Finanzmärkte der Schwellenländer:Angst vor dem nächsten Börsencrash

Brazilian Currency Production As Policy Makers Meet On Interest Rates

In der Gelddruckerei: Eine Arbeiterin in einem Vorort von Rio de Janeiro prüft Bögen der brasilianischen Währung Real.

(Foto: Bloomberg)

Die Kurse kennen nur eine Richtung: nach unten. In den Schwellenländern wächst die Sorge vor einer Wirtschaftskrise wie Ende der Neunzigerjahre. Gerade in Asien ist die Lage prekär. Schuld ist ausgerechnet die amerikanische Notenbank.

Von Andreas Oldag

Es ist eine Stimmung, die beunruhigt. In den Schwellenstaaten, die noch vor Kurzem Anlegers Liebling waren, kennen die Aktien- und Devisenkurse derzeit nur eine Richtung: nach unten. Massenhaft ziehen Investoren Kapital aus den aufstrebenden Staaten ab. Das bewirkt, dass sich die nationalen Währungen im rasanten Fall befinden. Besonders hart getroffen hat es die indische Rupie. Die Währung fiel am Dienstag auf ein neues Rekordtief von 64,12 Rupien gegenüber dem US-Dollar - im Vergleich mit Anfang April entspricht dies einem Minus von mehr als 16 Prozent. Der Leitindex Sensex der Börse in Mumbai sackte unter die psychologisch wichtige Marke von 18.000 Punkten ab.

Längst ist das Krisen-Virus auf andere Länder wie Indonesien und Thailand übergesprungen. Auch in Brasilien ist der Real zuletzt trotz Interventionen der Zentralbank auf den tiefsten Stand seit 2009 gesunken. "Das Auge des Sturms ist klar in den Schwellenstaaten. Vor zwei Jahren waren es noch Europa und vor vier Jahren die USA, die von einer schweren Krise gebeutelt wurden", konstatiert Stephen Jen, Hedgefonds-Manager der Londoner Finanzfirma Macro Partners und ehemaliger Morgan-Stanley-Banker. Jetzt hat der Euro gegenüber dem Dollar ein Sechsmonatshoch erreicht.

Überrascht hat es die Londoner Finanzszene aber dann doch, wie rasch sich die Angst in den aufstrebenden Staaten ausbreitete. Auslöser der wirtschaftlichen Turbulenzen ist die Erwartung an den Finanzmärkten, dass die ultralockere Geldpolitik der US-Notenbank Fed sich dem Ende zuneigt. Mit ihrem Kurs zur Stützung der US-Konjunktur hat die Federal Reserve in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass massenweise billiges Geld in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Lateinamerikas angelegt wurde, wo hohe Renditen lockten.

Doch nun hat sich der Kapitalfluss umgedreht. "Wenn die Aussicht besteht, dass die Zinsen in absehbarer Zeit wieder steigen, fließt das Geld aus den Flucht-Anlageklassen ab", erklärt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Anleger gehen da hin, wo sie am besten behandelt werden, und da stechen derzeit die USA hervor", ergänzt Bruce Bittles, Chef-Investmentstratege bei der amerikanischen Finanzfirma RW Baird & Co. "In den Schwellenländern trübt sich die Stimmung immer weiter ein."

Die Angst vor der Asienkrise

So ist längst eine gigantische Umschichtung von Anlagevermögen im Gange. Dabei waren die Schwellenländer noch vor Kurzem die Profiteure der Schuldenkrise in Europa und des schweren Konjunktureinbruchs in den USA. Nach Schätzung von Experten floss 2008 bis 2012 die gigantische Summe von fast vier Billionen Dollar (drei Billionen Euro) aus den westlichen Ländern in die Schwellenstaaten. Anleger sprachen von "hot money", von heißem Geld, das einen vermeintlich sicheren Hafen suchte. Es war aber auch die Zeit, in der der Hype um Anlagen in den sogenannten Bric-Staaten - Brasilien, Russland, Indien, China - keine Grenzen kannte. Der damalige Goldman-Sachs-Chefvolkswirt Jim O' Neill hatte die griffige Formel bereits 2001 erfunden, um die vier Staaten in den Fokus internationaler Investoren zu rücken (einschließlich Südafrika sind es sogar fünf Staaten). Es war eine smarte Marketing-Strategie, die sowohl den Bric-Staaten als auch Anlegern als verkaufsfördernder Ausweis eines neuen Wirtschaftswunders diente.

Kritiker, die schon damals anmerkten, dass die beeindruckenden Wachstumssprünge kaum nachhaltig seien, wurden überhört. Indien machen jetzt das große Leistungsbilanzdefizit und verschleppte Reformen zu schaffen. In Indonesien hat sich das Defizit in der Leistungsbilanz, die den Waren- und Dienstleistungshandel umfasst, zuletzt auf einen Rekordwert ausgeweitet.

Unterschätzt haben viele Experten die strukturellen Probleme der Volkswirtschaften in den aufstrebenden Staaten. Nach wie vor hemmt ein überdimensionierter Staatssektor die Entwicklung einer freien Marktwirtschaft. Dies geht häufig einher mit Korruption und Vetternwirtschaft. Obwohl viele Bevölkerungsschichten von der Boomphase profitieren konnten, ist die wachsende Diskrepanz zwischen Reich und Arm zu einer sozialen Zeitbombe geworden, wie die jüngsten Auseinandersetzungen in Brasilien und der Türkei zeigen. Schon einmal, Ende der Neunzigerjahre, rutschten eine Reihe asiatischer Staaten in eine tiefe Wirtschaftskrise. Ausländische Investoren zogen sich zurück. Es kam zu einer teilweise dramatischen Kapitalflucht. Die nationalen Währungen verloren rapide an Wert, vor allem gegenüber dem US-Dollar. Die Börsenkurse in Thailand, Indonesien, Malaysia und Südkorea rauschten in den Keller. Kurz vorher hatten diese Länder noch als Vorbild für andere Schwellenstaaten gegolten, die ihre Industrialisierung voranbringen wollen.

Jetzt ist die Lage wieder ähnlich. Schon mehren sich Forderungen, dass der Internationale Währungsfonds eingreifen soll.

Real, Rupie, Rupiah und Rubel im Überblick

Die Währungen Real, Rupie, Rupiah und Rubel im Überblick:

Brasilien: Brasiliens Real ist die Währung, die zuletzt am meisten gegenüber dem Euro verloren hat. Binnen einem Monat gab sie um neun Prozent nach. Rund 0,31 Euro bekommt man für einen Real, vor einem Jahr waren es noch 0,40 Euro - ein Minus von mehr als 20 Prozent. Brasiliens neue Währung hatte nach ihrer Einführung 1994 die Hyperinflation besiegt und wurde mit einer Flut von Investorengeld dermaßen stark, dass in Brasilien der Konsumrausch ausbrach. Dank gestiegener Löhne und enormer Kaufkraft im Ausland gingen die Einheimischen in Scharen auf Reisen, Brasilien verwandelte sich derweil in eines der teuersten Länder der Welt. Vor allem die Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro sind kaum mehr zu bezahlen, viele Einwohner verschulden sich mithilfe ihrer Kreditkarten. Im Vergleich zu früher ist der Real noch immer hoch bewertet, aber das Wachstum sinkt, und die Inflation ist gestiegen. "Das Fest ist vorbei", sagt die Analystin Alessandra Ribeiro in der Zeitung Estado de São Paulo, "und jetzt zahlen wir die Rechnung." (Peter Burghardt)

Indien: Die indische Währung ist dramatisch abgestürzt, im Vergleich zum Dollar zu Beginn der Woche auf ein historisches Tief. 1000 Rupien waren im Mai noch gut 14 Euro wert, inzwischen sind es gerade noch zwölf Euro - ein Verlust von fast 15 Prozent. In der Finanzmetropole Mumbai lautet die bange Frage: Wiederholen sich die Verhältnisse von 1991? Dem Land drohte damals die Zahlungsunfähigkeit. Es begann eine beispiellose Reformserie, angestoßen von Finanzminister Manmohan Singh, der heute Premierminister ist. Doch nach jahrelangen Wachstumsraten von acht bis neun Prozent liegen die Zuwächse inzwischen bei nur noch fünf Prozent - zu wenig, um mehr Menschen des 1,2-Milliarden-Volkes aus der Armut zu führen. Die Regierung in Delhi verschleppe Reformen, lautet der Vorwurf. So sei etwa die dringend erforderliche Öffnung für ausländische Handelsketten verzögert worden, monieren Kritiker. Doch Singh mahnt zur Besonnenheit, sieht keinen Grund zur Panik - wie auch der Internationale Währungsfonds. (Tobias Matern)

Indonesien: 100.000 Rupiah sind nur noch gut sieben Euro wert, die indonesische Währung ist auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen. Binnen einem Jahr verlor sie rund 14 Prozent. Grund für die Verluste der vergangenen Tage war die Nachricht, dass sich der Schuldenstand in dem südostasiatischen Schwellenland im zweiten Quartal deutlich schlechter entwickelt habe als angenommen. Die liberale Geldpolitik der US-Notenbank hatte in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass viel Geld in Länder wie Indonesien geflossen ist, die Währung zog dementsprechend an. Jüngste Spekulationen über eine straffere US-Geldpolitik haben allerdings dazu geführt, dass viel Kapital wieder abgezogen worden ist. Indonesien verzeichnet das geringste Wirtschaftswachstum der vergangenen drei Jahre. Präsident Susilo Bambang Yudhoyono muss sich vorhalten lassen, seine Regierung stoße Reformen zu spät an. Im Juni waren kostspielige Benzinsubventionen gekürzt worden, nach "Monaten der Verzögerung", wie lokale Medien spitz kommentierten. (Tobias Matern)

Russland: Da hilft auch Patriotismus wenig, Russlands Bürger trauen ihrem eigenen Rubel nicht. Fast zwei Drittel der Bürger glauben nach einer Umfrage des Instituts Wciom, dass die heimische Währung in nächster Zeit weiter an Wert verliert. Binnen einem Jahr ist der Kurs im Vergleich zum Euro um elf Prozent zurückgegangen, 1000 Rubel sind dieser Tage nur noch knapp 23 Euro wert. Bankenvertreter wie Alexander Morosow von HSBC versuchen zwar zu beschwichtigen und erwarten einen Anstieg bis Jahresende, doch der Trend ist nicht zu kaschieren. Das größte Flächenland der Welt krankt noch immer an seiner einseitigen Wirtschaftsstruktur, der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten. Zugleich ist der stete Kapitalabfluss ins Ausland kaum zu stoppen. Da Russland zu wenig selber herstellt, muss es Waren wie Konsumgüter aus dem Ausland teuer einführen. Der günstige Rubel wäre eine Chance für die heimische Industrie, doch wegen der weitgehend maroden Infrastruktur ist sie kurzfristig schwer zu nutzen. (Frank Nienhuysen)

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