Finanzmärkte:Auch Tiefpunkte haben einen Höhepunkt

Wie die Deutschen die Finanzmärkte zu zähmen versuchen und dabei erst einmal das Gegenteil erreicht haben

Nikolaus Piper

Es war ein Schock von unerwarteter Seite. Am Dienstagnachmittag hatten sich die Finanzmärkte gerade ein wenig beruhigt, der Kurs des Euro stieg und stabilisierte sich bei 1,24 Dollar. Da kam, noch vor Handelsschluss an der Wall Street, die Nachricht, dass Deutschland die Spekulation auf sinkende Aktien- und Anleihenkurse einschränken will. Die Reaktion der Börsen kam prompt: Der Euro sank erstmals seit vier Jahren unter die Marke von 1,22 Dollar, der Dow-Jones-Index verlor 114 Punkte, und die Anleger flohen in amerikanische Staatsanleihen. Deutschland hatte die Spekulanten zähmen wollen. Erreicht wurde zunächst das Gegenteil: Alle glauben, dass die Lage noch viel ernster ist als vermutet -und verhalten sich entsprechend.

Was war genau geschehen? Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) untersagte sogenannte ungedeckte Leerverkäufe von Aktien der zehn bedeutendsten deutschen Finanzinstitute und von Staatsanleihen der Euro-Zone vorerst bis zum 31.März 2011. Betroffen sind Aktien von Allianz, Commerzbank, Deutscher Bank und Münchener Rück, Deutscher Börse, Deutscher Postbank, Hannover Rück, Aareal Bank, Generali Deutschland und MLP. Auch ungedeckte Kreditausfallversicherungen (sogenannte Credit Default Swaps, CDS (siehe unten)) auf Anleihen von Staaten der Euro-Zone fallen unter die Vorschrift.

Ein Leerverkauf ist eine seit langem erprobte Methode, um von sinkenden Kursen zu profitieren. Es gibt sie seit den Anfängen des Börsenhandels in den Niederlanden im 17. Jahrhundert. Das Geschäft sieht vereinfacht so aus: Ein Anleger glaubt zum Beispiel, dass der Aktienkurs der Deutschen Bank in einer Woche niedriger liegen wird, als er heute ist. Daher leiht er sich eine bestimmte Menge Aktien, um sie sofort zu verkaufen. Zurückgeben muss er die geliehenen Aktien aber erst nach sieben Tagen und zu einem niedrigeren Kurs - vorausgesetzt, seine Wette geht auf. Leerverkäufe dienen dazu, Spekulationsgewinne zu erzielen, aber auch, um sich gegen Verluste bei anderen Geschäften abzusichern.

Nun hat die Bafin nicht Leerverkäufe generell verboten, sondern nur "ungedeckte". Bei dieser Form unterbleibt der aufwendige Vorgang des Leihens. Der Spekulant verkauft einfach Aktien, die er nicht hat, genauer: auf die er keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch hat. Das ist riskanter, aber auch rentabler als ein normaler Leerverkauf. Allerdings sind solche Geschäfte auch viel kurzfristiger. Die Positionen bei ungedeckten Leerverkäufen dürfen in Deutschland in der Regel nicht länger als drei Tage offen bleiben. Ein besonderer Fall sind ungedeckte Kreditausfallversicherungen, die CDS. Diese CDS versichern die Besitzer von Anleihen gegen Zahlungsausfälle. Besitzt man jedoch die betreffenden Anleihen nicht, wird das CDS von einem Schutz- zu einem Spekulationsinstrument, so als würde man eine Kfz-Versicherung auf das Auto seines Nachbarn abschließen.

Leerverkäufer gelten heute vielen Politikern als die bösen Spekulanten schlechthin, die als "Wolfsrudel" (so der schwedische Finanzminister Anders Borg) über Länder und Unternehmen herfallen. In Extremsituationen werden Leerverkäufe immer wieder einmal verboten. So war es kurz vor dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008, als die amerikanische Börsenaufsicht SEC die Spekulation gegen die großen amerikanischen Investmentbanken untersagte. In der Folge stabilisierte sich deren Kurs kurzfristig, hinterher allerdings brach er umso stärker ein.

Wegen dieser Erfahrungen glauben die meisten Finanzmarktexperten, dass Verbote mehr schaden als nützen. So wird auch die jüngste Entscheidung der Bafin fast nur kritisiert oder verspottet. Zunächst erzeugte das Verbot vor allem eines: Verwirrung. Die Bundesbank hatte am Dienstag völlig überraschend Schwierigkeiten, eine neue Bundesanleihe am Markt zu platzieren, obwohl deutsche Staatspapiere zu den sichersten der Welt zählen. Das zeigt, dass das Verbot Anleger von den Märkten treibt und so die Krise verschärft.

Dazu kommt, dass das Verbot nur für die deutschen Märkte gilt, die im internationalen Vergleich gar nicht so wichtig sind. Leerverkäufe auf europäische Staatsanleihen sind jedoch in den relevanten Märkten New York, London und Tokio weiterhin möglich. Unklar ist auch, wie die Bafin das, was sie verboten hat, überhaupt feststellen will, denn Registrierungsverfahren wie in den USA gibt es in Deutschland nicht. Der Schritt sei eine "politische Verzweiflungstat", sagte Carsten Brzeski, Ökonom bei der Bank ING. Und David Buik, Analyst bei dem Broker BGC in London, meint, das Verbot sei "so tolpatschig, dass es schon lächerlich ist".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: