Finanzaufsicht Eiopa:Tiefe Löcher bei Betriebsrenten

Das Vermögen für Betriebsrenten ist um 428 Milliarden Euro zu gering.

Von Herbert Fromme, Frankfurt

Die niedrigen Zinsen zeigen nicht nur bei privaten Lebensversicherungen ihre verheerende Wirkung, sie führen auch zu potenziell großen Problemen in der betrieblichen Altersversorgung. Das ergibt eine Untersuchung der EU-Finanzaufsicht Eiopa in Frankfurt. Sie hat Vermögen und Verpflichtungen von 204 Pensionskassen, Pensionsfonds und ähnlichen Einrichtungen in 17 EU-Ländern untersucht.

Das Ergebnis: Schon Ende 2014 - dem Ausgangspunkt der Untersuchung - lagen die Verpflichtungen um 428 Milliarden Euro über den Vermögen der Einrichtungen. Kommt es zu negativen Entwicklungen der Kapitalmärkte, den sogenannten Stress-Szenarien, könnte diese Lücke theoretisch 773 Milliarden Euro betragen.

Zum Auftrag der EU-Behörde gehört es, regelmäßig Musterrechnungen für Krisensituationen vorzunehmen. Dabei fürchtet die Eiopa-Führung, dass Zahlen aus Modellrechnungen falsch verstanden werden und Panik auslösen. Eiopa-Präsident Gabriel Bernardino war deshalb auch sichtlich bemüht, die Ergebnisse zu relativieren. "Es handelt sich nicht um ein Projekt, um für einzelne Einrichtungen ein Zeugnis auszustellen, also bestanden oder durchgefallen", sagte er. Eiopa wolle nur mögliche Schwachstellen früh identifizieren.

Arbeiter

Die Niedrigzinsen haben negative Auswirkungen auf deutsche Betriebsrenten.

(Foto: Thomas Imo/photothek)

Wenn man, anders als Eiopa, die heute gültigen, von Land zu Land unterschiedlichen Bilanzregeln zugrunde legt, dann hatten die Einrichtungen Ende 2014 etwa 78 Milliarden Euro mehr Verpflichtungen als Vermögen, das sind moderate fünf Prozent aller Verpflichtungen. Allerdings sind diese Regeln notorisch großzügig bei Zukunftsannahmen zu den Zinsen. Eiopa hat eine eigene Methode der Bewertung entwickelt, die nach Ansicht der Behörde mit realistischeren Annahmen rechnet. Unter dieser Voraussetzung betrug die Differenz Ende 2014 satte 428 Milliarden Euro oder 24 Prozent. Im Extrem kann die Differenz bis auf 773 Milliarden Euro anschwellen, warnt Eiopa. Das sei denkbar, wenn Immobilienpreise und Aktienkurse kräftig fallen, die Zinsen niedrig bleiben und es zu einer weltpolitischen Krise kommt.

"Vor allem die niedrigen Zinsen wirken sich negativ aus", sagte Bernardino. Er versuchte, den gewaltigen Zahlen etwas von ihrer Wucht zu nehmen. "Man muss berücksichtigen, dass die Verpflichtungen sehr langfristig sind", sagt er. Wenn es in Zukunft zu Lücken komme, könnten die in der Regel ausgeglichen werden - durch höhere Beiträge von Unternehmen und durch eine "Adjustierung der Auszahlungen", also eine Reduzierung der Betriebsrenten.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat an dem Stresstest mitgearbeitet. Sie sieht "große Herausforderungen" für die hiesigen Betriebsrentensysteme - erst recht, wenn die Kapitalmärkte einbrechen. "Es ist davon auszugehen, dass es in diesen Fällen zusätzlicher Zahlungen der Arbeitgeber bedürfte, um die Leistungen zu erbringen, die sie oder die Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung den Versorgungsberechtigten versprochen haben", ließ Frank Grund verlauten, Chef der Versicherungsaufsicht. Bei Pensionsfonds sei die Möglichkeit zusätzlicher Zahlungen von Arbeitgebern in der Regel in den Pensionsplänen vorgesehen. Bei Pensionskassen greife meistens die im gesetzlich verankerte Haftung des Arbeitgebers für die zugesagten Leistungen. Das heißt: Im Krisenfall müssten die Unternehmen zahlen.

Regierung will Unternehmen bei Pensionen helfen

Die Bundesregierung berät an diesem Mittwoch über eine Änderung der Regeln zur Berechnung von Pensionsrückstellungen. Der Vorschlag, der der SZ vorliegt, soll die negativen Folgen der Niedrigzinsen für die Bilanzen von Unternehmen abschwächen. Für die Kalkulation des Zinssatzes zur Berechnung von Rückstellungen für Betriebsrenten sollen die vergangenen zehn Geschäftsjahre zugrunde gelegt werden statt wie bisher sieben Geschäftsjahre.

Die Unternehmen berechnen Rückstellungen, indem sie die voraussichtlichen Kapitalerträge von den voraussichtlichen Gesamtverbindlichkeiten abziehen, Abzinsung heißt das. Bei der Abzinsung wird ermittelt, was für einen Wert eine in der Zukunft fällige Zahlung heute hat. Wegen des Niedrigzinses fällt dieser Wert immer höher aus. Die Unternehmen müssen also immer mehr Geld in der Bilanz zurückstellen, um die irgendwann einmal fälligen Renten stemmen zu können. Mit der Änderung soll der Trend verlangsamt werden.

Ende 2015 lag der Durchschnittszinssatz für eine Rückstellung mit einer Restlaufzeit von 15 Jahren bei 3,89 Prozent, nach 4,53 Prozent Ende 2014.

Für den Betrag, den die Unternehmen aufgrund der Änderung weniger zurückstellen müssen, sieht der Änderungsvorschlag ein Ausschüttungsverbot vor. Das Geld soll im Unternehmen verbleiben und so das Eigenkapital stärken. Der Betrag ist außerdem in der Bilanz gesondert auszuweisen.

Die neuen Regeln gelten ausschließlich für Rückstellungen für Betriebsrenten und greifen erstmals für das Geschäftsjahr 2016. Wenn Unternehmen wollen, können sie die neue Berechnungsart aber bereits für ein Geschäftsjahr anwenden, das nach dem 31. Dezember 2014 begonnen hat.

Die Änderung wird im Rahmen des Umsetzungsgesetzes der Wohnimmobilienkreditrichtlinie auf den Weg gebracht, das den Bundestag in erster Lesung passiert hat. Das Bundesjustizministerium erwartet, dass das Gesetz im Laufe des ersten Halbjahrs 2016 in Kraft treten könnte.

Jonas Tauber

Aber auch die Bafin weiß, dass genau das eine negative wirtschaftliche Entwicklung noch beschleunigen würde. Grund gibt dennoch Entwarnung für die heutigen und künftigen Betriebsrentner: "Es ist davon auszugehen, dass die Anpassungsmaßnahmen der Unternehmen - gegebenenfalls verbunden mit zusätzlichen Zahlungen der Arbeitgeber - in aller Regel sicherstellen werden, dass die den Versorgungsberechtigten versprochenen Leistungen erfüllt werden können."

Die Grünen sehen die Lage dramatischer. "In Deutschland fehlen mindestens 15 Milliarden Euro", erklärte Sven Giegold, Sprecher der Grünen im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments. Unter Krisenszenarien betrage die Lücke sogar 33 Milliarden Euro. "Dabei sind nur 57 Prozent des deutschen Marktes erfasst." Giegold verlangt ein Ende der "Vogel-Strauß-Politik" bei Lebensversicherungen und betrieblicher Altersversorgung und mahnt eine offene Diskussion über die Deckungslücke durch die niedrigen Zinsen an. "Es ist nicht akzeptabel, die Probleme einfach in die Zukunft zu verschieben."

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