Wirtschaftskrisen:Nicht genug getan

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Börsencrash 1929: Am 29. Oktober versuchen viele Anleger ihr Geld von den Banken abzuheben, wie hier vor einer Sparkasse in Millbury, Massachusetts. (Foto: AFP)

Geschichte wiederholt sich nicht, sagt der Ökonom Barry Eichengreen. Trotzdem sollten Politiker und Zentralbanker aus der Vergangenheit lernen.

Von Katharina Wetzel

Menschenschlangen vor den Bankautomaten in Griechenland. Politiker, die versprechen, alles zu tun, um die Euro-Zone zu stabilisieren. Und Bankenchefs, die versichern, auf jeden Ausgang nun besser vorbereitet zu sein als noch vor einigen Jahren. Die Euro-Zone ist im Krisenmodus. Ein Ausweg aus der griechischen Tragödie zu finden, scheint besonders schwer zu sein. Dabei kam es in der Geschichte immer wieder zu ähnlichen Ereignissen.

Anschauungsmaterial liefert das von Barry Eichengreen soeben auf Deutsch erschienene Werk "Die großen Crashs 1929 und 2008 - Warum sich Geschichte wiederholt". Der Professor für Ökonomie und Politologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley hat die Ursachen der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre und der jüngsten Finanzkrise analysiert und frappierende Ähnlichkeiten festgestellt. So waren beide Krisen durch einen Immobilien- und Kreditboom sowie durch globale Ungleichgewichte gekennzeichnet.

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(Foto: oh)

Barry Eichengreen ist Professor für Ökonomie und Politologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Der 63-Jährige, Autor von zahlreichen Büchern und Essays, gilt als einer der renommiertesten Ökonomen weltweit. (Foto: oh)

Eichengreen zeichnet eindrücklich mit vielen Details und Anekdoten die Crashs von 1929 und 2008 nach und weist an vielen Stellen auf Parallelen hin. Dies macht das 500-Seiten-Werk äußerst interessant und lehrreich, erschwert aber mitunter auch etwas den Lesefluss. Auf einen moralischen Unterton, der viele Krisenbücher der Post-2008-Ära durchzieht, verzichtet Eichengreen. Nicht jedoch auf eine leise Ironie sowie Kritik an den Eliten und Entscheidungsträgern: "In den 1930er-Jahren unterlagen die Regierungen der Verführung des Protektionismus. Sie ließen sich von einem veralteten ökonomischen Dogma leiten, kürzten ihre öffentlichen Ausgaben zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und versuchten, ihre Budgets ins Gleichgewicht zu bringen, als stimulierende Investitionen notwendig gewesen wären. (...) Ihre Maßnahmen verschlimmerten nicht nur den Niedergang, sondern sie scheiterten sogar an der Aufgabe, das Vertrauen in die öffentlichen Finanzen wiederherzustellen", heißt es in der Einführung.

Das Schlimmste verhindert, aber nicht genug getan

Dass es zu seinen Lebzeiten eine vergleichbare Krise geben werde, habe er nicht erwartet, erzählt Eichengreen im Gespräch. Wie viele andere Ökonomen hat er bereits in jungen Jahren an der Universität die Weltwirtschaftskrise studiert. Und John Maynard Keynes gelesen. Keynes trat für staatliche Ausgaben in Krisenzeiten ein. Auf den einflussreichen Ökonomen des 20. Jahrhunderts geht die ökonomische Denkrichtung des Keynesianismus zurück. Aber auch andere bedeutende Ökonomen wie Anna Schwartz und Milton Friedman gaben später einer zu restriktiven Geldpolitik wesentlich die Schuld daran, dass es zu so einer schweren Krise in den Dreißigerjahren überhaupt kommen konnte. Ein Grund, so Eichengreen, warum die jüngste Krise nicht so schlimm verlief: Politiker und Zentralbanker hatten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und verhinderten den finanziellen Zusammenbruch, indem sie nun die Märkte mit Geld fluteten. Doch an diesem Punkt setzt Eichengreens These an. Seiner Ansicht nach haben die verantwortlichen Politiker und Zentralbanker in der jüngsten Finanzkrise bei Weitem (noch) nicht genug getan, um die Probleme zu bewältigen und das Wirtschaftswachstum zu stützen. "Wir haben so viele Lektionen vergessen, wie wir in Erinnerung behalten haben", meint Eichengreen und konstatiert: "Dieses Mal haben Zentralbanken die Zinssätze gekürzt, um die Geldmenge und Preise zu stabilisieren, aber das war nicht genug, um das Ausbluten des Finanzsystems einzudämmen."

Der relativ schnelle Erfolg der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen verhinderte laut Eichengreen nicht nur eine radikalere Reform, die das Finanzsystem nachhaltig sichern würde, sondern auch ein stärkeres Weltwirtschaftswachstum. Die Regulatoren hatten zwar das Schlimmste verhindert. "Doch nun wollten sie zu einer normalen Politik zurückkehren, obwohl wir bislang noch keine normale Wirtschaftslage hatten", analysiert Eichengreen.

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Auch zur Euro-Krise zieht Eichengreen Parallelen. Die gemeinsame Währungsunion schaffe ähnliche Zwänge wie in den Zwanzigerjahren der Goldstandard.

"Falls ein Derivat zu komplex ist, sollte es nicht gehandelt werden"

Als Keynesianer will Eichengreen aber nicht gelten, wenn er auch die Europäische Zentralbank (EZB) und den damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet dafür kritisiert, dass die Zentralbank 2010 ihre Sondermaßnahmen zeitweise stoppte und 2011 zweimal die Zinsen erhöhte. Auch Notenbankchef Mario Draghi, der für seine Billionen Euro schweren Anleihenkäufe hierzulande derzeit in der Kritik steht, verschont er nicht. "Besser spät als nie", meint Eichengreen zu Draghis geldpolitischem Programm.

Die Regulierungsvorschriften, die seit der Finanzkrise verabschiedet worden sind - höhere Eigenkapitalvorschriften für Banken, ein Abwicklungsmechanismus für große Finanzinstitute, ein Trennbankensystem, die Einführung der zentralen Clearingpflicht von Derivaten - hält Eichengreen allesamt nicht für stark oder ambitioniert genug.

Die Abwicklung von Derivaten über zentrale Clearinghäuser führe zu einer Konzentration von Risiken. Derivate sollten daher über elektronische Börsen laufen. "Falls ein Derivat zu komplex ist, um standardisiert und über Börsen gehandelt zu werden, sollte es überhaupt nicht gehandelt werden", ist Eichengreens Überzeugung. Und um das Finanzsystem sicherer zu machen, schlägt er deutlich höhere Eigenkapitalvorschriften vor. Seien Banken too big to fail, also zu groß, um sie scheitern zu lassen oder sie leicht abzuwickeln, dann solle man sie stabil und sicher werden lassen.

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Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart verstehen

Und wie schätzt er die Gefahren eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone ein? Was passiert, wenn wieder ein Mitgliedsland der Euro-Zone in Schwierigkeiten geraten sollte? Für Eichengreen ist klar, dass ein Ausscheiden Griechenlands das Vertrauen in der Euro-Zone massiv schwächen würde. Es würde den Glauben zerstören, dass die gemeinsame Währungsunion für immer währt, eine Mitgliedschaft unwiderruflich ist und Politiker alles tun, um die Währungsunion in seiner Ganzheit aufrechtzuerhalten. Das nächste Mal, wenn wieder ein Mitglied in Schwierigkeiten geraten sollte, würden Investoren fliehen, da sie wieder einen Austritt erwarten würden, meint Eichengreen: "Das ist kein Rezept für Stabilität."

Der Rückblick auf die Ursachen der großen Depression kann lehrreich sein, doch Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich, zitiert Eichengreen im Gespräch den Dichter Mark Twain. Es sei auch wichtig, die Unterschiede der Geschichte und der Gegenwart zu verstehen. Auch wenn die Umstände nun anders seien, könne man aus der Geschichte lernen. "Wir können Risiken erkennen, aber wir können Krisen nicht exakt vorhersagen", sagt Eichengreen. Dennoch prophezeit er am Ende seines Werks den nächsten großen Crash - in wahrscheinlich weniger als 80 Jahren.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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