Flüchtlinge:Das Nachtquartier

Viele Messen haben ihre Hallen bereitgestellt, um Flüchtlinge aufzunehmen. Doch nun beginnen überall die Herbstveranstaltungen. Manche Städte gehen daher ungewöhnliche Wege.

Von Kristina Läsker

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Woche für Woche fallen in Deutschland die Temperaturen, und das verschärft die Sorge, die täglich bis zu 10 000 neu ankommenden Flüchtlinge nur noch in Zelten beherbergen zu können. "Alle haben von Deutschland geschwärmt", erzählte eine aufgebrachte Afghanin jüngst einem Radio-Reporter. "Aber tatsächlich ist es eine kalte Hölle." Sie ist nicht die Einzige, die friert. Im Oktober mussten an vielen Orten Menschen im Freien übernachten, weil kurzfristig feste und warme Unterkünfte fehlten. Denn die verantwortlichen Politiker haben jetzt ein Problem. Noch im Sommer hatten sie die Ankömmlinge häufig in Messehallen gesteckt. Doch damit ist es jetzt vielerorts vorbei. Mit dem Beginn der Herbstmessen mussten etliche Flüchtlinge verlegt werden, und das verschärft die Not.

Etwa in Hamburg. Anfang August hatte die Innenbehörde etliche Flüchtlinge auf dem Gelände der Messe mitten in der Stadt einquartiert. Bis zu 1200 Menschen schliefen in der 13 000 Quadratmeter großen Halle B6. Ende September schließlich musste diese provisorische Erstaufnahme-Einrichtung weichen für die Hanseboot. Die internationale Bootsmesse startet Ende Oktober. Eine gute Woche lang werden dann Segelboote und Yachten statt Feldbetten in der größten Messehalle der Hansestadt zu sehen sein.

Notunterkunft für Flüchtlinge in der Messe in München, 2015

In einer Messehalle in München-Riem fanden Flüchtlinge im September eine Übergangsunterkunft.

(Foto: Florian Peljak)

Doch der Umzug hat extremen Ärger beschert: Die Stadt brachte etliche Flüchtlinge stattdessen in einem einstigen Baumarkt im Stadtteil Bergedorf unter - und das war zu viel für viele bereits gestresste Asylsuchende. Zwischen einer Gruppe von Syrern und Afghanen kam es zu einer Massenschlägerei. Zuvor waren bereits 100 Menschen aus Protest gegen die neue Unterkunft in den Hungerstreik getreten. Sie waren empört über schmutzige Böden, schlechte Luft und fehlende Betten. Inzwischen hat die Stadt nachgebessert und sucht händeringend nach neuen Unterkünften. Ein Zurück auf das Gelände der Messe werde es voraussichtlich nicht geben, sagt eine Sprecherin der Hamburg Messe und Congress GmbH. "2016 ist ein messestarkes Jahr, das dürfte schwierig werden."

Ähnlich ist die Lage in München: Anfang September, als täglich Tausende Flüchtlinge mit den Zügen aus Österreich eintrafen, hatte die Messe München kurzerhand auf Bitten der Regierung von Oberbayern vier Hallen zur Verfügung gestellt. In zwei Hallen schliefen bis zu 3000 Menschen pro Nacht, insgesamt waren es gut 17 000 Menschen. In den zwei anderen kamen die Essensausgabe und die Spenden unter. Die Messe diente als Verteilzentrum: "In der Regel waren die Flüchtlinge eine Nacht lang da", sagt der Sprecher der Messe München. Das Ganze sei friedlich verlaufen: "Es hat keine Zwischenfälle gegeben." Münchens Messe-Chef Klaus Dittrich spricht von einer "sehr entspannten Atmosphäre".

Messewirtschaft

Verantwortlich: Peter Fahrenholz

Redaktion: Katharina Wetzel

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Für die Veranstalter war es dennoch herausfordernd: Denn nebenan fand gleichzeitig die Iba statt, eine Fachmesse für Bäcker und Konditoren. Es waren extrem unterschiedliche Realitäten: hier Verpflegung für viele Tausend Menschen, dort kulinarische Leckereien. Die Messe hatte beide Welten getrennt: "Die haben von einander nichts mitbekommen", sagt der Sprecher. Es gab aber einen positiven Nebeneffekt. Von der Iba wurden Backwaren für die Versorgung der Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Trotzdem war nach gut drei Wochen Schluss, weil weitere Fachmessen anstanden. "Wir brauchten die Hallen." Auch in Hannover sind die Flüchtlinge nach mehreren Monaten wieder umquartiert worden, sie mussten der Verbrauchermesse Infa weichen. Seit Anfang August hatten etwa 280 Ankömmlinge in der Halle 21 geschlafen, damit ist es nun vorbei. Doch die Deutsche Messe AG will ein zweites Mal einspringen: Von Dezember bis Mitte März werde erneut eine Erstaufnahme für Männer eingerichtet, sagt ein Sprecher der Deutschen Messe AG. "Wir hätten dann doppelt so viel Platz wie in der Halle 21." Bei diesem zweiten Angebot müssen die Aussteller mitziehen: Einige werden an anderen Plätzen untergebracht als in den Vorjahren. Mitte März soll dann definitiv Schluss sein mit der Flüchtlingshilfe. Weil die großen Messen kommen und vorbereitet werden müssen: erst die weltweit größte Computermesse Cebit und später dann die Hannover Messe Industrie.

Um die Suche nach Massenunterkünften dauerhaft zu erleichtern, ist die Stadt Hannover jetzt einen ungewöhnlichen wie auch teuren Weg gegangen. Sie hat kurzerhand den Deutschen Pavillon auf dem benachbarten Expo-Gelände gekauft und geschätzt knapp 5,5 Millionen Euro ausgegeben. Wo im Jahr 2000 zur Weltausstellung in Hannover einst Skulpturen und Büsten bekannter Deutscher standen, sollen nun künftig bis zu 600 Asylsuchende unterkommen. Mehr Symbolpolitik geht nicht. Doch so friedlich es in den Unterkünften auf den Messegeländen vielfach geblieben ist, so sorgenvoll haben viele Betreiber zuletzt nach Leipzig geschaut. Auf dem dortigen Messegelände hatten sich Ende September etwa 200 Syrer und Afghanen geprügelt. Anlass der Massenschlägerei war vermutlich die Bedrohung eines Mädchens aus Syrien durch einen Afghanen. Laut Polizei waren die Menschen mit Latten, Tischbeinen, Bettgestellen und Ästen bewaffnet aufeinander losgegangen. Nach dem Streit campierten dann mehr als 150 Flüchtlinge außerhalb der Halle, aus Angst vor neuer Gewalt. Schauplatz dafür war die Messehalle 4, eine von drei Erstaufnahme-Einrichtungen des Freistaates in Leipzig. In dem Gebäude leben seit Anfang September insgesamt 1800 Menschen auf engstem Raum. Inzwischen haben die Verantwortlichen in Leipzig auf die Spannungen reagiert. Bis Mitte Dezember müssen die Asylsuchenden auf die benachbarte Freifläche in winterfeste Quartiere umziehen. Das soll nicht nur Platz schaffen für die kommenden Ausstellungen, es soll auch den sozialen Frieden erhöhen: Die neuen Quartiere würden über deutlich kleinere Unterbringungseinheiten verfügen, um Familienverbände stärker zu berücksichtigen und die Privatsphäre zu erhöhen, verspricht der Sprecher der Messe.

Vielleicht hätten sie nach Hannover schauen sollen, um den Stress zu vermeiden. Denn auf dem Messegelände in Niedersachsen waren bewusst nur Männer untergebracht worden, keine Frauen und Kinder. In der Halle 21 standen Zelte für jeweils zehn Menschen, anders als in Hamburg oder Leipzig herrschte keine qualvolle Enge. Zwischen den Zelten in der Hallenmitte habe es einen Sozialbereich mit Tischen und Bänken gegeben und nebenan ein Sanitärcontainer samt Duschen und Waschmaschinen, erzählt der Sprecher. "Das lief sehr entspannt."

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