Fifa:Großkonzern im Gewand eines Sportvereins

Protest against World Cup 2014

Proteste gegen die Fifa in Brasilien

(Foto: dpa)

Zwangsumsiedlungen und andere Respressionen: Während die Fifa mit der Fußball-WM steuerfreie Milliarden verdient, handelt sie in den Gastgeberländern verantwortungslos. Es ist überfällig, dass sie als das behandelt wird, was sie ist.

Ein Kommentar von Danuta Sacher

Danuta Sacher

Vorstandsvorsitzende des internationalen Kinderhilfswerks Terre des Hommes

Heftige Proteste begleiten den Beginn der Fußball-WM in Brasilien. Dabei kann nach den ersten Spielen zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass die Brasilianer Fußball nicht mögen. Wird hier also ein internationales Sportgroßereignis von Regierungsgegnern für innenpolitische Zwecke genutzt?

Die Proteste beziehen sich sehr konkret auf Entscheidungen und Maßnahmen während der WM-Vorbereitungen. So mussten mindestens 170 000 Menschen dem Neu- und Ausbau von Stadien, Straßen, Flughäfen und anderen Infrastrukturmaßnahmen weichen, Tausende Familien wurden für Jahre in einfachste Hütten ohne Strom und Wasser zwangsumgesiedelt, die im Volksmund als "Mikrowellen" bezeichnet werden, da sie sich bei Sonne unerträglich aufheizen. Jede Räumung ist ein gravierender Eingriff in die Familienbiografien und reißt Lebens- und Arbeitszusammenhänge auseinander.

Ähnliches wiederholt sich regelmäßig bei jedem Sportgroßereignis. So wurden für die Olympischen Spiele in Seoul 1988 rund 720 000 Menschen umgesiedelt, in Peking 2008 waren es sogar mehr als eine Million. Studien belegen, dass solche Entwurzelungen das Armutsrisiko der Familien stark erhöhen und insbesondere Kinder in ihrer Entwicklung gefährden.

"Säuberungsaktionen" gegen Straßenkinder

Eine andere Quelle des Protests ist die Verbannung von Straßenhändlern aus dem Umkreis der Stadien. Wie bereits in Südafrika bei der letzten WM, dürfen innerhalb stadionnaher Zonen ausschließlich lizenzierte Produkte der Fifa-Sponsoren vertrieben werden. Das schafft Not und Armut und ist ein Foul an Zehntausenden Familien, die an ihrem volkswirtschaftlich relevanten Beitrag zur Überlebensökonomie der armen Bevölkerungsmehrheit gehindert werden.

Besondere Gefahren gehen von sogenannten Säuberungsaktionen für Straßenkinder aus. So wurden 2010 in Südafrika Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Lager gebracht, in denen sie Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren.

Schätzungen über die Gesamtkosten der WM für den öffentlichen Haushalt Brasiliens liegen zwischen 6,5 und 9,8 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr der Summe, die im ganzen Jahr 2013 für das brasilianische Sozialhilfeprogramm Bolsa Familia ausgegeben wurde, mit dem 50 Millionen Menschen unterstützt werden. Im deutschen Vergleich entspricht die unterste Schätzung von 6,5 Milliarden Euro dem gesamten Jahresbudget des Bundesministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, also der Jahressumme sämtlicher internationaler Entwicklungshilfe Deutschlands.

Diese Fakten erfordern es, den Blick auf den Gast in Brasilien zu richten - die Fifa. Grundlage für Vorbereitung und Durchführung der WM-Turniere ist ein sogenanntes Pflichtenheft, das die brasilianische Regierung und die Fifa bei Vertragsabschluss unterzeichneten. Die brasilianische Regierung hat sich damit auf die Fifa-Regularien verpflichtet. Die Fifa ist wiederum der Eigentümer der globalen Marke Fifa World Cup© und erzielt ihre Einnahmen aus Übertragungsrechten, Sponsoren-, Lizenz- und Werbeverträgen.

Die direkten Gewinne der Veranstaltung Fifa World Cup kommen nicht dem Gastland zugute, sondern der Fifa - steuerfrei, denn die Fifa ist nach schweizerischem Recht als gemeinnützig anerkannt und somit von Steuerzahlungen befreit. Mit der letzten Weltmeisterschaft 2010 hat der Verband etwa 3,5 Milliarden US-Dollar eingenommen.

Globaler Konzern im Gewand eines Sportvereins

Die Fifa ist also im Grunde ein weltweit agierender Konzern, ihr Produkt Fußball-Weltmeisterschaft ist ein milliardenschweres Geschäftsmodell, das sie als transnational tätiges Unternehmen im Gewand eines Sportvereins durchführen lässt. Einzigartig sind dabei besonders zwei Aspekte des jetzigen Geschäftsmodells, nämlich die vollständige Finanzierung der Infrastruktur durch das Gastland und die vollständige Verantwortungs- und Straffreiheit für die sozialen Kosten der Großveranstaltung.

Es ist mehr als überfällig, dass die Fifa als das behandelt wird, was sie ist - ein transnationaler Konzern mit Verantwortung für die gesamte globale Wertschöpfungskette ihres Produkts Fifa World Cup©.

Konkret bedeutet dies, dass die Fifa dieselben Regeln unternehmerischer Verantwortung zu respektieren und umzusetzen hat, wie es von anderen international tätigen Unternehmen erwartet wird. So wie Textil-Handelsunternehmen Verantwortung für die Produktionsbedingungen ihrer Hersteller tragen, muss dies auch für die Fifa und ihr Produkt Fußball-WM gelten.

Die Fifa muss zuallererst bei sich selbst anfangen

Dies bedeutet eine Steuerpflicht auch in den Austragungsländern, vor allem aber auch die Mitverantwortung für Repression gegen Straßenkinder, für von Räumungen entwurzelte Menschen, für die toten Arbeiter auf den Baustellen der geplanten WM 2022 in Katar.

Es geht dabei keineswegs darum, die Regierungen von Brasilien oder Katar aus der Verantwortung zu entlassen, sondern darum, umgekehrt den Auftraggeber und Verkäufer Fifa in die Verantwortung für die "Produktionsbedingungen" seines Produkts Fifa World Cup© reinzuholen.

Umfassende Menschenrechts- und Sozialstandards gehören als verpflichtender Teil in jedes Vertragswerk mit den jeweiligen ausrichtenden Regierungen, ebenso wie die unabhängige Überwachung und Sanktionierung bei Verstößen. Sportgroßereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft als Beitrag zu sozialer Inklusion und zur Förderung sozial und wirtschaftlich nachhaltiger Entwicklung des Gastlandes - das wäre doch eine schöne Aussicht.

Damit Kinder und Arme in den Planungen von Sportgroßereignissen künftig nicht nur als Sicherheitsrisiko vorkommen, ansonsten nach Spielende unsichtbar bleiben und jahrelang den hohen Preis für diese Großveranstaltungen bezahlen, hat die internationale Hilfsorganisation Terre des hommes das Vorhaben "Children Win - Changing the Game of Mega Sporting Events" ins Leben gerufen. Ziel ist, einen umfassenden Schutz der Interessen von Kindern bei Sportgroßereignissen - zu allererst bei Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen - zu gewährleisten.

Am 11. März dieses Jahres kündigte Fifa-Präsident Sepp Blatter an, die Fifa werde bei der Vergabe von Fußball-Weltmeisterschaften die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Ländern künftig stärker in Betracht ziehen. Das greift zu kurz: Es wird Zeit, dass die Fifa zuallererst bei sich selbst anfängt und ihr verantwortungsfreies und anachronistisches Geschäftsmodell umzubauen beginnt. Auch das ist die Botschaft der Protestierenden in Brasilien.

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