Smartphone-Tarife für Flüchtlinge:Lukrativer Draht in die Heimat

Migrants in FYROM

In der Not haben die wenigsten Migranten Zeit, sich nach der Ankunft in einem neuen Land um die Auswahl eines günstigen Tarifs zu kümmern.

(Foto: dpa)
  • Tausende Flüchtlinge strömen in diesen Tagen nach Deutschland.
  • Für Mobilfunkanbieter wie Lycamobile sind diese Menschen als Kunden sehr attraktiv.
  • Lycamobile und andere Anbieter werben teils aggressiv um Migranten.

Analyse von Vivien Timmler

Seit zwei Stunden wartet Iqbal Ghubar vor den Toren der Erstaufnahmeeinrichtung im hessischen Gießen. Noch etwa 200 Flüchtlinge stehen vor ihm in der Schlange, erst dann ist der junge Afghane an der Reihe. Plötzlich taucht links von ihm ein grün-blauer Wagen auf. Heraus ragt ein großer Sonnenschirm, auf der Fläche liegen Verkaufskataloge für Handytarife. Es ist ein fahrbarer Stand des Mobilfunkanbieters Lycamobile. Der geflüchtete Afghane ist der ideale Kunde für Unternehmen, die auf einen neuen Milliardenmarkt hoffen, der zurzeit weltweit enorm wächst. Neue Firmen wie Lycamobile stürmen in eine Nische, die die traditionellen Telekommunikationskonzerne nicht besetzen - und werben aggressiv um die Zielgruppe der Migranten.

Lycamobile ist nach eigenen Angaben der weltweit größte virtuelle Netzbetreiber. Die britische Firma hat also kein eigenes physisches Netz, sondern nutzt in Deutschland die Frequenzen von Vodafone und bezahlt den Konzern dafür. Lycamobiles Werbung richtet sich an Migranten, die häufig russische, türkische oder südafrikanische Nummern anrufen. Sie wollen mit Verwandten telefonieren. Ähnlich die Flüchtlinge. Für sie sind Smartphones mit mobilem Internet das wichtigste Hilfsmittel auf der Flucht. Die Fachwelt nennt diese Zielgruppe Ethno-Kunden.

Der deutsche Mobilfunkmarkt ist eigentlich gesättigt. Es gibt in Deutschland mehr Handynummern als Menschen. Das Geschäft mit Ethno-Tarifen sei einer der wenigen Bereiche, die noch wachsen, sagt Falko Hansen vom Fachmagazin teltarif.de. Die Erwartungen sind hoch: Allein in Deutschland gibt es bereits eine potenzielle Zielgruppe von 16,4 Millionen Migranten, das ist jeder fünfte Einwohner. Derzeit kommen Tausende Flüchtlinge dazu.

"Das ist ein spezieller Markt, der wiederum ein spezielles Vorgehen erfordert"

Lycamobile hat mit seinen Prepaid-Tarifen bereits 14 Millionen Kunden in 19 Ländern und macht damit nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Vodafone macht in Deutschland mit etwa 31 Millionen Mobilfunkkunden etwa 6,2 Milliarden Euro Umsatz. Zu den großen Anbietern zählen in Deutschland auch Ortel Mobile, Star World und Lebara. Die Firmen wissen, dass sie ihre Kunden anders ansprechen müssen. "Das ist ein spezieller Markt, der wiederum ein spezielles Vorgehen erfordert", sagt Gordon Röber. Er gehört zur Geschäftsführung von Ortel. Die Firma wirbt im Internet unter anderem auch auf Türkisch, Russisch und Bulgarisch. Ortel ist Teil des Telefónica-Konzerns, bekannt unter den Marken O2 und E-Plus.

Viele Anbieter setzen vor allem auf Prepaid-Angebote. Dabei muss erst ein Guthaben eingezahlt werden, das dann zum Telefonieren oder Surfen genutzt werden kann. Es fallen also nicht mehr Kosten an, als Guthaben eingezahlt wurde. Viele einkommensschwache Menschen bevorzugen solche Tarife. Kunden müssen laut Gesetz ihre persönlichen Daten hinterlegen, um eine Sim-Karte mit Prepaid-Guthaben zu kaufen. Flüchtlinge können also auch eine Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorweisen.

Vertragskunden sind lukrativer

Telekom und Vodafone, zwei Größen der Branche, umwerben das wachsende Segment kaum - absichtlich. Migranten und Flüchtlinge gehörten nicht zur Kernzielgruppe, sagt ein Sprecher der Deutschen Telekom. Der Konzern setzt wie Wettbewerber Vodafone darauf, bei den virtuellen Netzbetreibern mitzuverdienen, anstatt selbst spezielle Ethno-Tarife anzubieten. Indem sie Frequenzen an Firmen wie Lycamobile vermieten, können die Konzerne ihre Netze besser auslasten. Außerdem sind Vertragskunden im Schnitt lukrativer als Prepaid-Nutzer. Die günstigen Angebote der Nischenanbieter füllen also die Restkapazitäten der Mobilfunknetze.

Die Verbraucherzentralen beobachten den neuen Markt - und stellen fest, dass manche Verkäufer Migranten und Flüchtlingen von schnellen Vertragsabschlüssen überzeugen wollen. "Manche Vermittler sind gerade bei Nichtmuttersprachlern auf schnelle Abschlüsse aus, um Provisionen zu kassieren", sagt Eva Bell, die Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Berlin. "Vollständigkeit und Transparenz der Angebote ist da leider oft zweitrangig." Auch seien die Tarife mitunter verwirrend.

Verbraucherschützer empfehlen Prepaid-Tarife ohne Mindestlaufzeit

"Auf den ersten Blick sind die Angebote wie maßgeschneidert für Migranten und Flüchtlinge", sagt die Verbraucherschützerin. Doch oft müssten Minutenpakete, beispielsweise 200 Minuten für fünf Euro, innerhalb eines Monats abtelefoniert werden - danach verfällt die Gesprächszeit. "Darüber wird nicht hinreichend informiert", so Bell. "Das ist gerade für Flüchtlinge, die unsere Sprache nicht sprechen, schwer zu durchschauen." Sie empfiehlt Flüchtlingen Prepaid-Tarife ohne Mindestlaufzeit, mit denen sie sich dann in Wlan-Netzwerke einwählen können.

Genauso macht es Iqbal Ghubar aus Afghanistan in Gießen. Er und seine Freunde verbringen viel Zeit bei kostenlosen Wlan-Hotspots oder in Internetcafés. "Das geht schließlich auch ohne viel Guthaben auf der Prepaid-Karte."

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