Finanzbranche:Kapitalflucht als Geschäftsmodell

Latvian Central Bank Governor Ilmars Rimsevics Interview

Lettlands drittgrößte Bank ABLV ist nach Geldwäsche-Vorwürfen zusammengebrochen. Der Verdacht auf kriminelle Machenschaften bestand seit Jahren, passiert war bisher nichts. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Bankenaufseher.

(Foto: Roni Rekomaa/Bloomberg)

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Lettland zur Schweiz des Baltikums. Nun soll damit Schluss sein. Die Frage ist, wie.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Wie eine mexikanische Seifenoper, so hat es ein Parlamentarier in Riga ausgedrückt. Das kleine Lettland ist in den vergangenen zwei Wochen von einer Reihe an Skandalen durchgerüttelt worden. Es geht um Schmiergeld, um Schwarzgeld, Geldwäsche und andere kriminelle Geschäfte, womöglich sogar um Terror-Finanzierung. Unklar ist, ob und wie das alles zusammenhängt. Klar ist aber, dass das kleine Land seinen Bankensektor immer noch nicht im Griff hat.

Nachdem die Sowjetunion 1991 zusammengebrochen war, machte sich Lettland auf, die "Schweiz des Baltikums" zu werden, erinnert sich Ainars Latkovskis, der in dem Parlamentsausschuss sitzt, der auch für Verteidigung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. "Die Banken nutzten aus, dass sie nun Wissen über beide Seiten hatten, über den Osten und den Westen." Immer wieder ist in der Vergangenheit auch schmutziges Geld durch lettische Banken in die EU geflossen. Seine drittgrößte Bank, die ABLV, wird Lettland deswegen nun verlieren. Das US-Finanzministerium wirft dem Institut Geldwäsche vor, und Firmen, die in Verbindung mit nordkoreanischen Waffenlieferungen stehen, geholfen zu haben. Die Bank bestreitet das zwar, doch die US-Behörden haben der Bank den Zugang zum US-Dollar gekappt. Das erzeugte eine solche Panik, dass die EZB wenige Tage später nur noch die Pleite feststellen konnte.

"Und wenn dann einer ein Konto eröffnen will, sagt man dann Nein?"

Es ist nicht die erste lettische Bank, die ihrem eigenen Geschäftsmodell zum Opfer fällt, nämlich Kunden aus Russland und anderen früheren Sowjetstaaten das Tor zu öffnen zum Euro und zum Dollar. Der lettische Premierminister Māris Kučinskis räumte ein, dass Lettland nicht genug getan habe, um seinen Bankensektor zu säubern. In den vergangenen Jahren habe man zwar Schritte unternommen, um die Banken zu überwachen und zu vermeiden, dass Mittel ins Land fließen, "die mit Geldwäsche und Terrorfinanzierung in Verbindung" stünden. Das habe jedoch nicht ausgereicht.

Etwa 40 Prozent der lettischen Bankeinlagen kommen aus dem Ausland, der Premier möchte diesen Anteil um die Hälfte reduzieren. Der frühere Wirtschaftsminister Vjačeslavs Dombrovskis, der heute eine von der ABLV finanzierte Denkfabrik in Riga leitet, hält das nicht für die Lösung. Der Bankensektor sei wichtig für die lettische Wirtschaft, da es immer weniger Industrie gebe. "Was ist das Wirtschaftsmodell von Lettland?", fragt er. "Was bleibt übrig?" Viele Letten liefen ohnehin schon weg, weil sie im Heimatland kein gutes Einkommen hätten. Die Letten sind nach UN-Zahlen das am schnellsten schrumpfende Volk der Welt nach Bulgarien. Heute sind es nicht mal mehr zwei Millionen Einwohner, die dort leben. Aber das Geld fließt in Riesensummen, ein Prozent der weltweiten Dollar-Transaktionen sollen es sein, schätzt der Abgeordnete Latkovskis. Die Finanzkontrollbehörden sind angesichts der starken Devisenströme unterbesetzt. Lettland könne keine großen Behörden aufbauen wie Deutschland, meint Latkovskis. "Die lettischen Banken nahmen ihre Pflicht nicht ernst, wussten einfach zu wenig über ihre Klienten", sagt er. "Und wir als Regierung haben nicht genug getan, um sie dazu zu zwingen, ihren Job zu machen." Es seien stets zu wenige Ressourcen da gewesen.

Dombrovskis erzählt, dass man überall in Riga Wagen mit russischen Nummernschildern sehe, die vor lettischen Banken hielten. Kapitalflucht als Geschäftsmodell. "Und wenn dann einer ein Konto eröffnen will, sagt man dann Nein? Solange wir keine Mauer bauen wollen, ist es eine Frage von Kontrolle: Wer ist diese Person, woher kommt das Geld. Aber das ist ja nicht auf seiner Stirn geschrieben", sagt Dombrovskis. Er habe gedacht, die Letten hätten durch ihre Erfahrung als früherer Sowjet-staat, durch ihre Russischkenntnisse "größere Chancen, die Guten von den Bösen zu trennen", sagt er. "Aber vielleicht habe ich mich geirrt."

Lettland ist seit 2004 Mitglied der EU. Heute dominieren schwedische Banken den Markt in dem baltischen Land, sie haben Lettland anfangs mit billigen Krediten versorgt, die Wirtschaft angekurbelt, bis zur Finanzkrise 2009. Danach musste Lettland durch ein schmerzhaftes Sparprogramm, bevor es 2014 auch der Euro-Zone beitreten durfte. 2016 wurde es Mitglied der OECD bei, die machte vorher noch mal Druck, kritisierte Korruption und Geldwäsche durch die lettischen Banken, offenbar mit mäßigem Erfolg.

Es ist nicht lange her, da hat schon eine lettische Bank nach Geldwäsche-Vorwürfen Pleite gemacht: Die Trasta Komercbanka soll Geld im Wert von 13 Milliarden Dollar aus Russland durch ihre Konten geschleust haben, deckten Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) 2014 auf. Die Bank verlor ihre Lizenz und machte 2017 dicht. Jetzt trifft es die ABLV: Schon Mitte Februar schrieb die US-Behörde, dass 90 Prozent ihrer Kunden ein "hohes Risiko" bedeuteten - nach eigenem Rating der Bank. Die ABLV habe Geldwäsche institutionalisiert und zur Säule ihres Geschäfts gemacht. Sie habe Konten von riskanten Strohfirmen nicht angemessen kontrolliere, und damit Regeln untergraben, die nicht nur Geldwäsche sondern auch Terror-Finanzierung verhindern sollten.

Die lettische Zentralbank sprang trotzdem mit fast 300 Millionen Euro Finanzhilfe ein, doch ihr Chef, Ilmārs Rimšēvičs, war gar nicht dabei, als die Notenbank über diese Hilfen entschied. Er saß nämlich in Haft, weil er Bestechungsgeld angenommen haben soll. Inzwischen ist er auf Kaution frei, von seinem Job bleibt er suspendiert.

Die Geschichte ist kurios. Rimšēvičs sieht sich als Opfer einer Kampagne lettischer Banken, denen er unbequem geworden sei. Kaum hatte die lettische Antikorruptionsbehörde Knab sein Büro durchsucht, da ging der russischstämmige Haupteigner der lettischen Bank Norvik mit weiteren Beschuldigungen an die Öffentlichkeit: Rimšēvičs habe Geld von ihm erpressen wollen. Die Antikorruptionsbehörde Knab sagt allerdings, ihre Ermittlungen gegen Rimšēvičs hätten weder mit Norvik noch mit ABLV zu tun. Verwickelt sei eine Bank, die heute keine Geschäfte mehr in Lettland mache. Nun wird spekuliert, ob es sich womöglich um die frühere Problembank Trasta Komercbanka handelt.

Das lettische Verteidigungsministerium spricht von einer Kampagne von außen, um Lettlands Ruf zu schaden. Es deutet auf Russland, ohne es konkret zu nennen. "Russland ist opportunistisch, wenn es einen Skandal im Baltikum sieht, wird es Öl ins Feuer gießen", so Latkovskis. "Aber gestartet hat es diese Sache nicht."

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