Familienunternehmen:Mythos und Realität

Die großen Familien verhalten sich wie Investoren, das ist gut.

Von Elisabeth Dostert

Die Mär vom Familienunternehmen geht so: Der Patriarch (seltener die Matriarchin) führt das Unternehmen in dritter, fünfter oder x-ter Generation. Er kümmert sich um das Wohl der Firma, weil davon auch das seine und das der Familie abhängt, und um das Wohl der Mitarbeiter, weil davon das Wohl der Firma und - logisch - das des Unternehmers und das seiner Familie abhängt. Er fördert den örtlichen Sportverein, dafür steht auf den Banden am Spielfeldrand oder auf dem Mannschaftsbus der Name der Firma. In selteneren Fällen ist er sogar Präsident des Klubs. Oder das Stadium trägt den Namen der Firma.

Der ideale Familienunternehmer singt im Kirchenchor, sitzt im Pfarrgemeinderat oder/und im Gemeinderat. Die reicheren Familienunternehmen bauen gerne auch mal ein Museum. Wenn im Heimatort ein denkmalgeschütztes Gebäude abbrennt, ist der Familienunternehmer als erster zur Stelle und gibt Geld für den Wiederaufbau. Sein leidenschaftliches Engagement für das eigene und das gemeine Wohl endet erst mit dem Tod. Mit dem Sohn (immer noch seltener der Tochter) wiederholt sich dann die Geschichte über Generationen und Generationen, denn der märchenhafte Familienunternehmer ist langfristig orientiert.

Dieses Bild ist idealisiert, aber es hält sich hartnäckig, weil sich Menschen nach Harmonie und Stabilität sehnen, die Familienunternehmer immer noch für sie verkörpern. Deshalb schrecken Nachrichten auf, die an diesem Image kratzen, etwa wenn sich Familien ganz von ihrer Firma lösen oder wesentliche Teile verkaufen. Das kommt vor. Vergangenes Jahr trennten sich die Oetkers aus Bielefeld von ihrer Reederei Hamburg Süd. Noch mehr Aufregung hätte es gegeben, wenn sie das Geschäft mit Pudding, Pizzen und Torten verkauft hätten, also Dinge des täglichen Bedarfs. Aber es ging nur um Containerschiffe. Für Aufruhr sorgte Anfang des Jahres die Schlagzeile: "C&A vor Verkauf an Chinesen." Der Textilhändler gehört der nicht kleinen mittlerweile globalen Familie Brenninkmeijer, sie stammt aus Mettingen in der Nähe von Osnabrück.

Wenn nicht mal mehr Familienunternehmen Traditionen wahren, ist dies das Ende der Stabilität und aller Werte?

Ist es nicht. Es ist ein gutes Zeichen.

Viele Familien mit großen Unternehmen und Vermögen, bei kleinen stellt sich die Frage weniger, verhalten sich heute wie professionelle Investoren, die ein Portfolio managen. Das hat viele Gründe. Mit der Größe der Familie und den Jahren lässt die emotionale Bindung zum Unternehmen nach, da fällt die Trennung leichter. Die Erben sind gut ausgebildet, sie haben die gleichen Universitäten wie Konzernmanager und Finanzinvestoren besucht; sie entscheiden auf Basis von Fakten und nicht von Gefühlen. Sie verkaufen, was keine Rendite mehr abwirft. Es mag Familien geben, die sich auf ihrem Vermögen ausruhen. Aber nicht wenige investieren nach dem Verkauf ihrer Unternehmen in Neues. Ein Beispiel sind die Zwillinge Thomas und Andreas Strüngmann, die nach dem Verkauf der von ihnen gegründeten Firma Hexal für mehrere Milliarden Euro ihr Geld in Biotech-Firmen steckten.

Die Brenninkmeijers haben über Jahre versucht, ihr Textilunternehmen selbst zu modernisieren. Das ist ihnen nicht gelungen, weil Konkurrenten wie Zalando oder Amazon schneller und mutiger waren und sind. Die Zeiten, in denen die Brenninkmeijer mit dem Verkauf billiger Konfektion in eigenen Läden den Handel umkrempelten, sind vorbei. Das war vielleicht um die Wende zum 20. Jahrhundert revolutionär, heute würde man sagen: disruptiv. Die Oetkers haben erkannt, dass Hamburg Süd auf Dauer zu klein ist, um auf einem derart zyklischem Markt wie der Schifffahrt alleine rumzuschippern.

Dass eine Familie einen Investor sucht, weil es ihr nicht gelingt, die Firma weiter erfolgreich zu führen oder es in der Familien keinen Erben gibt, der für die Nachfolge taugt, ist gut. Auch Familien und ihre Firmen müssen und sollen sich neu erfinden. Es ist kein Grund zum Jammern. Der Verkauf muss kein Nachteil sein, weder für die Beschäftigten, die einen neuen Arbeitgeber bekommen, noch für die Gemeinden, weil ein anderer nun die Steuern zahlt. Es gibt genügend Beispiele dafür, wie Unternehmer ihre Firma ruiniert haben, weil sie ihren Emotionen gefolgt sind und die Fakten ignorierten.

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