Finanzwelt:Die Geld-Revolution

File photo of people relaxing in one of the Blue Lagoon hot springs near the town of Grindavik

Thermalquelle auf Island: Auf der Insel im Nordatlantik dringt die Erdwärme vielerorts bis an die Oberfläche.

(Foto: Stoyan Nenov/Reuters)

Banken können Milliarden aus dem Nichts erschaffen. Das begünstigt Krisen, finden die Isländer.

Von Silke Bigalke und Charlotte Theile E, Stockholm/Zürich

Vielleicht ist das kleine Island ja der richtige Ort für diese kühne Idee, diese Geld-Revolution. Frosti Sigurjónsson, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im isländischen Parlament, hat sie im Auftrag der Regierung vorbereitet. Sein Vorschlag: Banken sollen kein Geld mehr produzieren, dieses Privileg soll der Zentralbank vorbehalten sein. Der deutsche Begriff dafür ist Vollgeldsystem.

Hauptkritik am jetzigen System ist, dass Banken Geld quasi aus dem Nichts erschaffen können, indem sie einem Kunden Geld leihen. Dabei schreiben sie ihm einen Betrag auf seinem Bankkonto gut, um den die Geldmenge der Volkswirtschaft dann wächst. Tilgt der Kunde den Kredit, schrumpft sie wieder. Steuern kann die Notenbank diesen Mechanismus nur indirekt, indem sie das Zinsniveau bestimmt oder Wertpapiere aufkauft und so mehr Geld in Umlauf bringt.

Sigurjónsson Vorschlag ist nun, Sichteinlagen, also Geld, das man von heute auf morgen abheben kann, bei der Zentralbank einzulagern. Die Banken wären dann zwar immer noch Ansprechpartner für ihre Kunden, neues Geld schaffen könnte im Vollgeldsystem aber nur noch die Zentralbank. Die würde über das elektronische Geld, das durch Kredite geschaffen wird, dann genauso bestimmen wie darüber, wie viele Banknoten und Münzen produziert werden sollen (zusammengenommen sprechen Volkswirte von der Geldmenge M1). Über die Verwendung dieses Geldes soll nach dem isländischen Vorschlag das Parlament abstimmen, ähnlich wie über die Verwendung von Steuergeldern.

Kritiker merken an, dass Zentralbank und Regierung nicht zwangsläufig vernünftiger mit dieser Verantwortung umgehen würden als die Banken. "Der Vorschlag ist nicht sehr realistisch", sagt etwa Ásgeir Jónsson, Wirtschaftsprofessor in der Hauptstadt Reykjavik und früher Chefökonom der Kaupthing Bank. Den Finanzinstituten werde es damit unmöglich, den Bankkunden denselben Service zu bieten wie heute, meint er.

"Der Vorschlag reduziert das Risiko von Korruption."

Sigurjónsson widerspricht. "Der Vorschlag reduziert das Risiko von Korruption", zählt er stattdessen die Vorzüge auf. "Es ist verführerisch für denjenigen, der Geld erschaffen kann, es an einen Freund zu verleihen, der womöglich gar nicht in der Lage ist, es zurückzuzahlen." Die Banken seien natürlich gegen den Vorschlag, weil sie eine Einnahmequelle verlieren würden. Sie könnten nur noch das Geld verleihen, über das sie tatsächlich verfügten, weil es Kunden bei ihnen angelegt haben.

Der Staat dagegen könnte erst mal tüchtig daran verdienen. Würde das von den Banken erschaffene elektronische Geld in Vollgeld umgewandelt, entstünde laut Sigurjónssons Bericht ein "Gewinn" zwischen 300 und 400 Milliarden isländischer Kronen. Weil die Banken das Geld, das sie verliehen haben, durch Zentralbankgeld decken müssen, leihen sie sich dieses zunächst vom Staat. Der wiederum hat sich durch Staatsanleihen bei den Banken verschuldet. Rechnet man beides gegeneinander auf, reduziert das die Staatsverschuldung, glaubt man in Island.

Hauptziel des Vollgeldsystems soll aber sein, in Zukunft einen Absturz wie in der Finanzkrise 2008 zu verhindern. Diese traf das kleine Island besonders hart. Die Banken hatten sagenhafte Summen angehäuft, ihre Schulden überstiegen die isländische Wirtschaftsleistung um ein Vielfaches. Das Geld ausländischer Investoren floss, angezogen auch durch hohe Zinsen und eine stark überbewertete isländische Krone, erst massenhaft ins Land und wurde dann, als das System zusammenbrach, umso schneller wieder abgezogen. Doch Island konnte für die Schulden seiner Banken nicht aufkommen und ließ sie pleitegehen. Kapitalverkehrskontrollen schirmen Island seither von den Geldströmen der Weltwirtschaft weitgehend ab.

Allerdings denken nicht nur die Isländer über den Systemwechsel nach. Auch in der Schweiz wird derzeit eine Vollgeld-Initiative diskutiert. Ausgerechnet in dem Land, in dem die Banken nach wie vor eine große Bedeutung haben, soll privaten Geldinstituten verboten werden, durch Kredite Geld zu schöpfen.

Die Schweizer Initiative ist kompliziert. Den Bürgern zu vermitteln, was sich tatsächlich verändern würde, ist eine Herausforderung. Dass es um sehr viel Geld geht, ist dagegen leicht zu belegen: Ende 2013 waren in der Schweiz als Bargeld 67 Milliarden Franken (etwa 65 Milliarden Euro) im Umlauf. Das Buchgeld auf Sichteinlagen lag jedoch bei knapp dem Fünffachen (fast 340 Milliarden Franken), die gesamte Geldmenge M1 sogar bei 550 Milliarden Euro. Die Angst der Banken ist groß: Sollten sie kein Buchgeld mehr schöpfen dürfen, würden auf einen Schlag 300 bis 500 Milliarden Franken aus dem System gezogen - ein möglicherweise tödlicher Schock. Dem wollen die Initiatoren, eine bunte Gruppierung, für die sowohl linke und alternative als auch rechte Politiker Sympathien zeigen, mit einem Übergangskredit entgegen wirken. Doch mit Rückzahlung dieser Kredite würde die Geldmenge, die in der Schweiz im Umlauf ist, sinken.

Die Schweizerische Bankiervereinigung befürchtet, dass ein derart tief greifender Umbau des Wirtschaftssystems unkalkulierbare Risiken berge. Die Banker finden: Das derzeitige System habe sich bewährt: Es gebe keine Inflation, ausreichend Kredite, stabiles Wirtschaftswachstum. Außerdem sei es mitnichten so, dass die Nationalbank in der Schweiz über Kontrollverlust klage. Zudem befürchtet die Vereinigung, dass im neuen System nicht mehr genug Geld für Kredite vorhanden sein könnte. Der Umweg über die Nationalbank wäre schließlich lang und von politischen Abhängigkeiten geprägt. Das könne die Kreditvergabe deutlich komplizierter gestalten, der Wirtschaft also dringend benötigtes Geld entziehen.

Die Befürworter der Initiative, die im Juni 2014 begonnen hat, Unterschriften zu sammeln, halten diese Befürchtungen für ungerechtfertigt. Da die Geldmenge nicht gesenkt, sondern nur durch die Nationalbank kontrolliert werden solle, stehe der Wirtschaft genauso viel Liquidität zur Verfügung wie im jetzigen System. Nur dass dieses Geld eben sicher sei. Die Folgen der Systemumstellung zeichnen die Initiatoren in den schönsten Farben: Keine Finanzblasen mehr. Keine Bankenrettung mit Steuergeldern. Weniger Wachstumsdruck. Fairer Wettbewerb. Und: Auf dem Kontoauszug würden es die Bankkunden nicht einmal merken, ob ihr Geld nun Buch- oder Vollgeld ist.

Der Vorwurf der Gegner: Der Initiative gehe es um die Abschaffung des Kapitalismus

Mit Vollgeld gegen Finanzkrisen? Das klingt zu schön, um wahr zu sein, heißt es etwa vom neoliberalen Schweizer Think Tank Avenir Suisse. Nicht allein die Banken seien an den Krisen der Vergangenheit schuld. Und auch wenn die Schöpfung von Buchgeld einen Beitrag zu den Zusammenbrüchen im Bankensystem geleistet habe: Um mehr Sicherheit zu gewährleisten, genüge es, die Eigenkapitalquoten zu erhöhen und die Geschäfte der Banken besser zu regulieren und zu kontrollieren. Angesichts der expansiven Geldpolitik der europäischen Zentralbank sei es ohnehin fragwürdig, ob ein vollständig von der Nationalbank kontrolliertes Geldschöpfungssystem besser sei. Wie groß die Angst des wirtschaftsliberalen Think Tanks vor dem Vollgeld ist, zeigt ein besonders schwerer Vorwurf: Der Initiative ginge es eigentlich um die Abschaffung des Kapitalismus.

Damit die Schweizer Bürger tatsächlich über den Systemwechsel abstimmen, müssen die Initiatoren bis Ende des Jahres 100 000 Unterschriften sammeln. In Island schlägt Sigurjónsson vor, sich die Sache erst mal in einem weiteren, tiefer gehenden Bericht genauer anzusehen, möglichst mit Hilfe internationaler Experten. Er hält die Insel allerdings für einen guten Ort, neue Lösungen auszuprobieren. In kleinen Ländern ließen sich neue Gesetze schneller umsetzen. "Außerdem spüren die Menschen nachdem, was passiert ist, hier die Notwendigkeit für Reformen."

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