Fernbusse:Nächster Halt Straßenrand

Fernbus gegen Bahn

Für dringend benötigte Fernbus-Haltestellen fehlt das Geld. Bild: Szene aus Dresden

(Foto: Arno Burgi/dpa)
  • Der Fernbusverkehr wächst - aber die Infrastruktur nicht. Immer mehr Busbahnhöfe sind überlastet.
  • Bund, Länder, Kommunen und Anbieter streiten darüber, wer für Investitionen verantwortlich ist. Für die Unternehmen steht dabei vieles auf dem Spiel.
  • Die Unternehmen müssen jede Ausweitung ihres Fahrplans genehmigen lassen. Neuerdings stocken die Verfahren immer häufiger.
  • Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags schlägt eine Bus-Maut vor.

Report von Benedikt Müller

Am Sonntagabend wird die Gummersbacher Straße zum Nabel der Welt. Vier Fernbusse halten gleichzeitig am Straßenrand in Köln-Deutz. Einer öffnet die Gepäckklappe zur Straße hin, Reisende laden munter ein und aus. Hupend kommt der Stadtbus angefahren, doch ein Kollege der Langstrecke blockiert seinen Haltepunkt. Die Fahrer beschimpfen sich. Es ist der ganz normale Wahnsinn.

Früher war die Gummersbacher Straße ein stiller Ort: Friedhof, Trainingshalle, Kleingärten. Zum nächsten Bahnhof läuft man eine Viertelstunde. Doch seitdem das Busterminal am Kölner Hauptbahnhof überlastet ist, weichen immer mehr Fernbusse auf das Provisorium aus. Es gibt dort weder Toiletten noch Überdachungen. Nachbarn beschweren sich über Müll und Fäkalien in den Vorgärten.

Wie in Köln-Deutz sieht es in vielen Großstädten aus: Provisorien haben sich zu Knotenpunkten entwickelt - zulasten der Anwohner und der Verkehrssicherheit. Die Liberalisierung des Fernbusverkehrs vor zwei Jahren hat viele Entscheidungsträger kalt erwischt. Im ersten Jahr seit Freigabe kletterte die Zahl der Fahrgäste sprunghaft von 3,0 Millionen auf 8,2 Millionen. Im Jahr 2014 hat sie sich noch einmal verdoppelt, schätzt der Bundesverband deutscher Omnibusunternehmer (BDO). Offizielle Zahlen gibt es erst im Februar. Nur ist die Infrastruktur vielerorts nicht mitgewachsen. Immer mehr Busbahnhöfe sind überlastet.

Haltestellen sind große Kritikpunkte

Bund, Länder, Kommunen und Anbieter streiten darüber, wer für Investitionen verantwortlich ist. Für die Unternehmen steht dabei vieles auf dem Spiel. "Der Ausbau der Haltestellen ist die größte Herausforderung für unser weiteres Wachstum", sagt ein Sprecher von Meinfernbus, "deshalb wünschen wir uns Nachbesserungen." Am Freitag wollen Meinfernbus und Flixbus Details zu ihrer geplanten Fusion vorstellen. Zu einer Firma verschmolzen, werden die Pioniere noch mehr Druck auf die Politik ausüben. Denn der Zustand der Haltestellen ist auch für die Reisenden der größte Kritikpunkt am deutschen Fernbussystem, wie eine Befragung des Iges-Instituts zeigt. Geht es nach den Anbietern, wäre der Ausbau Aufgabe der Städte.

Dabei berufen sie sich auf das Bundesverkehrsministerium. Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) zufolge sind die Kommunen für den Bau und Betrieb von Busbahnhöfen zuständig. "Es ist deren Aufgabe, ihre Infrastruktur an die verkehrlichen Bedürfnisse anzupassen", schreibt sie in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Auch die Landesregierungen sieht der Bund in der Pflicht. Nur sich selbst nicht. Die Verkehrsminister der Länder und der Deutsche Städtetag schieben den Schwarzen Peter weiter. Zwar stünden die Kommunen dem zusätzlichen Fernbusangebot durchgängig positiv und aufgeschlossen gegenüber, sagt Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, "aber sie sind nur für Busbahnhöfe des Nahverkehrs zuständig". Fernverkehr sei dagegen Bundessache. "Der Gesetzgeber hat die Liberalisierung des Fernbusmarktes beschlossen, aber versäumt, sich Gedanken über die Finanzierung der Fernbushaltestellen zu machen," sagt Articus. Nun werde das Netz halt privat betrieben. Keine Stadt könne gezwungen werden, in Busterminals zu investieren.

Wer in deutschen Großstädten aus dem Fernbus steigt, erlebt unterschiedliche Standards: Die Frankfurter Haltestelle ist ähnlich kümmerlich ausgestattet wie die in Köln-Deutz. In Stuttgart sind Provisorien überlastet. Nur in München und Hamburg gibt es moderne Busbahnhöfe. Eine Sonderstellung nimmt die Hauptstadt ein.

Ein Freitagnachmittag in Berlin-Charlottenburg. Am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) fahren in einer Stunde 20 Fernbusse ab. Fast alle gelben Plastiksitze in der Wartehalle sind belegt. Der ZOB wurde 1966 eröffnet, damals als Brückenkopf für den Busverkehr nach Westdeutschland. Seit der Wiedervereinigung starten hier viele Busse nach Osteuropa. Nun kommen immer mehr Fernbusse dazu. Seit 2013 stieg die Zahl der Abfahrten auf mehr als das Doppelte. Zwar haben die Verkehrsbetriebe aufgerüstet: digitale Abfahrtstafel, Toiletten, Verkehrshäuschen. Doch es gibt einfach nicht genug Halteplätze.

Parklücke gefunden

Für viele Reisende ist der Münchner Busbahnhof das Nonplusultra: moderne Haltestellen im Erdgeschoss, darüber vier Etagen mit Büros und Läden. Das alles in Blickweite des Hauptbahnhofs. Nach der Eröffnung 2009 standen viele Flächen zunächst leer, Händler beschwerten sich über zu wenig Laufkundschaft. München hat groß gedacht - und Glück gehabt: Seit dem Fernbus-Boom macht das Rote Kreuz regelmäßig Gewinne mit dem Betrieb des Busterminals.

Immer mehr Großstädte schreiben den Betrieb ihrer Fernbushaltestellen aus, zuletzt die Stadt Hannover. Dort bewirtschaftet das Busunternehmen Deutsche Touring das Terminal nahe dem Hauptbahnhof. Ein Zehntel der Nettoeinnahmen verlangt die Stadt als Pacht. Dennoch ergeben sich profitable Geschäftsmodelle: mit der Vermietung von Läden und Gastronomie. Zudem können sie mit den Linien-Anbietern Haltegebühren aushandeln. In München etwa kostet ein halbstündiger Aufenthalt sieben Euro pro Bus. Auch die Deutsche Bahn will auf einigen bahnhofsnahen Grundstücken künftig Busterminals betreiben. Andere Städte lassen den zentralen Busbahnhof dagegen von den eigenen Verkehrsbetrieben bewirtschaften, darunter Berlin und Hamburg.

Dagegen geht beim Neubau von Busbahnhöfen bislang nichts ohne die öffentliche Hand. Zwar setzen Städte auf private Partner, müssen aber selbst Millionen beisteuern. So hat die Stadt Hamburg drei Viertel der 16-Millionen-Investition Bus-Port gestemmt. Die Stadt München hat das Grundstück des heutigen ZOB auf eigene Kosten gekauft. Inzwischen wurde die ursprünglich 60 Millionen Euro teure Immobilie an den Konzern Wealth Cap weiterverkauft. Benedikt Müller

Im Durchschnitt kommen jeden Monat zehn neue Fernbuslinien hinzu

Bis Ende März 2014 waren laut Bundesverkehrsministerium 247 Fernbuslinien in Deutschland genehmigt worden. Jeden Monat kommen etwa zehn neue dazu - mit dem Segen der Behörden. Denn die Unternehmen müssen jede Ausweitung des Fahrplans genehmigen lassen. Die zuständige Landesbehörde hört alle Städte an, in denen der Anbieter halten will. Geht alles glatt, vergehen bis zur Entscheidung drei Monate.

Neuerdings stocken die Verfahren immer häufiger - vor allem wegen überlasteter Haltestellen. So verhindert etwa die Stadt Köln, dass noch mehr Busse am Hauptbahnhof halten. Neue Verbindungen müssen raus an die Gummersbacher Straße. In Berlin wickelt der ZOB nur noch 80 bis 90 Prozent des Fernbusverkehrs ab. Der Rest verteilt sich auf Haltepunkte wie am Südkreuz, wo die Deutsche Bahn neuerdings ein Busterminal betreibt. Der geplante Ausbau des ZOB verzögert sich.

Für die Unternehmen sind die Genehmigungsverfahren ein neuralgischer Punkt. Der Beratungsgesellschaft KCW zufolge muss ein Anbieter schon Monate vor dem Antrag einen sechsstelligen Betrag investieren, damit der Betrieb später schnell anlaufen kann. Kommt die Genehmigung nicht rechtzeitig oder nur modifiziert, kostet das im Konkurrenzkampf Geld und mögliche Marktanteile.

Meinfernbus kämpft hart für mehr Halteerlaubnisse, beispielsweise in Stuttgart. Im Mai 2013 hat das Unternehmen die Genehmigungsbehörde in Karlsruhe verklagt, nachdem ihm weitere Fahrten von Karlsruhe über Stuttgart nach München verwehrt wurden, weil der Busbahnhof in Stuttgart-Vaihingen überlastet sei. Meinfernbus sieht das anders. Es ist ein Präzedenzfall: Das Urteil wird zeigen, wie viel Kontrolle die Städte über ihre Fernbushaltestellen haben. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

Busunternehmen fürchen sich vor Verbannung in die Vorstadt

Der Fernbus-Boom hat die Pläne der Stadt Stuttgart durchkreuzt. Erst im März 2010 war der ZOB am Hauptbahnhof geschlossen worden, weil er für "Stuttgart 21" Platz machen musste. Nun steuern die vielen Fernbusse Provisorien wie Vaihingen oder Zuffenhausen an. Dort beschweren sich Stadtbusfahrer über Fernbusse, die unerlaubt im Weg stünden. Politiker berichten von "sanitären Problemen". Die Polizei patrouilliert. Willkommen im jungen Fernbusland Deutschland.

Der Plan der Stadt: Von 2016 an sollen alle Fernbusse nur noch am Flughafen halten dürfen - 13 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Die S-Bahn-Fahrt dauert eine halbe Stunde und kostet 3,70 Euro, was für das sparsame Buspublikum nicht wenig ist. Ein Sprecher der Stadt entgegnet: "Eine Haltestelle für die Fernbusse im Zentrum, die die Interessen der Unternehmen und der Stadt vereint, gibt es nicht."

ADAC Postbus und Flixbus

Bushaltestelle Köln-Deutz: Das Terminal am Hauptbahnhof ist überlastet, darum müssen die Fernbusse hier am Provisorium halten, zum Ärger der Anwohner.

(Foto: Horst Gal/dpa)

Auch die Stadt Köln hat beschlossen, die Fernbusse komplett an den Flughafen zu verfrachten. Dieser sei für die Anbieter viel besser zu erreichen, argumentiert Klaus Harzendorf, Leiter des Amts für Straßen und Verkehrstechnik. Zwar müssten Reisende künftig für 2,80 Euro eine Viertelstunde mit der S-Bahn in die Innenstadt fahren. "Aber ich glaube nicht, dass die Fernbusse deshalb auch nur einen Kunden verlieren werden", sagt er.

Wer zahlt für neue Busbahnhöfe?

Die Unternehmen befürchten das Gegenteil: Je mehr Aufwand vor und nach einer Fahrt nötig sei, desto weniger Menschen würden sich für das Verkehrsmittel entscheiden. "Die Attraktivität der Mobilitätsalternative Fernbus steht und fällt mit der Erreichbarkeit der Haltestellen", sagt André Schwämmlein, Geschäftsführer von Flixbus. "Eine Haltestelle am Flughafen, bei der das ÖPNV-Ticket in die Innenstadt mehr kostet als die gesamte Fernbusreise, ist für unsere Kunden keine Alternative."

Bei der Lösung des Haltestellenproblems hatte sich die Stadt Köln beim Land Nordrhein-Westfalen nach Zuschüssen erkundigt. Doch die Landesregierung wartet ab. Zwar berichtet sie in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von "erheblichen Problemen mit der erforderlichen Haltestelleninfrastruktur". Terminals seien "oftmals gar nicht vorhanden, zu klein, nicht überdacht, nicht barrierefrei und nicht verkehrssicher". Regelmäßig komme es "zu chaotischen Zuständen beim Fahrgastwechsel". Doch das Land fordert die Unternehmen auf, "für ordnungsgemäße Fernbushaltestellen" zu sorgen. Das sei jedenfalls nicht Landessache - zumal noch unklar sei, wie sich der Markt entwickle.

Auch der scheidende Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Reinhard Meyer (SPD), sieht die Länder nicht in der Pflicht. "Der Fernbusverkehr ist bewusst eigenwirtschaftlich konzipiert", sagt der schleswig-holsteinische Minister. "Das heißt, dass die Anbieter keine staatliche Unterstützung bekommen." Wenn einzelne Städte zusätzliche Haltestellen schaffen, sei das allein deren Sache.

Auch der scheidende Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Reinhard Meyer (SPD), sieht die Länder nicht in der Pflicht. "Der Fernbusverkehr ist bewusst eigenwirtschaftlich konzipiert", sagt der schleswig-holsteinische Minister. "Das heißt, dass die Anbieter keine staatliche Unterstützung bekommen." Wenn einzelne Städte zusätzliche Haltestellen schaffen, sei das allein deren Sache.

Der Deutsche Städtetag begrüßt zwar, dass etwa München und Berlin den Ausbau ihrer Busbahnhöfe voranbringen. Doch vom Großteil der Kommunen dürfe man das nicht erwarten. "Durch Haltegebühren, Miet- und Werbeeinnahmen kann der Betrieb eines Busterminals zwar kostendeckend sein", sagt Articus. "Eine Erweiterung bestehender Busbahnhöfe oder ein Neubau ist aber nur mit Zuschüssen möglich." Viele Städte müssen dermaßen sparen, dass sie Investitionen ohne gesetzliche Grundlage gar nicht tätigen dürfen. Klarheit kann hier nur der Bund schaffen.

Doch bislang duckt sich das Bundesverkehrsministerium weg - auch um nicht selbst tätig werden zu müssen. Längst fordert der Deutsche Städtetag Zuschüsse für Investitionen in Fernbushaltestellen. Finanzieren könne der Bund das mithilfe einer Bus-Maut, schlägt Articus vor. Schließlich wäre der Bus nach Einführung einer Pkw-Maut das einzige Verkehrsmittel, das keine Infrastrukturabgabe leisten müsste. Zudem pochen die Städtevertreter auf mehr kommunale Mitbestimmung in den Genehmigungsverfahren.

Viele Städte sind enttäuscht vom Bund

Die meisten Kommunen begrüßen, dass der Fernbus-Boom neue und bezahlbare Mobilitätsalternativen bietet. Doch viele Städte fühlen sich vom Bund im Stich gelassen, der die Liberalisierung als seinen Erfolg verkauft, aber keinen Cent investiert.

Besonders deutlich wird das in Frankfurt. Dort hat sich ein Parkplatz nahe dem Hauptbahnhof zu einem Knotenpunkt im Fernbusnetz entwickelt. Die Ausstattung ist miserabel. Die Stadt berichtet von "chaotischen und teilweise auch brenzligen Verkehrssituationen". Verkehrsdezernent Stefan Majer (Grüne) will, dass das Provisorium zu einem richtigen Busbahnhof ausgebaut wird. Doch die Investitionen sind hoch, denn das Grundstück gehört einem österreichischen Unternehmen - und ist aufgrund seiner Lage mehrere Millionen Euro wert. So viel Geld will niemand in die Hand nehmen. Die Stadt werde das Gelände nur kaufen, argumentiert Majer, wenn sich der Bund oder die Unternehmen beteiligen. Doch das passiert nicht, und die Probleme bleiben. Im Sommer haben die Verkehrsbetriebe ein paar Bänke und Schilder aufgestellt. "Immerhin ein Fortschritt", witzelt ein BDO-Sprecher.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: