Flexibilität am Arbeitsmarkt:Das Smartphone ist die neue Stechuhr

Arbeitnehmer stellen seit Jahren ihren Berufsalltag um, ohne groß zu klagen. Doch zufrieden sind sie nicht unbedingt. Wer soll die neue Arbeitswelt regeln?

Kommentar von Alexander Hagelüken

Wenn Mütter oder Väter ins Büro gehen, wollen sie heute öfter als früher gerne mal die Tochter um 15 Uhr aus der Kita abholen. Sie leisten deshalb nicht weniger als Generationen vor ihnen. Gerade in Dienstleistungsbranchen ist es ja üblich geworden, abends und am Wochenende per Mail und Telefon im Einsatz zu sein. Und in der normalen Berufszeit verdichtet sich der Job, weil das Tempo steigt und der Beschäftigte vielleicht nebenbei Leiharbeiter schulen muss, die Kosten sparen.

Wie wollen die Deutschen arbeiten? Und wovor muss man sie schützen? In den vergangenen Tagen ballten sich Schlagzeilen, die den Wandel der Berufswelt illustrieren: Da will der Arbeitgeberverband den Achtstundentag abschaffen, die Sozialministerin Leiharbeit begrenzen und ein CDU-Mann den Rechtsanspruch auf Home Office einführen.

Konkurrenz lauert heute für deutsche Firmen weltweit. Globalisierung und moderne Kommunikation erlauben es ihnen, schneller und flexibler zu sein, aber sie zwingen auch dazu. Und die Arbeitnehmer? Stellen ihren Berufsalltag um, ohne groß zu klagen. Längst hat das Smartphone die Kontrollgewalt entwickelt, die früher nur die Stechuhr ausübte. Längst sind Beschäftigte zu Leiharbeit und anderem bereit, das sich vom lebenslangen Job bei einer Firma unterscheidet. Allerdings wünschen sich Beschäftigte von ihren Arbeitgebern die gleiche Flexibilität. Sie wollen an manchen Tagen im Home Office arbeiten oder ihre Arbeitszeit verkürzen, wenn sie kleine Kinder haben.

Arbeitsmarkt ist kein Gestein, das über Jahre unverändert bleibt

Die Frage ist, wie sich die Interessen besser vereinbaren lassen. Denn Beschäftigte erleben einerseits Grenzenlosigkeit, wenn sie außerhalb festgelegter Arbeitszeiten dienstbar sein sollen. Die Forderung der Wirtschaft nach der Abschaffung des Achtstundentags darf als typisch gelten. Das Smartphone hat die gesetzliche Höchstarbeitsdauer längst gesprengt. Anderseits fragen sich die Beschäftigten, ob sie wirklich immer erreichbar sein müssen - und warum die Mehrarbeit, die so entstehen kann, nicht bezahlt wird. Und sie erleben zwar keine Grenzen für ihre Einsatzanforderung, aber für ihre Wünsche. Wer etwa mal zu Hause arbeiten oder wegen kleiner Kinder ein paar Jahre lang weniger Stunden leisten will, bekommt häufig kein passendes Modell angeboten. Oder er muss auf Beförderungen verzichten. Und wer für seinen Leistungswillen mit einem sozial abgesicherten Dauerjob entlohnt werden möchte, erfährt ebenso Ablehnung.

Wie lässt sich das verändern? In Deutschland wird in solchen Fällen sofort der Ruf nach dem Staat laut. In Zeiten historisch niedriger Arbeitslosigkeit gilt das besonders. Wenn es den Firmen so gut geht wie jetzt, können sie mehr gesetzliche Pflichten verkraften, lautet die Logik. Doch der Arbeitsmarkt ist kein Gestein, das über Jahre unverändert bleibt. Firmen und Beschäftigte leben auch von Reformen, die wie die rot-grüne Agenda eine Dekade zurückliegen. Der Ölpreis, der Euro und die Zinsen werden wieder steigen und den Stellenmarkt belasten. Daher empfehlen sich Lösungen, die Arbeitsplätze möglichst wenig gefährden. Ein Rechtsanspruch auf Heimarbeit etwa müsste schon einige Ausnahmen enthalten, weil er Betriebe sonst sehr fesselt und den Druck erhöht, lieber mit weniger Personal auszukommen.

Unternehmen müssen nicht nur mehr fordern, sondern auch mehr bieten

Der erste Adressat, um die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt anzugehen, ist nicht der Staat - es sind Gewerkschaften und Unternehmen, die die unterschiedlichen Interessen austarieren können. Die Tarifpartner beweisen teils schon, was sie können. Dafür stehen Regeln mancher Konzerne, in denen Mitarbeiter eben nicht rund um die Uhr erreichbar sein müssen. Und dafür stehen Vereinbarungen wie in der Metallindustrie, wo Leiharbeiter höher bezahlt und schneller übernommen werden.

Damit die neue Arbeitswelt den Beschäftigten gerecht wird, müssen die Tarifparteien deutlich mehr leisten. Die Gewerkschaften sollten etwa Heimarbeit danach beurteilen, ob es Arbeitnehmer nach ihr drängt, und nicht, ob sie ins Bild des für die Arbeiterbewegung gut mobilisierbaren Norm-Beschäftigten passt. Und die Unternehmen sollten nicht nur mehr fordern, sondern auch mehr bieten: ob flexible Arbeitszeiten für Eltern oder unbefristete, anständig bezahlte Jobs.

Für den Staat bleibt, zu prüfen, ob die in nächster Zeit gefundenen Lösungen ausreichen. Und andernfalls selbst einzugreifen. In einer Zeit, in der Firmen Tarifverträgen zu entkommen suchen, wird es genug zu regeln geben. Es war ja ein gesetzlicher Mindestlohn nötig, um wirklich in allen Branchen eine Bezahlung durchzusetzen, die zum Leben reicht.

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