist allerdings, was der Wettbewerb mit sich bringt. "Mehr Verkaufsdruck führt zu mehr Anreiz zu Korruption und niedrigeren Preisen oder besserem Zugang zu avancierter Waffentechnologie", sagt Sipri-Forscher Wezeman. Es werde attraktiver und einfacher, Waffen zu kaufen. "Manche Staaten, bei denen man klar infrage stellen muss, ob sie demokratisch sind und die Menschenrechte respektieren, bekommen Zugang zu Rüstung." Beispiele fallen ihm genug ein. Algerien sei ein wichtiger Kunde für die deutsche Rüstungsindustrie geworden, allein in diesem Jahr hat es bereits Waffen im Wert von 30 Millionen Euro aus Deutschland erhalten. Ägypten kaufte 2012 weiterhin gepanzerte Fahrzeuge aus Frankreich und zumindest Teile für gepanzerte Fahrzeuge aus Deutschland ein, obwohl das Militär im Jahr zuvor Demonstrationen auch mithilfe von Panzern gewaltsam niedergeschlagen hatte.

"Wo ein Staat Skrupel hat zu liefern, springt ein anderer Staat ein", sagt Wezeman. Als beispielsweise die USA zögerten, Cruise-Missiles nach Südkorea zu liefern, bot stattdessen ein deutsch-schwedisches Konsortium Südkorea den Marschflugkörper Taurus an. Hinzu kommt, dass Waffengeschäfte durch den Vorstoß auf neue Märkte häufig noch intransparenter werden. In Indien beispielsweise, das als größte Demokratie der Welt gilt und derzeit mit Abstand auch weltweit größter Waffenimporteur ist, sei Korruption weit verbreitet, sagt Politikwissenschaftler Brzoska. "Die großen Rüstungsgeschäfte, die in Indien zu Skandalen geführt haben, waren mit westlichen Firmen."

In nichtdemokratischen Ländern ist die Korruptionsgefahr noch höher. Beispiel Saudi-Arabien: "Dort wissen wir gar nichts Offizielles, der Beschaffungsprozess ist komplett verschlossen", sagt Wezeman. Völlig überraschend sei es etwa gewesen, als die kanadische Firma General Dynamics Land Systems Anfang des Jahres einen Großauftrag im Wert von mehr als zehn Milliarden kanadischen Dollar ankündigte: Saudi-Arabien hatte eine unbekannte Anzahl gepanzerter Fahrzeuge bestellt. "Die Saudis wollten nicht, dass die Kanadier sie überhaupt als Kunden erwähnen. Es ist ihnen wohl so herausgerutscht", so Wezeman.

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Saudi-Arabien bemüht sich seit Jahren auch um Leopard-2-Panzer des deutschen Herstellers Krauss-Maffei Wegmann, zuletzt über einen spanischen Koproduzenten. Man wisse nicht einmal, um wie viele Panzer es gehe, vielleicht 200, vielleicht 800, sagt Wezeman. "Es kursieren verschiedene Zahlen." Etwas anderes dafür ist sicher: Panzer der Größe des Leopards sind bereits gegen Demonstranten und in Bürgerkriegen eingesetzt worden, etwa in Syrien, Ägypten, Bahrain. Der Golfstaat Katar, Nachbar Bahrains, hat mindestens 62 deutsche Panzer gekauft.

Ein Waffenembargo gegen Russland würde Frankreich Milliarden kosten

Die deutsche Waffenlobby macht sich über andere Dinge Sorgen - etwa über die Ankündigung von Sigmar Gabriel, Waffengeschäfte zukünftig strenger zu beurteilen. "Die Entwicklung hier in Deutschland hin zu noch restriktiveren Ausfuhrbestimmungen bei Rüstungsexporten gibt Anlass zur Besorgnis", sagt BDSV-Chef Prinz zu Waldeck. "Ohne zusätzliche Aufträge im Inland bei einer zukünftig noch restriktiveren Rüstungsexportgenehmigungspraxis ist der Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und ausgewählter industrieller Fähigkeiten in Deutschland gefährdet."

Das sieht Christian Mölling, zuständig für Sicherheitspolitik bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, ähnlich. "Die Auftragsbücher sind noch für sieben bis zehn Jahre gefüllt, danach müssen wir uns überlegen, wie es weitergeht mit der europäischen Rüstungsindustrie." Mölling sieht drei Optionen: Entweder schaffen es europäische Konzerne in Zukunft gemeinsam Rüstung zu produzieren. Der Konzern Airbus, der das Kampfflugzeug Eurofighter baut, ist ein Beispiel für eine solche Kooperation mehrerer EU-Staaten. Doch auch er will Stellen im Rüstungsbereich streichen. Die beiden anderen Möglichkeiten für europäische Waffenschmieden sind, aus Europa wegzuziehen oder sich auf andere Produkte zu konzentrieren.

An der Flaute auf dem europäischen Rüstungsmarkt wird auch die Ukraine-Krise wenig ändern. Einige europäische Staaten werden ihren Verteidigungsetat überdenken, Polen und Schweden beispielsweise. Doch insgesamt wird Europa nicht wesentlich mehr für Rüstung ausgeben, schätzen die Experten. Sie rechnen zudem mittelfristig mit einem Waffenembargo gegen Russland. Bisher wehrt sich vor allem Frankreich noch dagegen: Die Russen hatten 2011 zwei französische Schiffe der Mistral-Klasse bestellt, große Schiffe, die als Hubschrauberträger dienen können. Ein Embargo könnte für Frankreich daher zu diesem Zeitpunkt einen Milliardenverlust bedeuten.

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