Fitnessgeräte:Börsengang als Trampolin

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Millionen Menschen trainieren bundesweit in Fitnessstudios. Die italienische Firma Technogym liefert die Geräte dazu. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Italiener Nerio Alessandri hat Technogym, den Hersteller von Fitnessgeräten, zu einer digitalen Firma geformt.

Von Ulrike Sauer, Cesena

Auf seiner Visitenkarte steht tatsächlich: Wellness Designer. Dieser Tage ist Nerio Alessandri in Orlando, Florida, auf der internationalen Leitmesse IHRSA, dem wichtigsten Treff der Fitnessindustrie. Der Italiener mischt als einziger Europäer an der Spitze einer von den Amerikanern beherrschten Branche mit. Bis Donnerstag stellt er auf der Schau sein Produkt Skillmill vor, das erste Allround-Trainingsgerät, an dem Sportler Kraft, Schnelligkeit, Kondition und Beweglichkeit steigern können. Er bedient eine wachsende Nachfrage nach Maschinen, die sich an den Ansprüchen von Athleten inspirieren.

Alessandri, 54, hat noch eine Visitenkarte parat. Sie weist ihn als Chef der Firma Technogym aus. "Die ist für die Banken", sagt der ehemalige Garagenunternehmer aus dem Hinterland von Rimini. Vor dem geplanten Börsengang von Technogym kommt sie häufiger zum Einsatz. Die Vorbereitungen für die Aktien-Offerte in Mailand laufen. Bis Juni will der Gründer 40 Prozent seiner Firma abgeben. Die Offerte soll dem Finanzinvestor Arle nach sieben Jahren den Ausstieg aus dem expandierenden Exportunternehmen mit 512 Millionen Euro Jahresumsatz ermöglichen.

Krönt da ein Selfmademan eine Karriere, die vor 33 Jahren in Vaters Garage als eine sehr amerikanische Geschichte begann? Ach wo, winkt Alessandri ab. Er sitzt auf einem grauen Designersofa in der offenen Lounge der Chefetage seines gläsernen Firmensitzes. Vor vier Jahren bezog der Maurersohn das Technogym Valley an der Autobahnausfahrt Cesena. Auf ehemaligen Erdbeerfeldern schmiegen sich nun lange, wellenförmige Metalldächer in die Hügellandschaft der Romagna. Der Mailänder Stararchitekt Antonio Citterio gab Fabrik, Forschungslabors, Büros, Universität und Wellness Center ein elegantes Dünenprofil aus Stahl und Glas. An den Designgeräten, die hier entstehen, bringen sich weltweit 35 Millionen Menschen in Form.

Alessandri sagt, der Blick zurück interessiere ihn nicht. "Der Börsengang ist das Trampolin für Technogym 4.0", sagt er. Das Internet der Dinge hat auch die Sportstudios erreicht. Die Parole der Hersteller lautet: Vernetzung. Die Klubs rüsten zu Smart-Studios auf. Die Geräte sind in die digitale Welt integriert. Apps ermöglichen den Nutzern mit ihren eigenen Trainingsprogrammen in der Cloud eine personalisierte Wellness-Erfahrung.

Technogym treibt die Digitaltechnik seit zehn Jahren voran. 2007 statteten die Italiener ihre Geräte mit Internet aus. Seit 2012 sind sie mit der Cloud verbunden. In Orlando präsentiert Alessandri mit Artis die weltweit erste komplette Modellreihe aus Android-basierten, in der Cloud verbundenen Fitnessgeräten. In Rio de Janeiro wird das Training 4.0 in vier Monaten olympische Premiere haben. Technogym nimmt bereits zum sechsten Mal als Exklusivausstatter mit seinen Hightech-Maschinen an den Spielen teil. Erstmals tritt in Brasilien die Generation der Millennials zu den Wettkämpfen an. Den 12 000 Athleten wird Alessandri für ihr Training einen Account in der Cloud einrichten. "London 2012 war noch eine andere Welt", sagt er.

Der Autodidakt ist seit 1983 im Geschäft. Zwischen den Hügeln an der Adria fühlt man sich nicht im Silicon Valley. Hier in der Romagna schlägt das Herz für Motoren und Maschinen. Alessandri tüftelte in der Garage und baute als 20-Jähriger sein erstes Trimmgerät für das örtliche Fitnessstudio. "Die Garage war Technogym 1.0", sagt er. In den Neunzigerjahren entwickelte er sein Konzept von Wellness: Er setzte die italienische Philosophie des Wohlbefindens bewusst dem amerikanisch geprägten Fitness-Wahn entgegen. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper - die 2000 Jahre alte Juvenil-Weisheit wurde zum unternehmerischen Leitmotiv von Technogym 2.0.

Zugleich holte der Hersteller die Elektronik ins Sportstudio. Heute arbeiten 150 Ingenieure, Software-Spezialisten, Elektroniker, Mediziner und Designer an der Entwicklung neuer Modelle. Die Evolutionsstufe 3.0 erreichte das Unternehmen 2010 mit Online-Diensten. Die App Mywellness ermöglicht die Messung, Kontrolle und Personalisierung des Trainings.

Mit den Programmen "Let's move for a better world" veranstaltet Technogym seit 2015 internationale Testläufe. Im März nahmen 120 000 Menschen in 513 Sportclubs an einer Kampagne zur Bekämpfung von Übergewicht und Bewegungsmangel teil. Die Nutzer loggen sich ein, sammeln die Bewegungseinheiten "Move" und spenden sie für ein Projekt, das von Alessandris Firma bezahlt wird. Technogym setzt sich damit vor dem Börsengang auch als digitales Unternehmen in Szene. Der Hersteller von Laufbändern und Heimtrainern will als Dienstleister wahrgenommen werden, der die Daten seiner Kunden und das Internet der Dinge im Auge hat.

Alessandri definiert Technogym als Luxusmarke. "Wahrer Luxus werden in Zukunft nicht ein rotes oder gelbes Täschchen sein, sondern Gesundheit und Wellness". Den Kampf gegen die Pfunde hat die Bank of America Merrill Lynch 2012 als einen Megatrend der Zukunft ausgerufen, der hohe Investitionen anstoßen werde.

Mit 13 Jahren wollte Alessandri Unternehmer werden. Nun hat der "extrovertierte Träumer", wie er sich beschreibt, einen anderen Traum: "Ich will die Welt wieder in Bewegung bringen". Der Mensch sei darauf ausgerichtet, am Tag 25 Kilometer zu laufen. Der Alltag der modernen Zivilisation befördere die Rückbildung der Spezies. Alessandri verschränkt die Arme und lässt sich gegen die Sofalehne fallen: "So sterben wir an zu viel Ruhe".

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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