Ferrostaal-Chef Mitscherlich:Geschasst in Essen

Ende eine erbitterten Machtkampfes: Matthias Mitscherlich, Sohn des berühmtesten Psychoanalytiker-Ehepaares und Ferrostaal-Chef, muss gehen.

H. Leyendecker u. K. Ott

Der Vorstandschef der in Essen ansässigen Ferrostaal AG, Matthias Mitscherlich, hat kein großes Kontor mit Vorzimmer. Er arbeitet im Großraumbüro, wie die anderen Mitarbeiter auch. Wer mit ihm sprechen möchte, linst über die Stellwand, um zu schauen, ob der Boss da ist und ob er gerade Zeit hat. Da macht mancher Chef einer Klitsche viel mehr Getue um sich.

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Ein ungewöhnlicher Konzernchef: Matthias Mitscherlich, Sohn der berühmten Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlich, verliert seinen Job bei der Essener Ferrostaal. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn, weil er in eine Schmiergeldzahlung verwickelt sein soll.

(Foto: Foto: dpa)

Der Arbeitsplatz des 61-jährigen Top-Managers wird aber wohl bald verwaist sein. Anfang kommender Woche tagt der Aufsichtsrat des Konzerns, und Mitscherlich, der noch einen Vier-Jahres-Vertrag hat, soll sein Amt verlieren. Das Unternehmen, das weltweit Maschinen und vieles andere verkauft, ist in eine Korruptionsaffäre verwickelt. Ferrostaal soll etwa bei Geschäften mit U-Booten Regierungen geschmiert haben, unter anderem in Griechenland. Auch gegen Mitscherlich wird ermittelt.

Aufsichtsratschef Georg Thoma, ein Düsseldorfer Anwalt, betreibt deswegen den Rauswurf des Konzernchefs. Dessen Ablösung ist beschlossene Sache. Aus dem Umfeld des Kontrollgremiums heißt es, man habe drei Kandidaten für Mitscherlichs Nachfolge, mit denen man rede. Zwei seien in der engeren Wahl, einer sei sofort verfügbar: "Es wird kein Vakuum geben."

Systematische Bestechung

Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen rund ein Dutzend Ferrostaal-Manager. Das Essener Unternehmen, das oftmals für andere deutsche Konzerne Großaufträge anbahnt und abwickelt, soll über Jahre hinweg 180 Millionen Euro für Berater ausgegeben haben. Auf diesem Weg war bei Siemens bestochen worden. Ob das auch für Ferrostaal gilt, ist noch unklar, doch die Münchner Ermittler sind sich ihrer Sache sicher. Ihr Kronzeuge ist ein langjähriger Ferrostaal-Angestellter aus Schwaben, der in Augsburg angeklagt ist. Er hat zugegeben, von einem kleineren Zulieferer Schmiergeld kassiert zu haben. Und er hat nach mehr als einem halben Jahr Untersuchungshaft geplaudert, wie Ferrostaal systematisch bestochen habe. In Portugal, Griechenland, Ägypten, Kolumbien, Argentinien und Indonesien.

Erbitterter Machtkampf

Mitscherlichs Abgang ist nicht nur deshalb eine ungewöhnliche Personalie, weil der schlaksige Hüne der Sohn der Psychologen Margarete und Alexander Mitscherlich ist, deren gemeinsam verfasste Bücher wie "Die Unfähigkeit zu trauern" Generationen beeinflusst haben.

Der anstehende Rauswurf ist auch das Ende eines erbittert geführten Machtkampfs zwischen dem bisherigen Konzernchef und Aufsichtsratschef Thoma. Mitscherlich hätte Anfang des Jahres gern den in Krisen-Angelegenheiten erfahrenen ehemaligen Chef-Diplomaten Jürgen Chrobog an der Spitze des Kontrollgremiums gesehen. Thoma blieb aber, und fortan war das Klima vergiftet.

Mitte April schickte Thoma dem Vorstandschef, wie aus Aufsichtsratskreisen verlautet, einen zehnseitigen Brief mit Vorhaltungen und Fragen zur Korruptionsaffäre. Wenn Mitscherlich nur einen dieser Punkte nicht ausreichend beantworten könne, müsse er mit der fristlosen Kündigung rechnen, soll ihm Thoma gedroht haben. Mitscherlich soll ausführlich geantwortet und versucht haben, die Vorwürfe zu widerlegen.

Eine verdächtige Unterschrift

Dass er gehen muss, zeichnete sich bereits bei Verhandlungen mit der Münchner Staatsanwaltschaft ab. Die wollte ursprünglich 120 Millionen Euro kassieren und so die mutmaßlichen Gewinne bei durch Korruption erlangten Aufträgen abschöpfen. Mittlerweile fordern die Münchner 240 Millionen Euro. Bei einer ersten Zusammenkunft hatte Mitscherlich noch mit am Tisch gesessen, ebenso wie Thoma. Der führte in einer zweiten Gesprächsrunde alleine Regie, der noch amtierende Konzernchef war da bereits entbehrlich geworden.

Ferrostaal, dpa

Ferrostaal ist ein ungewöhnliches Unternehmen. Der Konzern plant weltweit Großprojekte, hilft Kunden im Vertrieb und agiert oft als eine Art Zwischenhändler.

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Irritiert verfolgen die Abgesandten des Ferrostaal-Mehrheitsaktionärs IPC, eines Staatsfonds aus Abu Dhabi am Persischen Golf, den Fall. Die Araber, die vom Aufsichtsratschef Thoma anwaltlich beraten werden, halten seit März vergangenen Jahres 70 Prozent der Anteile an Ferrostaal. Die übrigen 30 Prozent liegen noch beim Lastwagen-Konzern MAN in München, der einstigen Mutterfirma von Ferrostaal.

Ein ungewöhnliches Unternehmen

Der Staatsfonds aus Abu Dhabi prüft offenbar zwei Wege, um Schäden durch die Affäre zu vermeiden. Nummer eins: die Rückgabe der Ferrostaal-Aktien an MAN und die Rückerstattung des Kaufpreises.

Option zwei: MAN überlässt seine restlichen 30 Prozent an Ferrostaal den Arabern kostenlos und haftet für eventuelle Schäden aus der Korruptionsaffäre. Für MAN kommt aber keine der beiden Lösungen in Frage. Die Araber sollen zwar beim Einstieg in die Essener Firma versucht haben, im Vertrag eine Klausel durchzusetzen, wonach MAN für Schmiergelddelikte haften und notfalls Ferrostaal zurücknehmen müsse. Die Münchner sollen das jedoch abgelehnt haben. Sie wähnen sich auf der sicheren Seite.

Ferrostaal ist ohnehin ein ungewöhnliches Unternehmen. Der Konzern plant weltweit Großprojekte, hilft Kunden im Vertrieb und agiert oft als eine Art Zwischenhändler. Kein Auftrag ist wie der andere; Korruptionsgeschichten hat es immer wieder gegeben. Die Abläufe in der jetzigen Affäre sind nicht immer leicht nachvollziehbar. Nach Siemens-Vorbild hatte die Firma Mitte September 2009 unter Leitung der Düsseldorfer Kanzlei Heuking eine sechzigköpfige Ermittlungsgruppe gegründet, die insgesamt zwölf Ferrostaal-Projekte prüfte, um die Ergebnisse dann den Münchner Strafverfolgern präsentieren zu können. Geprüft wurden unter anderem auch die Umstände beim Verkauf von U-Booten nach Griechenland in den neunziger Jahren. Im Februar 2010 übergaben die Firmen-Ermittler der Münchner Staatsanwaltschaft einen Zwischenbericht.

Überweisung über elf Millionen Euro

Den Heuking-Unterlagen zufolge hatte ein Konsortium, zu dem neben Ferrostaal auch die Howaldtswerke Deutsche Werft AG gehörte, beim U-Boot-Geschäft mit Griechenland zwischen 2000 und 2003 exakt 83,97 Millionen Euro an eine Beraterfirma gezahlt. Eine Menge Geld. Der damalige Leiter der Steuerabteilung bei Ferrostaal hatte "Bedenken bzw. Vorbehalte" beim Finanzvorstand und bei Mitscherlich angemeldet. Es fehle an einer "ausreichenden Dokumentation" des Vorgangs, schrieb er. Auch störte ihn, dass das Geld auf ein Konto in der Schweiz überwiesen werden musste. Die Heuking-Leute hingegen notierten, die Beraterfirma habe viel Arbeit geleistet und sei erfolgreich gewesen.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Deren Kronzeuge hat ausgesagt, bei dem U-Boot-Geschäft mit Griechenland seien dort Amtsträger bestochen worden. Das sei über jene Beraterfirma gelaufen, die diese 83,97 Millionen Euro kassiert habe. Als die Staatsanwälte Ferrostaal durchsuchten, stießen sie auch auf einen von Mitscherlich unterschriebenen Überweisungsauftrag in Höhe von elf Millionen Euro. Die Strafverfolger lasten dem Konzernchef daher an, in eine Schmiergeldzahlung verwickelt zu sein.

Der Vorgang ist kompliziert. Wegen des griechischen U-Boot-Geschäfts hatten die Hintermänner einer weiteren Beraterfirma aus der Karibik zusätzliche 67 Millionen Euro Honorar verlangt, was Mitscherlich erst ablehnte. Als die Firma aus der Karibik beim Landgericht Essen Klage einreichte, riet eine von Ferrostaal eingeschaltete Anwaltskanzlei wegen eines erheblichen Prozessrisikos zu einem Vergleich. Ein Mittelsmann aus der Schweiz schlug elf Millionen Euro vor, die Mitscherlich akzeptierte. Er glaubte, Ferrostaal 55 Millionen Euro gerettet zu haben. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie geht dem Verdacht nach, die elf Millionen Euro seien eine weitere Schmiergeldzahlung gewesen.

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