Fintechs:Das gestutzte Einhorn

Das größte deutsche Finanz-Startup Kreditech hat ihren Geschäftsbericht publiziert - die Zahlen sind ernüchternd. Hat sich die Firma übernommen?

Von Heinz-Roger Dohms, Hamburg

Alles schien möglich, damals, vor zwei Jahren. Sebastian Diemer, der Gründer von Kreditech, saß in einem opulenten neuen Konferenzbüro, blickte selbstsicher über die Hamburger Innenstadt und meinte, seine Firma könne zum "neuen Amazon" werden. Kurz darauf gab Diemers Finanzchef ein Interview, in dem er verkündete, dass Kreditech sein Wachstum um "weit mehr als 500 Prozent pro Jahr" beschleunigen werde. 500 Prozent? Wie gesagt - alles schien möglich. Mancher Experte sah in Kreditech das nächste Unicorn. So werden Firmen genannt, die zwar noch jung, aber schon mehr als eine Milliarde Dollar wert sind.

24 Monate später gilt Kreditech immer noch als größtes deutsches Finanz-Start-up. Gut 100 Millionen Euro haben Investoren seit 2015 in das Unternehmen gesteckt, mehr als in jedes andere Fintech hierzulande. Trotzdem stellt sich inzwischen die Frage, ob das vermeintliche Einhorn wirklich über ein tragfähiges Geschäftsmodell verfügt. Denn die Geschäftszahlen für 2015, die Kreditech dieser Tage klammheimlich und reichlich spät im Bundesanzeiger veröffentlich hat, zeichnen ein ernüchterndes Bild von der angeblichen Hochglanzfirma.

27 Millionen Euro hat allein die Holding verbrannt - dabei machte die gesamte Gruppe gerade mal 43 Millionen Euro Umsatz. Noch viel bedenklicher aber: Das vor zwei Jahren ausgegebene Wachstumsziel erweist sich aus heutiger Sicht als völlig illusorisch. Die "weit mehr als 500 Prozent" bezogen sich seinerzeit auf den Kreditbestand. Der ist tatsächlich aber nur um 51 Prozent auf 90,1 Millionen Euro gestiegen. Selten hat ein Unternehmen seine Ziele in so kurzer Zeit so grandios verfehlt.

Das Geschäftsmodell von Kreditech basiert auf der Idee, Kleinkredite über das Internet zu vergeben - und zwar in erster Linie an eine Klientel, die mangels Bonität bei klassischen Banken eher nicht zum Zuge kommt. Diemer erklärte das damals wie folgt: "Wir haben eine Methode entwickelt, die Kreditwürdigkeit dieser Menschen zu berechnen." Dazu greife Kreditech auf Tausende sogenannter Datenpunkte zurück, darunter Spuren, die die Antragsteller in sozialen Netzwerken hinterlassen. Zudem spiele eine Rolle, wie sich der potenzielle Kunde während des Antragsprozesses verhalte. Diemer: "Wenn jemand beispielsweise angibt, dass er 5 000 Euro im Monat verdient, dann aber 40 Sekunden braucht, um den Namen seines Arbeitgebers einzutippen, dann stimmt was nicht."

Unter dem Namen Kredito waren Diemer und sein Mitgründer Alexander Graubner-Müller 2012 zunächst in Deutschland an den Start gegangen. Bald wurde allerdings die Finanzaufsicht Bafin hellhörig. Denn eine Banklizenz fehlte dem Start-up. Die beiden Gründer machten das deutsche Kreditportal wieder dicht und boten ihre Darlehen stattdessen jenseits der Grenze an. Dabei konzentrieren sie sich auf Länder, in denen es - anders als hierzulande mit der Schufa - kein etabliertes Modell zur Bonitätsbewertung von Normalbürgern gibt. Entsprechend höher ist dort der Anteil an Menschen, die bei Banken von vornherein abblitzen. Die meisten Kunden hat Kreditech heute in Polen und Spanien.

Manche Verbraucherschützer werfen den Hamburgern inzwischen Wucher vor

"Financial Freedom for the Underbanked", lautet inzwischen der Slogan. Etwa: "Finanzielle Freiheit für Menschen ohne Zugang zu Krediten." Die Weltbank unterstützt diesen Ansatz und investierte im vergangenen Jahre zehn Millionen Euro in Kreditech. Allerdings provoziert das Modell auch Kritik. Denn die oft nur wenige Wochen laufenden Darlehen ähneln sogenannten "Payday Loans" - Kredite, die quasi bis zum nächsten Gehaltscheck reichen sollen. Die Zinsen sind extrem hoch, bis zu ein Prozent pro Tag. Manche Verbraucherschützer werfen den Hamburgern darum Wucher vor. Der Finanzchef von Kreditech, René Griemens, verweist dagegen "auf das hohe Ausfallrisiko. Sie können das nicht mit dem deutschen Kreditmarkt vergleichen." Zudem habe man die Zinsen inzwischen "drastisch gesenkt".

Neben ethischen wirft das Modell nun allerdings auch betriebswirtschaftliche Fragen auf. Der Geschäftsbericht bestätigt jedenfalls eine Diagnose, die in der Start-up-Szene schon länger diskutiert wird - nämlich, dass sich Kreditech mit seinem Expansionskurs zwischenzeitlich völlig übernommen habe. Griemens sagt nun, man habe "aufgrund der allgemein schwierigen Finanzierungslage das Wachstum Mitte 2015 bewusst zurückgefahren." Daher weise die Geschäftsentwicklung nun "eine Delle" auf.

Die Folgen werden sich auch in den Zahlen für 2016 zeigen. Hier geht Kreditech laut Geschäftsbericht davon aus, dass das Umsatzplus sogar "unterhalb des Wachstums der Vorjahre" liegen werde. Die Verluste hingegen dürften sich wohl nochmals ausgeweitet haben. Und: Auch für die kommenden Jahre rechnet das Unternehmen mit roten Zahlen. Das heißt: Auf mittlere Sicht dürfte Kreditech erneut auf frisches Eigenkapital angewiesen sein - was bei Start-ups freilich normal ist. "Natürlich befinden wir uns laufend in Gesprächen mit potenziellen Investoren", sagt Griemens. "Allerdings sind wir sehr solide finanziert und stehen unter keinerlei Druck."

Aus fünf von zehn Ländern haben sich die Hanseaten bereits wieder zurückgezogen. Droht Kreditech zu scheitern? Oder hat die junge Firma bloß eine kleine Krise durchgemacht? Die Antworten werden für die ganze Finanzbranche von Bedeutung sein. Denn Kreditech gilt als eine Art Seismograph: Können sich auch in Deutschland Milliarden-Fintechs wie in China, den USA oder Großbritannien entwickeln? Und lässt sich die Kreditvergabe als solche überhaupt mit technologischen Mitteln revolutionieren?

Finanzchef Griemens jedenfalls wehrt sich gegen den Eindruck, sein Unternehmen sei irgendwie angeschlagen. Nachdem man das Geschäft im November 2015 wieder angekurbelt habe, habe sich der Darlehensbestand binnen zwölf Monaten verdoppelt. Und: Auch die Belegschaft wachse, mehr als 300 Mitarbeiter beschäftige die Gruppe inzwischen. Gründer Diemer allerdings gehört nicht mehr dazu. Er hat das Start-up im vergangenen Mai verlassen. Der Geschäftsbericht notiert hierzu: "Auf eigenen Wunsch."

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