Finanzkrisen:Acht Jahre Rechtsruck

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Finanzkrisen schocken das politische System. Eine neue Studie zeigt die enormen Folgen für die Gesellschaft. Geraten wichtige Banken eines Landes in Not, kann es zu gewaltsamen Ausbrüchen kommen.

Von Bastian Brinkmann, München

Ein Rapper ist tot, erstochen. "Killah P" wollte mit seinem Freunden in einem Café nahe Piräus Fußball schauen, dann versammelten sich griechische Neonazis vor der Tür. Es ist 2013, mitten in der Krise. Unter Mordverdacht stehen Mitglieder der rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte. Der Prozess läuft. Seit Griechenlands Wirtschaft im freien Fall ist, hören mehr Menschen auf Neonazipropaganda. Ein Schrecken, der sich seit 140 Jahren in vielen Ländern wiederholt hat. Nach Finanzkrisen holen Parteien vom rechten Rand im Durchschnitt dreißig Prozent mehr bei Wahlen. Das zeigen die Ergebnisse von mehr als 800 Wahlen in zwanzig Ländern, die drei Ökonomen ausgewertet haben. Das Ifo-Institut veröffentlicht an diesem Montag ihre Ergebnisse.

Geraten die Banken eines Landes in Not, hat das in der Regel dramatische Folgen für die gesamte Gesellschaft. Institute gehen pleite oder müssen vom Staat gerettet werden. Danach fließen meist weniger Kredite an Hersteller und Kunden, es werden weniger Produkte hergestellt und verkauft, Menschen verlieren ihre Jobs. Die neue Studie zeigt nun, dass Finanzkrisen auch das demokratische System unter Druck setzen und politisches Chaos erzeugen. Zum Beispiel Straßenkämpfe. Demonstrationen gegen die Regierung und gewalttätige Auseinandersetzungen nehmen nach Finanzkrisen deutlich zu. Das spüren die Regierungen: Sie verlieren nach einer Finanzkrise mehr als vier Prozentpunkte bei der nächsten Wahl, wenn man die Phase seit dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart betrachtet. Die Opposition gewinnt derweil, das Parlament zersplittert. Fünf Jahre nach Ausbruch der Rezession sitzt mindestens eine Partei mehr in der Abgeordnetenkammer. Für die Regierung wird es schwieriger, die Krisenfolgen für die Bürger zu lindern und Reformen durchzusetzen, die die nächste Bankenkrise eindämmen sollen.

Parteien vom rechten Rand holen im Durchschnitt dreißig Prozent mehr bei Wahlen

Besonders deutlich zeigt sich in den Daten der Rechtsruck. Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg betraf diese Entwicklung vor allem Deutschland und Italien. Alarmierend ist, dass nach 1945 Rechte in vielen Ländern messbare Erfolge feierten, Neonaziparteien ebenso wie Rechtspopulisten. Linksradikale Gruppen verbuchen dagegen im Durchschnitt keinen Anstieg bei den Wählerstimmen, der sich in den Daten niederschlagen würde. Syrizas Erfolg in Griechenland ist historisch gesehen eine Ausnahme.

Der Schockeffekt von Finanzkrisen ist größer als die Folgen einer Wirtschaftskrise, die nicht durch Finanzturbulenzen ausgelöst wurde. Dazu zählt beispielsweise die Rezession in Deutschland nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2001. Anders lief es nur in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als rechtsextreme Parteien stetig Zulauf hatten. Sonst zeigen sich große Unterschiede: Nach Finanzkrisen gerät eine Regierung unter enormen Druck; nach anderen Wirtschaftskrisen wächst im Durchschnitt sogar die Zustimmung für die Regierung, sie und ihr Kurs bekommen mehr Unterstützung. Die Studienautoren schlussfolgern deswegen, dass Regulierungsbehörden und Zentralbanker eine enorme Verantwortung für die politische Stabilität tragen, wenn sie Finanzmärkte beaufsichtigen: "Wer Finanzkrisen verhindert, verringert auch die Wahrscheinlichkeit eines politischen Desasters."

Die gute Nachricht: Die politischen Turbulenzen verschwinden größtenteils auch wieder. Das dauert aber. Fünf Jahre nach Ausbruch der Krise erreicht der Einfluss der Rechten seinen Höhepunkt, dann verlieren sie an Wählergunst. Nach acht Jahren ist der Rechtsschub im Durchschnitt nicht mehr messbar.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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