Familienunternehmen:60 plus X

Erfahrene Kollegen vorzeitig in Rente zu schicken, das können sich die Unternehmen nicht mehr lange erlauben - allein schon, weil Fachkräfte fehlen.

Björn Finke

Wenn die Mitarbeiter ihren Vorgesetzten Kurt Kemmerle sprechen wollen, treffen sie im Chefbüro nicht auf ihn allein, sondern auf zwei Abteilungsleiter. Kemmerle teilt sich das Arbeitszimmer mit seinem Co-Abteilungsleiter, noch bis Jahresende regiert eine Doppelspitze das 20-köpfige Team beim Münchner Luft- und Raumfahrtzulieferer Kayser-Threde.

Familienunternehmen: Viele Konzerne wollen und können auf ältere Mitarbeiter nicht mehr verzichten.

Viele Konzerne wollen und können auf ältere Mitarbeiter nicht mehr verzichten.

(Foto: Foto: ddp)

Im kommenden Jahr überlässt der heute 62-jährige Kemmerle dann die Führung komplett seinem jüngeren Partner an der Spitze - er selbst beginnt mit der Altersteilzeit, verringert seinen Einsatz auf 60 Prozent der Wochenstunden.

Die Doppelspitze am Ende seiner Laufbahn hält der promovierte Geophysiker für eine gute Idee: "Es ist wichtig, dass es einen stetigen Übergang gibt und Wissen nicht verlorengeht."

Den Firmen gehen die Fachleute aus

Gerd Bräunig ist der Verwaltungschef bei Kayser-Threde und daher für den Bereich Personal verantwortlich. Er stimmt Kemmerle zu: "Der Wissenstransfer zwischen Alt und Jung ist ein bedeutendes Thema, denn zahlreiche ältere Mitarbeiter werden bald aus dem Berufsleben ausscheiden." Zumal das Gros der etwa 250 Beschäftigten hochqualifizierte Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker sind, die viel Know-how weiterzugeben haben. Das Unternehmen liefert High-tech-Produkte für Raumstationen und Satelliten, zum Beispiel Messgeräte. Weil sich der Betrieb stark mit dem Thema demographischer Wandel befasst, ist er vom Bundesbildungsministerium mit einem Preis ausgezeichnet worden.

Dass die Gesellschaft immer älter wird, die Zahl der jungen Menschen also abnimmt und die der Älteren wächst, ist nämlich nicht nur für die Rentenversicherung eine Herausforderung, sondern auch für Firmen. 30 Prozent der Deutschen im erwerbsfähigen Alter sind heute älter als 50 Jahre; schon 2020 werden es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft 40 Prozent sein. Lediglich 18 Prozent seien dann jünger als 30 Jahre, heute sind es 20 Prozent.

Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen. So müssen sie ältere Beschäftigte länger im Betrieb halten, anstatt sie vorzeitig in den Ruhestand zu verabschieden. Da nicht mehr so viele junge Arbeitskräfte nachkommen, gehen den Firmen sonst die Fachleute aus. Ein Problem gerade für Mittelständler: "Wir brauchen auch in Zukunft qualifizierte Mitarbeiter", sagt Bräunig. "Aber der Kampf um junge Talente ist gegen die Konzerne bereits jetzt schwierig. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass die vorhandenen Spezialisten möglichst lange im Unternehmen bleiben."

Doch die Deutschen setzen sich im Schnitt schon mit 62 zur Ruhe - trotz der Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre. Lediglich jeder Zweite der 55- bis 64-Jährigen arbeitet. In Schweden dagegen sind 70 Prozent aktiv (Grafik). Immerhin: Die deutsche Quote hat sich im Vergleich zur Jahrtausendwende um ein Viertel verbessert; vom Aufschwung der vergangenen Jahre haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ältere Jobsuchende besonders kräftig profitiert.

Kein Vertrottelungsprozess

Das Vorurteil, Ältere seien generell weniger leistungsfähig als der Nachwuchs, stimmt nicht: Zwar nehmen Kraft und Reaktionsvermögen ab, dafür sind die reiferen Semester umsichtiger und vorausschauender, und sie punkten mit ihrem Erfahrungsschatz, wie Studien zeigen. Wichtig ist, dass Unternehmen den Arbeitsplatz altersgerecht gestalten und sich bei der Arbeitszeit flexibel zeigen. So bietet Kayser-Threde Rückenschulungen an und stellt Stehpulte zur Verfügung. "Und wer weniger arbeiten will, dem ermöglichen wir das", sagt Bräunig.

Allerdings sollten die Firmen bereits bei den jüngeren Kollegen ansetzen: "Man muss verhindern, dass Mitarbeiter mit einem Produkt mitaltern", erklärt Personalmanagement-Experte Thomas Zwick vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Wer 25 Jahre den gleichen Job mache, den könne man im Alter - wenn das Produkt, mit dem er sich beschäftigt hat, vom Markt verschwindet - schwer woanders einsetzen. "Bislang wurden solche Mitarbeiter vorzeitig in Rente geschickt, aber das klappt bald nicht mehr", sagt er. Daher müssten Betriebe Angestellte schon in jungen Jahren zwischen Abteilungen rotieren lassen. Weiterbildung ist ebenfalls nötig.

Setzen sich die Beschäftigten dann doch irgendwann zur Ruhe, müssen die Firmen sicherstellen, dass mit den Ausscheidern nicht auch deren Wissen verlorengeht. Zumal demnächst wegen des steigenden Altersdurchschnitts ein immer größerer Anteil der Belegschaft kurz vor dem Renteneintritt stehen wird. Kayser-Threde vertraut im Fall von Abteilungsleiter Kemmerle auf die Doppelspitze vor der Rente. Außerdem wird bei den Teams auf eine ausgewogene Mischung zwischen Alt und Jung geachtet. Das hat einen zusätzlichen Vorteil: "Man wird durch den Kontakt mit den Jüngeren stets mit Neuerungen konfrontiert", sagt Kemmerle. "Das ist gut, dann setzt kein Vertrottelungsprozess ein."

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