Flightradar24:Alle Flugzeuge der Welt auf einen Blick

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Ein Screenshot der Internetseite flightradar24.com (Foto: Screenshot: SZ)

Mit der App Flightradar24 kann man jedes Flugzeug im Himmel live mitverfolgen. So sieht man ständig, wo sich befreundete Reisende gerade befinden - oder der Papst.

Von Silke Bigalke

Nach dem Absturz dauerte es nicht lange, 20 Minuten vielleicht, sagt Fredrik Lindahl, dann meldeten sich die französischen Behörden bei ihm. Es ging um den Germanwings-Flug 9525, kurz zuvor war die Maschine mit 150 Menschen an Bord in den französischen Alpen zerschellt. Fredrik Lindahl ist Chef der schwedischen Firma Flightradar24, die Flugdaten von Passagierflugzeugen weltweit sammelt und ins Internet stellt.

Auch nach dem Absturz der Germanwings-Maschine im März 2015 veröffentlichte sie Details über den Flug von Barcelona nach Düsseldorf: Der war in einer Höhe von 38 000 Fuß, 11 500 Metern, auf gewohnter Route unterwegs. Um 10.31 Uhr begann die Maschine zu sinken, um 10.40 Uhr empfing Flightradar24 das letzte Signal. Eine Karte zeigt online den Flugweg an und eine Grafik die Flughöhe.

Die Menschen schauen, woher ihre Liebsten fliegen - oder der Papst

Dezember 2016: Gemeinsam mit Mikael Robertsson, dem Gründer des Unternehmens, sitzt Fredrik Lindahl im neunten Stock eines Bürogebäudes im Stockholmer Zentrum. Draußen ist es schon dunkel, nachmittags um drei. Flightradar24 sammelt die Daten von täglich 160 000 Flügen, in Form kleiner gelber Flieger schieben sie sich auf der Internetseite über eine Landkarte. Dort kann man dem internationalen Flugverkehr live zuschauen oder eine bestimmte Maschine online auf ihrer Reise begleiten. Viele nutzten das, wenn ein geliebter Mensch an Bord sei, sagt Gründer Robertsson. Besonders beliebt sei auch, dem Papst zu folgen.

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Oder Fußballtrainer Jürgen Klopp - sein Flug zum Arbeitsantritt beim FC Liverpool gehörte im Jahr 2015 mit 35 000 Zuschauern zu einer der meistverfolgten Reisen. Ihre Internetseite habe etwa 1,3 Millionen Besucher am Tag, sagt Robertsson. Dazu kommen die Nutzer der Flightradar-App mit quasi denselben Informationen wie die Webseite.

Die kostenpflichtige App hat einen Bonus: Damit muss man sein Handy nur auf ein Flugzeug am Himmel richten und es zeigt an, um welchen Flug es sich handelt.

Die Daten liefern Erklärungsansätze, noch bevor die Black Box gefunden wurde

Flightradar24 ist längst auch Anlaufstelle, wenn ein Flugzeug abstürzt oder vermisst wird. Dann bitten Regierungen und Behörden die Schweden um Auskunft. Bei kleineren Maschinen hätten sie schon geholfen, die Absturzstelle zu finden, sagt Mikael Robertsson. Bei größeren Katastrophen gehe es oft eher darum, möglichst früh zu verstehen, was passiert ist - noch bevor die Black Box gefunden wurde. So war es auch beim Unglücksflug von Germanwings. Die Schweden konnten aus den Daten herauslesen, dass die Maschine sank, nachdem jemand den Autopiloten um 10.31 Uhr manuell auf knapp 30 Meter Flughöhe eingestellt hatte. Er habe das der BEA, der französischen Untersuchungsbehörde für Flugunfälle, sofort weitergegeben, sagt Fredrik Lindahl. Ins Netz habe er es vorerst nicht gestellt. "Wir haben die Autopilot-Daten zurückgehalten bis die Behörden selber angedeutet haben, dass es Selbstmord sein könnte."

Mikael Robertsson hat Flightradar24 fast zufällig erfunden. Vor zehn Jahren betrieb er gemeinsam mit einem Freund eine Preisvergleichsseite für Flugtickets. Damit mehr Menschen diese Seite verlinkten, suchte er nach lustigen Ideen. Er fand eine britische Firma, die kleine schwarze Boxen verkaufte, um Daten von Flugzeugen zu empfangen. Mikael Robertsson und sein Freund stellten je einen dieser Empfänger auf ihr Dach in Stockholm und wussten nun, welche Flugzeuge über ihren Häusern kreisten. Die Daten stellen sie auf ihre Preisvergleichsseite, und weil sie so beliebt waren später auf eine eigene Seite.

Bald meldeten sich Leute aus Göteborg, aus Stavanger in Norwegen und aus Polen, die selbst einen solchen Empfänger hatten und ihre Daten zu Mikael Robertsson nach Stockholm schickten. Jemand schrieb ihm eine Software, mit der er die Informationen aus den drei Ländern auf einer Online-Landkarte zusammenfügen konnte. Dort begannen sich die kleinen gelben Flugzeuge langsam zu bewegen, zunächst nur einmal pro Minute.

Bei Robertsson meldeten sich immer mehr Luftfahrt-Enthusiasten mit Empfängern, im Jahr 2010 konnte Flightradar24 fast ganz Europa abdecken. Im April 2010 brach der isländische Vulkan Eyjafjallajökull aus und seine Asche legte den Flugverkehr über Europa lahm. Am ersten Tag der Aschewolke besuchten vier Millionen Menschen die Seite von Flightradar. "Danach haben wir angefangen uns mehr darauf zu konzentrieren", sagt Robertsson. Im Jahr 2012 kam Fredrik Lindahl als Geschäftsführer dazu, 2013 verkauften sie die Preisvergleichsseite und steckten den Erlös in die Flugübersicht.

Flightradar24 nutzt verschiedene Quellen, vor allem aber das ADS-B Signal, also das Automatic Dependent Surveillance-Broadcast. Flugzeuge senden es aus. Bei neuen Maschinen gehört ein ADS-B-Transponder zur Standardausstattung, darüber senden sie ständig ihre Position, Flugnummer, Geschwindigkeit, Flughöhe und andere Daten, die für die Flugsicherung wichtig sind. Jeder, der einen Empfänger hat, kann die Informationen frei abschöpfen.

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Menschen bewerben sich, um Empfänger aufstellen zu dürfen

Flightradar24 hat heute ein Netzwerk mit 12 000 Empfängern. Seit 2012 lässt es die eigens anfertigen und verschickt im Schnitt 50 pro Woche an Menschen in aller Welt. Die haben sich bei der Stockholmer Firma darum beworben, die kleinen schwarzen Boxen auf ihr Dach zu stellen. Bei guten Bedingungen haben sie eine Reichweite bis zu 400 Kilometern.

"Die Logistik ist definitiv interessant, wenn wir versuchen, diese Hardware in abgelegene, exotische Länder zu bekommen", sagt Fredrik Lindahl. In dieser Woche war zum Beispiel eine Bewerbung aus dem Kongo dabei. Den ersten Empfänger für den Iran haben sie damals nach Weißrussland geschickt, dort hat ihn jemand abgeholt. Iran ist inzwischen kein Problem mehr, Nordkorea hingegen immer noch schwierig.

Wenn Behörden oder Regierungen sie bitten, Flüge nicht anzuzeigen, Regierungsmaschinen etwa oder Polizeihubschrauber, halten sich die Schweden daran. "Das war alles immer ziemlich geradeheraus", sagt Lindahl. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns je hätten fragen müssen, wo wir moralisch stehen."

Ihre Daten verkaufen sie auch an Fluggesellschaften und andere Unternehmen der Luftfahrtindustrie, die Lufthansa gehöre zu ihren Kunden genauso wie das Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Die meisten Fluggesellschaften haben keine Idee, wo ihre Flugzeuge gerade fliegen", sagt Robertsson. Diese Information liefern ihnen Flightradar24 oder ähnliche Dienste.

Meere und Ozeane sind schwierig abzudecken

Doch auch Flightradar24 hat Lücken, vor allem über den Ozeanen. Ihre Empfänger können sie bisher nur auf Inseln verteilen. Ein Flugzeug, das von Südamerika nach Europa fliegt, verschwindet zwischendurch. Im Herbst haben sie deshalb einen Empfänger auf einem Wellengleiter installiert. Das ist ein unbemanntes Boot, das durch Wellen- und Solarenergie angetrieben wird und aussieht wie ein Surfbrett. So hat es der Empfänger fast bis zur Insel Jan Mayen geschafft, die liegt 500 Kilometer nördlich von Island.

"Abdeckung ist unser Kernfokus", sagt Fredrik Lindahl. Die Empfängerdichte unterscheide sie von ähnlichen Seiten wie Flightaware und Flightstats. Bisher konnten sie ihr Netz mit eigenem Geld ausbauen, es hätten aber auch schon einige Investoren angeklopft, sagt Lindahl. Seine Firma hat mehr als 30 Mitarbeiter und macht Gewinn, 3,6 Millionen Euro vor Steuern, 7,1 Millionen Euro Umsatz. "Wir haben niemals ernsthaft erwogen, nach externem Kapital zu schauen."

Ein anderes Angebot könnten sie 2017 starten, einige Hobbypiloten haben sie darauf gebracht: Sie sind Wochen vor Weihnachten Routen in Form von Tannenbäumen geflogen. Auf Flightradar24 ist der Flugweg als bunter Strich auf die Karte gezeichnet, ein Tannenbaum über dem niederländischen Alkmaar, einer über Northampton in England, in Mecklenburg-Vorpommern hat einer "Merry Xmas" in die Luft geschrieben. Nächstes Jahr müsste man einen Wettbewerb daraus machen, schreibt das Unternehmen auf Facebook.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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