Finanzsystem:Das ungeklärte Risiko

Die Regeln zur Abwicklung von Banken greifen noch nicht, sagt Bundesbank-Vorstand Dombret. Im Ernstfall drohen auch Privatanlegern Verluste - vor allem wegen der Systemrisiken im Falle einer Bankenpleite, die weite Kreise ziehen würde.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Es machte Hoffnung, was die Politiker nach der Finanzkrise versprachen: Nie wieder sollten Steuerzahler für die Rettung einer Bank bezahlen, vielmehr wollte man Gläubiger und Eigentümer der Bank in die Haftung nehmen. Schließlich sind sie es, die in guten Zeiten von Dividenden und Zinsen für ihr Kapital profitieren.

Die entsprechenden Gesetze gelten seit zwei Jahren. Allein: Der Praxistest ging schief, wie sich jetzt zeigt. "Dass gleich in drei der ersten vier Stützungsfälle staatliche Gelder geflossen sind, kann nicht im Sinne des europäischen Gesetzgebers sein", sagte Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret diese Woche auf einer Veranstaltung der Bundesbank-Uni Hachenburg. Der Einsatz von Steuergeldern sei zwar unter den neuen Regeln nicht ganz tabu, doch um die Steuerzahler besser zu schützen, müssten die Insolvenzregeln der Länder dringend stärker an die EU-Abwicklungsregeln angeglichen werden. Mit anderen Worten: Das nationale Insolvenzrecht dürfe nicht als Schlupfloch genutzt werden, Banken mit Steuergeld zu retten.

Genau das aber ist unlängst passiert: In den vergangenen Monaten sind sowohl die spanische Banco Popular als auch die italienischen Institute Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza abgewickelt worden. Erstmals hatte dabei die Europäische Bankenaufsicht Kreditinstitute als nicht überlebensfähig eingestuft. Erstmals leitete danach die neue EU-Abwicklungsbehörde SRB das Ende der Institute ein. Im Fall der spanischen Bank fand sich ein Käufer, im Fall der italienischen Banken übernahm der Staat mit Erlaubnis des SRB die Abwicklung und setzte Steuergelder ein.

Die Maßnahme in Italien wurde vor allem in Deutschland kritisiert, weil die Regeln eben vorsehen, dass die Gläubiger einer Bank haften sollen. Man spricht von Bail-in. Doch davon wären viele italienische Kleinsparer betroffen gewesen, denen riskante Papiere als sichere und lukrative Anlage verkauft wurden, obwohl sie in die Haftungsmasse einfließen könnten. Doch die italienische Regierung fand, das sei den Kleinsparern nicht zuzumuten und pochte auf eine Ausnahme, die in den Gesetzen zwar verankert ist - dem Grundgedanken des Bail-in aber widerspricht.

Ein Schlupfloch findet sich immer: Erst jüngst wurden italienische Banken mit Steuergeld gerettet

Die EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung regelt seit 2014, was passiert, wenn eine Bank in Schieflage gerät, und in welcher Reihenfolge die Gläubiger auf ihr Kapital verzichten müssen. Allerdings gesellen sich zu diesem Gesetz noch andere Gesetze, die Ausnahmen vorsehen und den Einsatz von Steuergeldern erlauben, etwa dann wenn einfache Sparer - die ja auch Wähler sind - den Schaden davontragen.

Nicht nur Dombret kritisiert daher die Unzulänglichkeit der Regeln. "Die Bail-in-Instrumente sind oft in den falschen Händen", sagt SRB-Chefin Elke König. Hauptsächlich seien es Lebensversicherer und Pensionskassen, die Schuldscheine besäßen, die nach einer Bankpleite im Ernstfall haften. Arbeitnehmer sparen in Lebensversicherungen und Pensionskassen für ihre Altersvorsorge. Ein Bail-in würde also sie treffen - und nicht nur die "Großen", wie man es eigentlich plante. Kaum ein Kunde weiß, ob seine Pensionskasse diese Wertpapiere gekauft hat. Und vermutlich wissen das sogar die Finanzaufseher nicht so genau. Der SRB wollte auf Anfrage nicht einmal mitteilen, wie viel Bail-in-Kapital europäischer Banken es überhaupt gibt.

Dazu kommt das Systemrisiko, wenn plötzlich Versicherer und andere institutionelle Investoren für eine Bankenpleite haften müssen. "Haben sie dafür Rücklagen gebildet und wird das überwacht?", fragt der Bankenprofessor Jan Pieter Krahnen von der Uni Frankfurt. Er saß selbst in der renommierten Liikanen-Kommission, die der EU nach der Krise Vorschläge zu Strukturreformen im Bankenmarkt vorgelegt hat. Die Abwicklung von Instituten war eine der Kernforderungen der Experten.

Doch nicht nur in Italien, auch in Deutschland haben die Banken Papiere an Privatanleger verkauft, die im Ernstfall in die Haftungsmasse fließen würden. In der Regel zwar nicht die ganz riskanten, man nennt das Nachrangkapital, aber immerhin Anleihen, die bei einer Pleite theoretisch wertlos werden können. Anders als die ganz normalen Einlagen von Privatanlegern (zum Beispiel Festgeld), unterliegen sie nicht der Einlagensicherung. Dazu gehören zum Beispiel Zertifikate. Mit diesen Papieren können Anleger auf den Dax oder andere Entwicklungen am Kapitalmarkt wetten; sie zeichnen zugleich aber eine Anleihe der ausgebenden Bank.

Als Lehman Brothers Pleite ging, verloren viele Zertifikategläubiger in Deutschland ihr Geld, wurden erst später teilweise entschädigt. In Deutschland kommt dieser Markt auf 70 Milliarden Euro, fast alle Banken tummeln sich dort. Selbst die zum Verkauf stehende HSH Nordbank, deren Abwicklung durchaus möglich ist, hat für fünf Milliarden Euro Zertifikate an Privatanleger verkauft, ohne dass es die Aufseher untersagt haben. "Banken sollten sich grundsätzlich nicht refinanzieren, indem sie im großen Stil solche unbesicherten Anleihen an Privatanleger verkaufen", sagt Finanzexperte Udo Philipp von den Grünen.

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