Ferdinand Piëch und die Leidenschaft für Macht und Motoren:Der Herbst des Auto-Kraten

Stahlblaue Augen und ein messerscharfer Führungsstil: Wie der Porsche-Enkel im VW-Konzern herrscht - und nicht mehr teilen möchte.

Stefan Klein

Zell am See, im Dezember - Die kleine Kapelle am Hang ist über und über mit gelben Rosen geschmückt, so üppig, wie es nur Leute tun, bei denen es auf einen Euro mehr oder weniger nicht ankommt. Gerade, dass man die Inschriften auf den Tafeln noch lesen kann. Es sind große Menschen, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, jedenfalls sagen das die Tafeln.

Ferdinand Piëch und die Leidenschaft für Macht und Motoren: Der Enkel: Ferdinand Piëch - Enkel des Porsche-Gründers Ferdinand Porsche.

Der Enkel: Ferdinand Piëch - Enkel des Porsche-Gründers Ferdinand Porsche.

(Foto: Foto: ddp)

Hier ruht der große Techniker und Erfinder, hier ruht der große Unternehmer, Vater Porsche, Sohn Porsche, und große Piëchs sind natürlich auch dabei. Alles Abkömmlinge der Autodynastie, und damit sie in der Ewigkeit nicht missen müssen, was sie zu Lebzeiten groß gemacht hat, befindet sich ein Stück unterhalb ihrer Gruft, gewissermaßen in Sichtweite, ein Porsche- und VW-Händler. Den hat vermutlich der liebe Gott da angesiedelt, als Scherz, als kleine Bosheit, wer weiß, aber den Verblichenen wird's recht sein. Einmal Auto, immer Auto, auch im Jenseits.

Das Land der Porsches

In Zell am See sind sie zu Hause, im Tod wie im Leben: Hier haben die Porsches Land und Häuser, hier sind sie beteiligt am Flugplatz und an einer Bergbahn, und wenn das gerade im Bau befindliche Kongresszentrum einmal fertig ist, wird es natürlich den Namen Porsche tragen, welchen sonst.

Die Verbindung zwischen dem Ort und dem berühmten Clan ist alt. Sie geht zurück auf den Anfang des vorigen Jahrhunderts, und im Krieg war Zell den Porsches und Piëchs ein willkommenes Refugium. Zwei Familien, viele Kinder, einen nannten sie Butzi, den anderen Burli, und der Butzi und der Burli rannten herum und sammelten die Messinghülsen von den Patronen der Fliegergeschütze. Wenn man die ablieferte, gab es eine Belohnung. Butzi hatte nicht so viele, er bekam nur einen Rot-Kreuz-Kasten. Burli hatte mehr, er bekam einen deutschen Stahlhelm. Er war erst sieben Jahre alt, aber schon damals ehrgeizig.

Burli, der Eifrige

Der Großvater der Jungen, Stammvater Ferdinand Porsche, war eine Berühmtheit. Er hatte für Hitler den Volkswagen entwickelt, der nach dem Krieg als Käfer zum millionenfachen Symbol des deutschen Wirtschaftswunders wurde.

Er hatte zwei Kinder, Louise und Ferdinand, genannt Ferry. Louise heiratete einen Rechtsanwalt namens Anton Piëch, und mit ihm zusammen betrieb der Alte den Ausbau des Volkswagenwerks im deutschen Norden, wo rund um das Werk etwas entstand, das "Stadt des KdF-Wagens" hieß, KdF wie Kraft durch Freude. Wolfsburg kam erst später.

Louise Piëch weigerte sich, mit den Kindern "da oben" zu wohnen, sie kam nur gelegentlich in den Schulferien zu Besuch. Burli, der Drittälteste, der eigentlich Ferdinand hieß, fand es aufregend in den Hallen, wo damals, mitten im Krieg, vor allem für die Rüstung produziert wurde. In dem Werk, sagte er zu seiner Mutter, wolle er später, wenn er groß wäre, einmal arbeiten.

Dass es so gekommen ist, dass, mehr noch, Ferdinand Piëch jetzt auf seine alten Tage das Werk des Großvaters zu vollenden und die längst zum Weltkonzern gewordene Autofabrik wieder in den Griff der Familie zu bringen scheint, ist eine Geschichte, die vom schier unaufhaltsamen Aufstieg eines Mannes handelt.

Eine Geschichte des Machtstrebens

Von den Anfängen bei Porsche (neun Jahre) über Audi (zwanzig Jahre) bis an die Spitze von VW, neun Jahre als Konzernchef und seit 2002 als Aufsichtsratsvorsitzender. Es ist eine Geschichte, in der aber auch von der Maßlosigkeit die Rede sein muss, von der Unerbittlichkeit, von der Kälte, der Härte, der Besessenheit und, natürlich, von dem unbedingten Willen, alles dem eigenen Machtstreben unterzuordnen.

Ferdinand Piëch hat sich für diese Geschichte nicht sprechen lassen, viele, die er als Opfer am Wegesrand zurückgelassen hat, wollten ebenfalls nicht reden. Einer sagte, er habe nach dem Rausschmiss so lange gebraucht, seinen Seelenfrieden wieder zu finden, den wolle er nicht gefährden. Wer redete, tat dies, bis auf wenige Ausnahmen, unter der Bedingung, dass er nicht namentlich zitiert wird.

Der Herbst des Auto-Kraten

So viel Angst, und doch hat Piëch manchen geradezu magisch angezogen. So wie zum Beispiel den jungen Ingenieur Walter Treser. Piëch war da noch bei Audi in Ingolstadt, aber er hatte in Konstrukteurskreisen schon einen Ruf. Er hatte, zuvor bei Porsche in Stuttgart, mit Rennautos Aufsehen erregt, und Treser fand das imponierend.

Ferdinand Piëch und die Leidenschaft für Macht und Motoren: Der Mächtige: Ferdinand Piëch mit Gerhard Schröder bei der Verleihung der niedersächsischen Landesmedaille 1997.

Der Mächtige: Ferdinand Piëch mit Gerhard Schröder bei der Verleihung der niedersächsischen Landesmedaille 1997.

(Foto: Foto: AP)

Man traf sich am alten Münchner Flughafen Riem, Treser sieht ihn noch, wie er mit einer Einspritzpumpe unter dem Arm aus dem Gebäude kam. Das Einstellungsgespräch fand im Auto statt. Piëch am Steuer, Treser daneben, hinten saß ein Audi-Ingenieur namens Bensinger. Treser sagte, er sei ehrgeizig, er wolle was werden bei Audi. Da sagte Piëch, und entscheidend war, wie er es sagte, langsam, die Worte wie mit dem Messer geschnitten, den Blick auf den Rückspiegel geheftet: "Das erwarten wir auch so von unseren Führungskräften, nicht wahr, Herr Bensinger."

Es ist lange her, aber Treser kann den Satz noch sprechen als wär's gestern gewesen. Heute lacht er darüber, damals hatte er ein Gefühl, als gefröre ihm das Blut in den Adern. Er wurde eingestellt, und zusammen mit Bensinger baute er den ersten permanenten Allradantrieb für einen Personenwagen, den Audi Quattro.

"Unter Piëch regierte das Messer"

Das war eine Leistung. Piëch hat sie vorangebracht, sie hat seinen Ruf gefestigt, aus dem biederen Mauerblümchen Audi ein flottes Auto gemacht zu haben. Treser indes blieb zurück am Wegesrand, verbittert, nachdem er unter unguten Umständen ausgeschieden war aus der Firma. Dabei gab es viele, mit denen Piëch ungleich grausamer umgesprungen ist. Eines von Piëchs Opfern, ein Manager der oberen Etage, der nach mehr als 20 Jahren VW-Betriebszugehörigkeit einige Jahre vor der Rente kalt abserviert wurde, sagt es so: "Unter Piëch regierte das Messer, es wurde abgestochen."

Der Chef stach freilich nie selber, das ließ er andere machen, die genau wussten, wenn einer fällig war. Es reichte eine beiläufige Bemerkung Piëchs, etwa von der Art: "Den brauchen wir da eigentlich nicht." So endeten Karrieren.

Wer nicht für Piëch war, sagt einer aus dem Aufsichtsrat, wurde beseitigt, so einfach. Andere gerieten gewaltig unter Druck, wenn etwas nicht so war, wie es sein sollte. Wenn zum Beispiel der Chef bei minus 30 Grad in Finnland beim Testen eines neuen Wagens eine Dichtung fitscheln hörte. So sagen Techniker, wenn Gummi auf Gummi reibt. "Das nächste Mal ist das weg", sagte er und schickte den gefürchteten, stahlblauen Blick hinterher. Der Betreffende wusste dann, dass es seine letzte Chance war.

Mit Druck Angst erzeugen, mit Befehlen Gehorsam erzwingen, mit Brutalität Widerstände brechen, das war der Stil, und dagegen kam keiner an. Piëch konnte es sich leisten, er besaß die Unabhängigkeit des mehrfachen Milliardärs.

Zwei km/h zu wenig

Es war an der Wolfsburger Teststrecke Ehra-Lessin. Ein neues Auto war zu testen, 230 Stundenkilometer war die Leistung, die es bringen sollte, und es war Piëch persönlich, der fahren würde. Alle großen und kleinen Manager waren angetreten, und wenn es vielleicht auch nicht so aussah, innerlich standen sie gewiss stramm. Piëch gab Gas, aber als er die Messstelle passierte, da zeigte die Leuchtschrift nur 228 Stundenkilometer an.

Piëch kam zurück, stieg aus, warf die Tür hinter sich zu, sagte: "Ich hab' doch 230 gesagt", und ging. Wortlos, grußlos, kein lobendes Wort über das neue Auto zu den Konstrukteuren, nur dieser eine Satz, leise, böse, verächtlich. So wie es vermutlich klingen muss bei einem, der sich selber als "kantig" beschreibt und sich als VW-Chef dazu aufgerufen fühlte, "den Laden richtig umzupflügen" und "rasch eine andere Kultur" einzuführen.

Was Piëch darunter versteht, hat er in seiner Autobiographie verraten. "Es ist nicht möglich", schreibt er da, "eine Firma immer auf der höchsten Harmoniestufe an die Spitze zu bringen." Das Maximum sei nur erreichbar, wenn man bis an die "menschliche Grenze des Erreichbaren" gehe.

"Ein bissl rekordsüchtig"

Bis an die Grenze oder auch darüber hinaus, denn bei Piëch - "ich bin ein bissl rekordsüchtig" - zählen allein die Superlative: das beste Auto, das schnellste Auto, das leichteste Auto, das sparsamste Auto. Was es für solche Höchstleistungen in Piëchs Augen braucht, wurde einem Abteilungsleiter klar, nachdem ihm der Chef erklärt hatte, dass er ihn in der Firma nicht weiter aufsteigen lassen werde. "Sie", hatte er zu dem gesagt und dabei die unterste Harmoniestufe eingeschaltet, "Sie werden bei mir nicht Vorstand, weil sich die Leute bei Ihnen wohl fühlen."

Angst und Verunsicherung aber, sagen langjährige Mitarbeiter Piëchs, hätten zu angepasstem Verhalten geführt, hätten Kreativität und Eigeninitiative verkümmern und Widerspruch verstummen lassen. "Eine Generation von Eunuchen" sei da herangezüchtet worden.

Der Herbst des Auto-Kraten

Ferdinand Piëch und die Leidenschaft für Macht und Motoren: Der Strippenzieher: Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender bei VW zwischen Ex-VW-Chef Bernd Pischetsrieder und VW-Markenchef Wolfgang Bernhard.

Der Strippenzieher: Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender bei VW zwischen Ex-VW-Chef Bernd Pischetsrieder und VW-Markenchef Wolfgang Bernhard.

(Foto: Foto: AP)

Als nach dem Abgang des Auto-Kraten Nachfolger Bernd Pischetsrieder mit seinen Kollegen diskutieren wollte, so hat einer beobachtet, "da konnten die das gar nicht, die hatten es verlernt". Eine andere Kultur, wie gesagt, und wo die geprägt wurde, lässt sich nur ahnen.

Es gibt ein altes Schwarzweißfoto vom jungen Ferdinand, zu dem passt, was der Autobiograph später über die "dauernde leise Angst" geschrieben hat, ob er es dem Vater wohl recht machen würde. Der Vater starb früh, es blieb die starke, außerordentlich geschäftstüchtige Mutter, die ihre vier Kinder auch später noch, als sie schon erwachsen waren, mittels Tischordnung wissen ließ, wessen Leistung sie gerade am meisten schätzte: Wer vorne lag, durfte zu ihrer Rechten sitzen. Für Sohn Ferdinand die ideale Blaupause: "Ich schätzte immer die am meisten, die am meisten leisteten."

Der Großvater als Fixstern

Und dann natürlich der alle und alles überstrahlende Stern des großväterlichen Genies, dessen Leuchtkraft gar nicht anders als einschüchternd gewesen sein kann. Und doch ist genau dies der Fixpunkt, an dem Enkel Ferdinand sich ausrichtet.

Er ist Legastheniker, er kann keine Fremdsprachen, der Lehrer sagt, er solle eine Lehre machen, zum Studieren sei er zu dumm. Das Internat, in das er geschickt wird, ist eines von der Sorte, wo gelobt wird, was hart macht. Am Ende studiert er doch, und er ist der erste aus dem Clan, der sein Technikstudium abschließt. Sie startet also besser als erwartet, die berufliche Laufbahn, sie hat nur ein Handicap: Es fehlt der Name. Ferdinand heißt Piëch, nicht Porsche.

Eine Familie, zwei Stämme, anteilsmäßig zwar verflochten, aber geschäftlich getrennt: Die Porsches, das sind die Sportwagenbauer aus Stuttgart, die Piëchs, das sind die Autohändler aus Salzburg, die mit dem Vertrieb von Volkswagen in Österreich und neuerdings auch auf dem osteuropäischen Markt das große Geld machen.

Das Namensproblem

Trotzdem war es selbstverständlich, dass der 26-jährige Jungingenieur Ferdinand Piëch 1963 bei seinem Onkel Ferry Porsche in Stuttgart ins Berufsleben einstieg - zunächst als Sachbearbeiter im Rennmotorenversuch. Als sich freilich Jahre später die Nachfolgefrage stellte und sich die Cousins deswegen in den Haaren lagen, da wusste Ferdinand, dass er keine Chance haben würde. "Ich selbst", schrieb er später, und es klang Bitterkeit mit, "kam für die Nachfolge nicht in Frage, es musste natürlich ein Porsche sein."

Umso mehr machte der Berufsanfänger in den Werkshallen Furore, und das Ergebnis konnte nur das "ultimative Tier unter den Rennwagen" sein. So nannte Piëch den von ihm verantworteten Porsche 917, ein Auto mit brutaler Kraft. In der Familie ereiferten sie sich über Ferdinands Größenwahn, und Hans Herrmann weigerte sich zeitweilig, das Auto zu fahren: "I steig net ein."

Ein Auto, das mit einem machte, was es wollte, das mal übersteuerte, mal untersteuerte, es war zum Fürchten, jedenfalls am Anfang. Hans Herrmann, der Rennfahrer, ist jetzt 78 Jahre alt, man findet ihn in seiner schwäbischen Heimat. Zum Siebzigsten haben sie ihm ein Buch gemacht, ein Leben für den Rennsport, viele Bilder sind darin, und eines, das blättert er hartnäckig herbei, weil er es so typisch findet für den frühen Piëch. Ein hagerer Mann im Regenmantel, wie er sich über einen Rennwagen beugt und Hand anlegt. " 'sisch einer, der schafft," sagt Herrmann. Es ist vermutlich das höchste Lob, das er zu vergeben hat.

Piëch, der Perfektionist

Nicht, dass der Besessene, der immer Leistung wollte, immer das Beste, ihm nicht gelegentlich auf die Nerven gegangen wäre. Als bei Langstreckenrennen die Anschnallpflicht eingeführt wurde, da ließ Piëch seine Fahrer das üben. Es waren diese Rennen, bei denen die Fahrer nach einem kurzen Spurt ins Auto hüpfen mussten, nun kam der Gurt dazu, und Piëch ließ das Sprinten und das Anschnallen so lange wiederholen, bis es nicht mehr schneller ging.

Den Fahrern kam das doof vor, aber am Ende, sagt Herrmann, seien sie dankbar gewesen, weil es nämlich ein paar Sekunden gespart habe. Oder die Sache mit dem Keilriemen. Jeder Fahrer musste ihn selber wechseln können, falls er es nicht mehr bis an die Box schaffen sollte. Absurd, fanden die Fahrer, aber Piëch bestand darauf. Herrmann sagt, Piëch habe selbst solche Situationen beherrschen wollen, die alle tausend Jahre mal vorkommen.

Es ist freilich ein bewundernder Unterton bei dem, was Herrmann erzählt. Arbeitstier, Perfektionist, rausholen, was möglich ist - was soll ungut daran sein? Dass er jetzt immer so viel Schlechtes über Piëch höre und lese, könne er sich nicht erklären - "ich kann es nicht bestätigen." Wie auch anders, Herrmann hat Piëch den krönenden Abschluss seiner Karriere zu verdanken - den ersten Sieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans, und zwar mit eben jenem Monstrum, das am Anfang kaum zu bändigen war. Ein Erfolg für Herrmann, ein Erfolg für Piëch, und wer hat wem gratuliert? Herrmann glaubt, dass er es war, der Piëch beglückwünschte - "zu dem Auto".

Auch wenn er nicht den Namen trägt, ein bisschen "Porschehaftigkeit", wie Piëch das nennt, ist eben immer dabei - und die Ehrfurcht entsprechend. Von Piëchs Vorgänger im Amt des VW-Vorstandsvorsitzenden, Carl Hahn, heißt es, er sei Piëch geradezu "knechtisch" ergeben gewesen. Hahns Vorgänger Toni Schmücker wiederum, der einer Arbeiterfamilie entstammte, sprach Piëch beim ersten Zusammentreffen nicht etwa an wie einen Untergebenen, der er ja war, sondern ganz im Gegenteil so, als entstamme er altem Adel: "Herr Piëch, wo sind Sie eigentlich erzogen worden?"

Der Herbst des Auto-Kraten

Das war ein Bückling vor der Dynastie, und den Dynasten wird es nicht gerade gebremst haben bei seinem weiteren Aufstieg. Triumphal 1992 der Abschied bei Audi. Dass Piëch zuletzt Autos vor allem für die Halde produziert hatte, war ein Problem, mit dem sich dann der Nachfolger herumschlagen durfte.

Das Muster wiederholte sich bei VW in Wolfsburg. Den reichlich maroden Laden mit 340.000 Mitarbeitern weltweit hatte Piëch wieder auf Linie gebracht, doch als er 2002 in den Aufsichtsrat wechselte, brachen auch dort die Zahlen ein. Die Hinterlassenschaft für den neuen Mann Bernd Pischetsrieder war aber auch sonst eine schwierige. Piëch hatte das Massenprodukt VW ein Stück nach oben in den Luxusmarkt zu schieben versucht, hatte die Edelmarke Bentley und Exoten wie Lamborghini und Bugatti dazugekauft und so nach Meinung von Insidern das Kerngeschäft vernachlässigt.

Aber welcher Vater kann schon seinem kleinen Sohn widerstehen? Während eines Osterurlaubs auf Mallorca hatte sich Sohn Gregor in einem Touristenladen für ein Spielzeugauto im Regal interessiert, einen Bugatti Atlantic. Der Vater fand, es sei ein "drolliger Fingerzeig" für die Akquisition der Marke.

Autos für's Wohnzimmer

Nun wird der Bugatti im VW-Konzern gebaut: 16 Zylinder, 1001 PS, von Null auf 300 in 17 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 407 Stundenkilometer, das schnellste Straßenauto aller Zeiten. Preis: mehr als eine Million Euro. Fast "zu schad" zum Fahren, fand Piëch, eigentlich mehr ein Kunstwerk, um es "ins Wohnzimmer auf den Perserteppich zu stellen und zu streicheln".

Technische Spielereien, sagt ein Aufsichtsrat abschätzig, andere sehen es genauso. Doch in den Entscheidungsgremien des Konzerns hatte Piëch keine Schwierigkeiten, seine Pläne durchzudrücken. Dass speziell die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat so brav mitgezogen hat, wirkt inzwischen nicht mehr so erstaunlich, seitdem man weiß, dass in der Ära Piëch die Betriebsräte mit fürstlichen Gehältern belohnt und auch sonst reichlich verwöhnt worden sind. Die Kosten für Luxusreisen und Bordellbesuche übernahm der Konzern.

Was da alles passiert ist, wird inzwischen von der Staatsanwaltschaft aufgearbeitet. Piëchs Weste ist noch unbefleckt von dem ganzen Schmuddel, doch dass er wirklich ahnungslos war, wird von vielen bezweifelt. Sonst freilich war Piëch, der überaus Misstrauische, bestens informiert. Er hatte in seinem Haus etwas aufziehen lassen, das einem klassischen Geheimdienst mit Spitzeln und Zuträgern ziemlich nahe kam.

"Angst und Schrecken"

Einem Topmanager ist es passiert, dass er von Piëch auf etwas angesprochen wurde, das er davor nur in einem Telefongespräch erwähnt hatte. Unter Piëch, sagt ein Aufsichtsrat, seien "Angst und Schrecken verbreitet" worden, die Leute hätten "alle die Hosen voll" gehabt. Am Ende dann freilich ganz sanfte Töne. Piëch redete von seiner Altersmilde und dass er sich, ahoi, aufs Segeln freue. Einmal um die Welt, und seine Funktion als Aufsichtsratschef könne er ja wahrnehmen, wenn er mal an Land gehe.

Dass er wirklich Ruhe geben würde, glaubten wenige. Dass der eigentliche Coup noch bevorstand, wusste keiner. Mit dem Einstieg von Porsche bei VW wird Ferdinand Piëch, der Mitbesitzer von Porsche, praktisch zum Herrn im Hause Volkswagen, und sollte Porsche, wofür einiges spricht, sein Aktienpaket demnächst noch vergrößern, dann hätte der Enkel endgültig den Bogen geschlagen zurück zum Großvater - und VW wäre wieder Familienbesitz.

Aber schon jetzt macht Piëch im Konzern so ziemlich, was er will. Interessenskonflikt? Ein Großaktionär bei Porsche könne nicht gleichzeitig Aufsichtsratschef bei VW sein? So steht es tatsächlich in einem Gutachten, das Piëchs Nachfolger Pischetsrieder in Auftrag gegeben hatte. Hätte er besser nicht. Ein Jahr später, im November 2006, war er seinen Job los. Piëch versteht sich nicht nur aufs Segeln, sondern auch aufs Jagen.

Streben nach dem Vorbild

Die eigentliche Jagd aber gilt einem, der seit mehr als fünfzig Jahren tot ist. Piëch macht sich gerne lustig über die "Hobby-Psychologen", die sein Leben und Streben vor dem Hintergrund des berühmten Großvaters zu deuten versuchen. Dabei reicht vermutlich der normale Menschenverstand, um in dem ruhelosen Sammeln von Rekorden und Superlativen das Bemühen zu sehen, einem Größeren gleich zu kommen - oder doch wenigstens nahe.

In Wolfsburg hat Piëch errichten lassen, was sich Autostadt nennt und in Wahrheit ein Denkmal ist für ihren Initiator. Die einzelnen Marken des Konzerns stellen sich dort dar, es gibt gläserne Türme mit den abholbereiten Wagen, es gibt Raum für Konzerte und Lesungen, und es gibt auch ein Museum. ZeitHaus sagen sie dazu.

Alle werden sie dort gefeiert, die Fords, die Horchs, die Benze - aber der Star ist Ferdinand Porsche. Der große Schatten ist immer da, und wie es sich darin lebt für den Enkel der Enkel, kann man nur vermuten. Ferdinand Piëch ist jetzt 69 Jahre alt, im kommenden April wird er 70. Er hat einen Ehrendoktor und ist Vater von mindestens zwölf Kindern. Einer ist darunter, der hörte schon als Siebenjähriger mit großen Ohren zu, wenn die Großen über Zylinder und Kurbelwellen redeten. So wie einst der Vater, als er noch klein war und nicht wusste, dass sein größter Gegner ein Schatten sein würde.

Vielleicht hat die Geschichte ja noch eine Fortsetzung in der nächsten Generation, wenn Ferdinand Piëch längst in Zell am See in der Familiengruft liegt. Er schreibt, er möchte am Ende, wenn es soweit ist, nichts bereuen müssen.

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