Finanzwirtschaft in der Krim-Krise:Russisch Roulette

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Mit einer eigenen Kreditkartengesellschaft will Präsident Wladimir Putin die russische Finanzwirtschaft stärken. (Foto: AFP)

Die ersten Auswirkungen der US-Sanktionen gegen Russland zeigen, wie verletztlich die Finanzwirtschaft des Landes ist. Viele Russen haben wenig Vertrauen in ihre Banken, das Kapital flüchtet ins Ausland. Kein Wunder, dass Putin eine eigene Kreditkartengesellschaft plant.

Von Andrea Rexer und Markus Zydra

Es ist eine weitere Kampfansage an die USA: Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Gründung einer eigenen, russischen Kreditkartengesellschaft angekündigt. Der Grund ist offenkundig, denn 95 Prozent des russischen Kreditkartenmarktes liegen in ausländischer Hand. Am stärksten sind die beiden US-Unternehmen Visa und Mastercard.

Dass Putin mit der Ankündigung an die Presse geht, hat mit US-Sanktionen aus der vergangenen Woche zu tun: Am Freitag vorvergangener Woche hatten Visa und Mastercard ihre Geschäftsbeziehung mit zwei russischen Banken eingestellt. Plötzlich konnten Kunden von Rossija und Sobinbank nicht mehr mit ihren Karten in Läden und Online-Shops zahlen, nur noch Bargeldabhebungen waren möglich. Das traf zwar nur 0,5 Prozent aller Kreditkarteninhaber Russlands, doch die Maßnahme führte dem Präsidenten offenbar vor Augen, wie verletzlich die Finanzinfrastruktur des Landes ist.

Tumulte vor den Banken

Russlands Zentralbankchefin Elwira Nabiullina hat daher angekündigt, dass sie die bestehenden russischen Anbieter und die zugrunde liegenden Systeme prüfen werde. Dazu gehört unter anderem das System der Sberbank, RPS Sberkart. Dann könne man entscheiden, ob es möglich ist, eines dieser Systeme zu übernehmen und anzupassen, oder ob ein komplett neues System entwickelt werden soll. Die mögliche Umstellung solle für die Banken möglichst "wenig schädlich" verlaufen.

Dass Putin das Thema aufgreift, ist nicht verwunderlich: Die Russen haben wenig Vertrauen in ihre Banken, zu oft haben sie in der jüngeren Vergangenheit bereits ihre Spareinlagen verloren. Erst vor einigen Monaten hat der Lizenzentzug der Masterbank, die eines der größten Geldautomaten-Netze des Landes hat, für Tumulte gesorgt. Vor den Filialen standen die Menschen Schlange, um Geld abzuheben. Nachrichten, die diese Unsicherheit weiter schüren könnte, will Putin vermeiden.

Enorme Kapitalflucht

Die russische Zentralbank hat im März den Leitzins von 5,5 auf sieben Prozent erhöht, um die Kapitalflucht einzudämmen. Sowohl Ausländer als auch Inländer transferieren Geld raus aus Russland. Der Vizeminister für Wirtschaftsentwicklung, Andrej Klepatsch, rechnet allein im ersten Quartal 2014 mit einer Kapitalflucht von 70 Milliarden Dollar. Der international angesehene Ex-Finanzminister Alexej Kudrin rechnet auf Jahressicht sogar mit 160 Milliarden Dollar, die das Land verlassen. Die Weltbank nannte ähnliche Summen. Der Rubel sackte zwischenzeitlich auf ein historisches Tief ab, hat sich aber seit Mitte März ein wenig erholt. Auch der russische Aktienmarkt hat in den letzten zwei Wochen rund zehn Prozent zugelegt.

"Der Kapitalabfluss ist grundsätzlich kein Problem, denn Russland verfügt dank der Rohstoffexporte über einen Leistungsbilanzüberschuss", sagt Thu Lan Nguyen, Devisenanalystin bei der Commerzbank. "Allerdings werden die Gelder auch für Investitionen im Land gebraucht, die Mittel sind knapp, das Wachstum in Russland stockt, schon 2013 waren es nur 1,3 Prozent."

Drehen Auslandsbanken den Geldhahn zu?

Die Unternehmen haben jedoch große Sorgen wegen der Zuspitzung des Konflikts. Amerikanische Ratingagenturen haben den Ausblick auf die russische Kreditwürdigkeit bei langfristigen Krediten auf "negativ" herabgestuft. "Die russischen Unternehmen haben Angst, dass ihnen die Auslandsbanken den Geldhahn zudrehen, oder die Konditionen verschlechtern", sagt Bernd Hones, Korrespondent von Germany Trade and Invest (GTAI) in Moskau. Das Problem sei nicht zu unterschätzen: "Die russischen Unternehmen haben ihre Expansion im Ausland mit Kredit finanziert", so Hones. Ihre Auslandsschulden seien dadurch bis Januar 2014 auf 320 Milliarden Euro angeschwollen.

Im Kreml sorgt man sich, dass ausländische Banken Kredite fällig stellen könnten und dafür Sicherheiten verwerten wollen - dass eine amerikanische Bank so in den Besitz von Industrieeigentum kommen könnte, gefällt der Politik nicht. Der Industrie- und Handelsminister will daher einen Fonds zur Verfügung stellen, der zinsgünstige Kredite an angeschlagene Unternehmen vergeben soll. Doch Kritiker bemängeln, dass der Fonds mit einem Volumen von einer Milliarde Euro zu klein sei. Ein Blick auf die Verschuldung einzelner Unternehmen verdeutlicht, woran sich die Kritik festmacht: So hat allein Rosneft 56 Milliarden Dollar Schulden im Ausland, Wympelkom 22 Milliarden und Rusal rund zehn Milliarden, wie aus Zahlen von GTAI und der russischen Zentralbank hervorgeht.

"Die Zentralbank rechnet mit einer Nachfrage nach Krediten auf dem Inlandsmarkt angesichts gesperrter Finanzmärkte im Ausland und ist bereit, Banken mit Standardinstrumenten zu stützen", sagte Notenbankchefin Nabiullina. Föderationsratschefin Valentina Matwijenko schlug sogar eine "Amnestie für Kapital" vor, um mehr Investitionen ins Land zu holen. Der Plan: Wer Geld aus Offshore-Firmen zurückholt, soll keine Strafen zu befürchten haben.

© SZ vom 29.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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