Finanzkrise in Griechenland:Gefangen im Schwebezustand

Athen im Jahr fünf der Krise. Die Griechen leben in einem seltsamen Zustand. Vor zwei Jahren wussten sie nicht einmal, wie viele Beamte sie haben. Jetzt greifen erste Reformen. Doch ein Ende des Wirtschaftseinbruchs ist nicht in Sicht. Zu Besuch in einem Land, das erst noch ein richtiger Staat werden will.

Alexander Hagelüken und Christiane Schlötzer

"Wer sich auf dem Boden des Fasses befindet, kann nur noch nach oben", sagt Nikos Ventouris. Der junge Ökonom mit Designerbrille nimmt einen Schluck Eiskaffee, die Sonne brennt im August auf Athen. Ventouris will sagen, dass sein Heimatland weit unten angekommen ist, aber ums Überleben kämpft. An diesem Freitag wirbt Premier Antonis Samaras bei Kanzlerin Angela Merkel für seinen Kurs, er will mehr Zeit für eine Genesung Griechenlands, das aber kostet mehr Geld.

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Das Leben in Athen: Straßenszene aus dem Viertel Monastiraki.

(Foto: Bloomberg)

Ventouris ist womöglich eine gute Wahl, um herauszufinden, wie es wirklich um das Land steht, das manche deutsche Politiker aus dem Euro werfen wollen. Er legt eine Studie auf den Caféhaustisch, die er im Juni mit dem Chef des unabhängigen Forschungsinstituts IOBE, Giannis Stournaras, verfasst hat. Der Professor wurde Tage später überraschend Finanzminister.

Bei der Studie handelt es sich damit um den seltenen Fall, dass ein plötzlich zentraler Akteur schonungslos sein Land analysiert, ohne die Schönfärbereien eines Politikers. "Vor zwei Jahren wussten wir noch nicht mal, wie viele Beamte dieses Land beschäftigt", spottet Ventouris.

Inzwischen ist klar: Seit 1980 hat sich die Zahl der Staatsangestellten verdoppelt, weil die jeweils regierende Partei ihre Klientel versorgte. Die Lohnstückkosten stiegen in den ersten zehn Euro-Jahren um 18 Prozent, während sie in Deutschland abnahmen. Die Wirtschaft wirkt anachronistisch: kaum Exporte, mehr Selbständige als Arbeitnehmer. Viele dieser Selbständigen hielten sich mit Kiosken oder kleinen Handwerksbetrieben über Wasser, indem sie kaum Steuern zahlten. Andere genossen Monopole als Spediteur, Anwalt, Taxifahrer, Apotheker oder Notar. Das machte viele Dienstleistungen für die Kunden teuer und hielt die Zahl der Jobs klein.

Rund 150 solcher abgeschotteter Branchen gab es. Ventouris schildert, wie hart der Widerstand gegen Veränderungen war - und vielerorts noch ist. Die Monopolisten hatten für ihre Berufe eine Lizenz, die sich teuer weiterverkaufen ließ. Die vorherige Regierung schaffte die Monopole zwar auf dem Papier ab, Präsidialdekrete sollten die Öffnung jeder einzelnen Branche besiegeln. Doch die ließen lange auf sich warten. Lähmend auch die aufgeblähte Bürokratie im Land. Wer ein Hotel eröffnen will, braucht unzählige Genehmigungen verschiedener Behörden. Damit ein Investor überhaupt weiterkam, schmierte er häufig die zuständigen Staatsdiener - die damit einen Anreiz hatten, alles zu verzögern.

"Wenn ein Arzt einer Nonne Viagra verschreibt, fällt das heute sofort auf"

So genau er die Schwächen erkennt, Ventouris findet, dass sein Land ungerecht beurteilt wird: "Die Kritiker im Ausland sehen nur das Negative." Seit 2010 tue sich viel. Die Lohnkosten sinken, das Defizit auch, die Arbeitsmarktreform erleichtert Einstellungen, Griechenland habe nun die modernste Überwachung von Gesundheitskosten. "Wenn ein Arzt einer Nonne Viagra verschreibt, fällt das heute sofort auf." Alle Reformen zusammen könnten die Wirtschaftsleistung um ein Sechstel steigern. Aber das dauere, sagt Ventouris.

Mancher verliert dabei die Hoffnung.

Athen im Jahr fünf der Rezession. Wer durch die zentrale Einkaufsstraße Ermou geht, sieht zuerst kein Land im Niedergang. Internationale Modemarken bestimmen das Bild. Dann fallen die Preisschilder auf: Nachlässe um 50 bis 70 Prozent werden angeboten. Bald kommt der erste verlassene Jeansladen, und das in bester Lage unweit des Parlaments und der Akropolis. Nur eine Parallelgasse weiter sind die leeren Schaufenster zahlreicher geschlossener Geschäfte mit Graffiti übersprüht. Jeder Vierte im Land hat keinen Job, ein Lehrer verdient nun unter 1000 Euro im Monat. Die Wirtschaft schrumpfte mit all den Sparpaketen und Lohnkürzungen um ein Viertel, ein Ende ist nicht Sicht.

Hohe Rabatte und leere Flure gibt es auch in einem Kaufhaus mit Café. In dessen hinterster Ecke bittet ein hochrangiger Banker zum vertraulichen Gespräch. Er schildert, wie die Geldhäuser des Landes auf schmalem Grat zwischen Leben und Tod wandeln. Ja, die Europäische Zentralbank halte die Institute am Leben, mit kurzfristigem Geld. "Aber wie soll ich aus kurzfristigem Geld langfristige Kredite machen, die viele Unternehmen brauchen?" In den Dependancen internationaler Konzerne soll es die Anweisung geben, jeden Tag alle Bareinnahmen außer Landes zu schaffen, um sie in Sicherheit zu bringen. Griechenland geht das Geld aus.

Griechenland geht das Geld aus

So lebt ein Volk in einem seltsamen Schwebezustand. Während die Menschen Opfer bringen, schrumpft die Wirtschaft, ohne dass Hoffnung auf Besserung erkennbar wäre. Die Unternehmen zögern mit Investitionen, es könnte ja noch schlimmer kommen. Im Marmorsaal des Fünf-Sterne-Hotels "Grand Bretagne" sitzt der Europa-Parlamentarier Markus Ferber (CSU) mit zwei befreundeten griechischen Anwälten. Sie waren auf dem Heiligen Berg Athos, es ist ein privater Besuch - und auch wieder nicht. Ferber unterstützt die Anwälte, während sie Investitionsprojekte sondieren, die das Land braucht. Sie kommen gerade von Premier Samaras, den Ferber aus dem EU-Parlament kennt. "Ich arbeitete unter ihm im Haushaltsausschuss", wird Samaras über Ferber sagen, als er später die deutschen Journalisten empfängt.

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Straßenshop in Athen: Szene aus dem Griechenland im Jahr fünf der Krise.

(Foto: Bloomberg)

Was Ferber sagt, hört sich anders an als die flotten Sätze mancher CSU- oder FDP-Politiker, denen es nicht schnell genug gehen kann mit dem Rausschmiss der Griechen aus der Euro-Zone. "Die finden hier keine Investoren, wenn alle denken, mit der Drachme kostet die Firma nächstes Jahr nur noch die Hälfte", sagt Ferber. Die Europäer redeten den Euro schlecht und schadeten sich selbst: "Kein Amerikaner sagt, der Dollar geht runter." Der CSU-Mann kritisiert die Schwächen der Griechen, doch er findet, das Land brauche Hilfe bei seinem Reformkurs. Und dass Europa aufhören muss mit dem Untergangsgerede. "Als wir noch die Deutsche Mark hatten, sagte auch keiner, wir geben die Mark auf wegen der Schulden von Bremen."

Bremen und Griechenland, beide klein, beide angeschlagen. Wie geht es weiter mit dem südlichen Bremen? Wer den Banker in dem Kaufhaus-Café auf all die Aufforderungen anspricht, die Griechen aus dem Euro zu werfen, den blickt er lange an. "Es gab schon mal den Versuch einer kontrollierten Pleite", sagt er. Das war bei Lehman Brothers im Herbst 2008. "Wollen wir diesen Versuch jetzt wirklich wiederholen?"

Ende 2009 betrug das griechische Bruttosozialprodukt 250 Milliarden Euro. In diesem Jahr werden es nur 204 Milliarden sein. Die Arbeitskosten sind nun so niedrig, dass Textilfirmen, die nach Bulgarien oder Bangladesh abwanderten, an Rückkehr dächten, erzählt ein griechischer Journalist. Er berichtet auch, wie manche internationalen Konzerne die Krise verschärfen. Das französische Supermarktunternehmen Carrefour zog sich jüngst aus Griechenland zurück. Mehrere Lieferanten von Wein und Käse blieben bis heute auf hohen unbezahlten Rechnungen sitzen.

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