Fiat-Spaltung: Scheidung auf italienisch:Eins zu null für den Rambo

Nach der Aufspaltung von Fiat gilt Konzernchef Sergio Marchionne in Italien als Rambo. Doch nach der Börse jubiliert nun auch die Wirtschaftspresse des Landes.

Ulrike Sauer, Rom

Fiat-Chef Sergio Marchionne macht aus seinen Vorlieben keinen Hehl. "In den Vereinigten Staaten wird gehandelt, in Italien geredet", mokierte Marchionne sich vor den Beschäftigten des Chrysler-Werks in Kokomo, US-Bundesstaat Indiana, über das Heimatland von Fiat. Vor anderthalb Jahren, im Krisensommer 2009, hatte er durch den Einstieg Fiats bei Chrysler die Führung des Detroiter Pleite-Unternehmens erlangt. Nun feiern sie ihn in Kokomo im Beisein von Präsident Barack Obama mit Standing Ovations für seine Erfolge.

Sergio Marchionne

Fiat-Chef Sergio Marchionne muss sich Geld für seine gewaltigen Investitionsprojekte beschaffen.

(Foto: AP)

Marchionne wäre nicht Marchionne, würde er in Italien seine Ansichten in einer anderen Tonart vertreten. Rücksichtslos drischt der Italo-Kanadier dort auf den Industriestandort Italien ein, auf die Verkrustungen des Landes, seine Wandlungsverweigerung und den Hang zu endlosen Debatten. Der kulturelle Feldzug gegen die Beharrungskräfte lenkte den Manager nicht vom Handeln ab. Marchionne sorgte in Turin dafür, dass 2011 vom alten Fiat-Konzern nicht viel übrig bleiben dürfte.

Zwar werden auch die kommenden zwölf Monate arm an neuen Auto-Modellen, dafür aber reich an strukturellen Konzernneuerungen sein. Am Neujahrstag vollzog sich die Scheidung zwischen dem traditionellen Autogeschäft mit den Marken Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Ferrari und Maserati sowie einigen Zuliefererfirmen und dem Rest des Konzerns. Am ersten Börsentag startet das Autounternehmen Fiat allein ins Jahr 2011.

Mehr Bewegungsfreiheit für die Konzernteile

Auf dem Mailänder Kurszettel taucht am Montag erstmals Fiat Industrial auf. Unter dessen Dach gliederte Marchionne den Nutzfahrzeugbauer Iveco und den Land- und Baumaschinenhersteller CNH aus. Auf die Trennung hatten Investoren schon seit Jahren gedrängt, um den potenziellen Wert der Sparten an der Börse besser auszuschöpfen.

Der Fiat-Chef verfolgt vorrangig einen anderen Zweck. Ihm liegt daran, den Konzernteilen mehr Bewegungsfreiheit zu geben. "Endlich ist das Auto frei", sagte Marchionne, als die Fiat-Aktionäre im September der Zerschlagung zustimmten. Unabhängig voneinander können sich die einzelnen Unternehmen flexibler entwickeln und sich besser auf die jeweiligen Kerngeschäfte konzentrieren, wirbt der Mann, der nach seinem Antritt in Turin 2004 Italiens größten Industriekonzern vor dem Untergang bewahrt hat.

An der Börse kam Konzernzerleger Marchionne gut an. Die Fiat-Aktie legte im abgelaufenen Jahr um 50 Prozent zu. In Europa entwickelte sich nur die BMW-Aktie besser, obwohl viele andere Autohersteller im Gegensatz zur schrumpfenden Fiat-Produktion ihren Absatz deutlich steigerten. Der Kursanstieg von Fiat vollzog sich fast vollständig nach dem 21. April, an dem die Aufspaltung angekündigt wurde. Trotz des Höhenflugs trauen Analysten den jetzt zwei Fiat-Aktien noch Wertsteigerungen zu.

Die neue Freiheit "kann den Weg für neue Partnerschaften oder strategische Weiterentwicklungen auf verschiedenen Geschäftsfeldern ebnen", erwartet man bei Unicredit in Mailand. Marchionne böte die neue Lage eine Vielzahl von Optionen, argumentieren die Analysten. Sowohl bei der Baumaschinensparte von CNH als auch bei Iveco seien Operationen denkbar. Der Börsengang des Sportwagenherstellers Ferrari ist angedacht, der von Chrysler fest angepeilt. Auch die Integration zwischen Fiat und Chrysler ist zu vertiefen. Weil strategische Entscheidungen erwiesenermaßen eine Stärke Marchionnes seien, könne der Umsetzung einer der potenziellen Optionen "mit Optimismus entgegengesehen werden", meinen die Autoexperten der Mailänder Bank.

Hauptgewinner waren die Agnellis

Doch die gewonnene Freiheit ängstigt Italien. Hauptgewinner der Fiat-Spaltung waren 2010 die Agnellis. Die Familienholding Exor, über die Italiens mächtigste Industriedynastie 30 Prozent von Fiat kontrolliert, steigerte ihren Aktienwert um 84 Prozent. Exor legte damit im vergangenen Jahr die beste Kursentwicklung an der Mailänder Börse hin. Seit Jahren fürchtet man in Italien, dass sich der Turiner Gründerclan aus dem krisenanfälligen und ertragsschwachen Autogeschäft davonstehlen und dann eine weitere Schlüsselindustrie in ausländische Hände fallen könnte.

Gewiss erweiterten die von John Elkann, Enkel des legendären Fiat-Patriarchen Gianni Agnelli, angeführten Erben ihren Handlungsspielraum. Ihnen würde es heute leichter fallen, sich aus dem harten Auto-Wettbewerb in rentablere Sparten zurückzuziehen. Oder etwa ihre Beteiligung am Nutzfahrzeughersteller Iveco zu versilbern. Gerüchte über Verkaufsverhandlungen zwischen Fiat und Daimler um die Industriesparte beunruhigten im Frühherbst italienische Beobachter.

Mit Iveco und CNH sei Fiat Industrial "einer der wenigen Konzerne mit multinationaler Aufstellung von Europa bis Amerika, die noch unter italienischer Flagge aktiv sind", bemerkte die Tageszeitung La Repubblica. Ein Rückzug des Hauptaktionärs aus Turin wäre für das Gewicht Italiens im Welthandel ein Schlag. Der Trend der Deindustrialisierung würde verstärkt. "In den Händen der Agnellis liegt heute eine entscheidende Partie für die industrielle Zukunft des Landes", warnte das Blatt. Was gut ist für die Agnellis, sei nicht mehr unbedingt gut für Italien. Im Gegenteil.

Unerhört: Fiat fühlt sich in Italien fremd

Der einst überschwänglich gefeierte Konzernretter Sergio Marchionne ist den Italienern längst nicht mehr geheuer. Mehr als ein Jahrhundert war die Fabbrica Italiana Automobili Torino (FIAT) eines der mächtigsten Symbole der Einheit des Landes. Nun erklärt der Mann im Pullover seit dem Sommer barsch, welch eine Zumutung es sei, in Italien Autos zu bauen. Kein einziger Euro Gewinn falle dabei ab. Anders als in den Fiat-Werken in Brasilien oder Polen etwa. Das ist etwas unfair, denn die Bestseller lässt der Emigrantensohn Marchionne in ausländischen Fabriken montieren. Und Ferrari verdient in Maranello glänzend. Seine Drohung, Italien zu verlassen, meint der Manager ernst. Fiat fühlt sich in Italien fremd, das ist so neu wie unerhört. Ausgerechnet Fiat.

Die neue Doppelexistenz an der Börse wird den Autohersteller nun stärker den zyklischen Markttrends unterwerfen. Fiat ist zum ersten Mal in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte ein reines Autounternehmen, dessen Schwächen nicht mehr durch andere Sparten kompensiert werden. Irgendwie aber muss sich Marchionne das Geld für sein riesiges Investitionsprogramm beschaffen. Darum auch hören die Spekulationen über einen Verkauf des Verlustbringers Alfa Romeo an Volkswagen nicht auf. Wird Fiat Ferrari an die Börse bringen oder einen Partner in die Luxustochter aufnehmen? Wird der Zulieferer Magneti Marelli abgestoßen? "Auf meiner Liste steht nichts Verbotenes", sagt der Sohn eines Carabiniere, der in den sechziger Jahren aus den Abruzzen nach Kanada auswanderte. Und testet den Markt.

Konzentriert arbeitet Marchionne 2011 auf den Ausbau der Fiat-Beteiligung an Chrysler zunächst von 20 auf 35 Prozent hin. Später soll der Anteil auf 51 Prozent steigen. Damit einhergehen soll eine zunehmende Produktintegration. In Europa werden bald die ersten amerikanischen Modelle der Marken Fiat und Lancia auf den Markt kommen. 2012 haben die ersten gemeinsam entwickelten Autos Premiere. Auf dem amerikanischen Markt debütiert im Januar das Retro-Modell Fiat 500 und 2012 der erste Alfa Romeo. Im Turiner Stammwerk Mirafiori, einst das Herz von Fiat, soll ein neues Gemeinschaftsunternehmen mit Chrysler die Produktion eines SUV-Modells aufnehmen.

Wesentlich flexiblere Produktionsbedingungen

Die amerikanische Wende führte in Turin zum Mauerfall. Kurz vor Weihnachten einigte sich Marchionne gegen den Widerstand der größten italienischen Metallgewerkschaft Fiom mit den anderen Arbeitnehmervertretungen auf wesentlich flexiblere Produktionsbedingungen und eine Einschränkung der Rechte der Mirafiori-Beschäftigten. Die Vertragsrevolution soll drastische Kostensenkungen ermöglichen. Im Gegenzug steckt Fiat eine Milliarde Euro in die 71 Jahre alte Fabrik.

Der separate Abschluss hat seinen Preis: Fiat schert aus dem Flächentarifvertrag aus und verlässt den italienischen Industriellenverband Confindustria, dessen Linie er über Jahrzehnte bestimmt hatte. Aus der Fiat SpA wird Fiat Inc.? "Man kann nicht so tun, als sähe man nicht, dass Fiat den Kopf in die Vereinigten Staaten verlegt", sagt Susanna Camusso, die Chefin des linken Gewerkschaftsbunds Cgil.

Marchionne erntet für seinen Rambo-Kurs aber auch Anerkennung. Das Mailänder Wirtschaftsblatt Il Sole 24 Ore, deren Verleger Confindustria ist, kürte ihn Silvester zum "Mann des Jahres". Der Automanager habe Italien daran erinnert, "dass in einer globalen Welt mit globalen Regeln gespielt wird".

Das Zusammengehen mit Chrysler zwingt die italienischen Fiat-Beschäftigten, sich anzupassen. Marchionne muss zur Umsetzung seiner ehrgeizigen Pläne die Finanzmärkte davon überzeugen, dass Fiat/Chrysler wettbewerbsfähig ist - auch in seinem italienischen Teil. "Fiat ist inzwischen eine amerikanische Geschichte", konstatiert der Publizist Federico Rampini.

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