Familienunternehmen:"Das Vermögen ist nicht zu meinem Vergnügen da"

Ferdinand zu Castell-Castell über die Familie, Last und Lust des Reichtums und darüber, was der Wald über das Bankgeschäft lehrt.

Interview: Elisabeth Dostert

"Im Wald und im Wertpapiergeschäft gelten die gleichen Regeln", sagt Ferdinand zu Castell-Castell: "Die Anlagen mit den höchsten Risiken bringen die höchsten Erträge." Der 42-Jährige muss es wissen. Seine Familie hat jahrhundertelange Erfahrung und besitzt Tausende Hektar Land: Wald, Weinberge, Äcker - und eine Bank. Das Vermögen gehört den Linien Castell-Castell und Castell-Rüdenhausen, die zusammen die Familie und die Unternehmensgruppe Castell repräsentieren. Mit dem Bleistiftfabrikanten Faber-Castell sind sie weitläufig verwandt.

Familienunternehmen: undefined
(Foto: Foto: E.Dostert)

SZ: Graf Castell, Ihre Familie ist mehr als 950 Jahre alt ...

Castell: Alle Familien sind alt, nur die Geschichte unserer Familie lässt sich besonders weit zurückverfolgen - bis ins Jahr 1057, da wird der Name Rupert de Castello erstmals urkundlich erwähnt. Die Familie hat später immer genaue Aufzeichnungen gemacht über die Genealogie des Hauses, aber auch über den gesamten Vermögensstand. Wir hatten Glück, dass unser Archiv nie zerstört wurde. Früher waren die Unterlagen in Kisten mit zwei Griffen untergebracht, damit sie bei Gefahr wie Brand oder kriegerischen Bedrohungen von zwei Männern gerettet werden konnten. Jetzt lagert alles in unserem Archiv, dem ehemaligen Kurbad von Castell - rund eintausend laufende Meter Akten.

SZ: Hat Ihre Familie über die Jahrhunderte eine Überlebensstrategie entwickelt?

Castell: Es gab immer gute und schlechte Zeiten. Die Familie war sich nicht immer einig, es gab Streit, gute und schlechte Verwalter, ungeschickte Investitionen und immer wieder enormen Druck von außen: die Bauernkriege, den Dreißigjährigen Krieg, die beiden Weltkriege, es gab Wirtschaftskrisen. Wir waren nicht immer tüchtiger als andere. Dass es uns heute noch gibt, ist ein Gottesgeschenk. Dafür sind wir dankbar.

SZ: Sie sehen darin nicht das Ergebnis der eigenen Leistungskraft?

Castell: Jedenfalls nicht nur. Wenn nach dem Zweiten Weltkrieg die Zonengrenze 80 Kilometer weiter südlich gezogen worden wäre, hätte man uns enteignet, vertrieben, vielleicht sogar umgebracht. Es gab viele Familien in Thüringen und Sachsen mit einer ähnlichen Geschichte wie der unsrigen, die ihren Besitz verloren haben. Uns blieb dieses Schicksal erspart, weil wir in Franken leben. Dazu haben wir nichts beigetragen. Deshalb spreche ich von einem Gottesgeschenk, oder profaner gesagt: Glück.

SZ: Bisweilen auch Opportunismus, wie in der Zeit des Nationalsozialismus?

Castell: Wie weit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben auch wir uns im "Dritten Reich" den Zeitläufen angepasst. Nach Inflation und Weltwirtschaftskrise war man als Unternehmer mit der Verantwortung für mehrere Hundert Angestellte froh, dass es wirtschaftlich wieder aufwärts ging. Mein Großvater hatte durch sein Engagement für die fränkischen Reit- und Fahrvereine einen relativ hohen SA-Rang, weshalb unser Unternehmen nach dem Krieg auch für einige Jahre unter Kuratel gestellt wurde. Aber wir haben uns auch früher als andere mit unserer Geschichte im ,,Dritten Reich'' beschäftigt. Das war meinem Vater ein großes Anliegen.

SZ: Was haben Sie daraus gelernt?

Castell: Man sollte sich nicht um eines wirtschaftlichen Vorteils willen von seinen moralischen Grundsätzen trennen, auch wenn dies der Staat in verbrecherischer Weise sogar gesetzlich vorschreibt.

SZ: Hat Ihre Familie über die vielen Jahrhunderte eine Strategie entwickelt, Krisen zu meistern?

Castell: Es gibt kein geheimes, schwer leserliches Papier, das von Generation zu Generation weitergereicht wird. Aber es gibt sicher ein paar Grundsätze, wie unser Hausgesetz aus dem Jahr 1560, das die Unveräußerlichkeit des Stammgutbesitzes vorsieht, und es gibt noch mehr ungeschriebene Regeln, die Familie und Besitz zusammenhalten.

SZ: Welche?

Castell: Bis 1918 waren wir in Erbrechtsfragen autonom. Im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch stand, auf welche Familien das Erbrecht nicht anwendbar ist: Wir konnten die Erbfolge selbständig regeln, weil der Staat damals große Vermögen als stabilisierende Faktoren der Wirtschaft und Gesellschaft erhalten wollte. Seither gibt es zwar das Pflichtteilsrecht. Aber bei den vergangenen drei Erbgängen haben immer alle Geschwister auf ihren Pflichtteil verzichtet zugunsten eines Erben. In der Familie herrscht Einverständnis darüber, dass nur einer die Nachfolge antreten kann, damit der Besitz erhalten bleibt. Sonst wären wir heute kein lebensfähiges Unternehmen mehr.

SZ: Wer erbt alles?

Castell: Jahrhundertelang war das immer der älteste Sohn. In meinem Fall wurde zum ersten Mal davon abgewichen, weil mein ältester Bruder mit 21 Jahren tödlich verunglückte. Aber die weichenden Geschwister gehen nicht leer aus, sie erben Geld oder Immobilien. Das entspricht bei weitem nicht dem gesetzlichen Pflichtteil. Die Geschwister sichern damit die Zukunft des Unternehmens.

Lesen Sie weiter, wie Ferdinand zu Castell-Castell über seine Vorfahren denkt.

"Das Vermögen ist nicht zu meinem Vergnügen da"

SZ: Wie wurden Sie auf die Nachfolge vorbereitet?

Castell: Meine Geschwister und ich sind im Unternehmen aufgewachsen. Mein Vater hatte sein Büro im Wohnbereich des Schlosses. Morgens hat er zuerst in der Bibel gelesen, dann die Süddeutsche Zeitung und dann die Akten. Nur sein Sekretariat trennte das Büro vom Esszimmer der Familie. Für meinen Vater sind Unternehmen und Familie eins.

SZ: Wollte er, dass Sie Jura studieren?

Castell: Ich durfte studieren, was ich wollte. Ich sollte das Studium nur zu Ende bringen. Ich muss nicht selbst Bäume pflanzen oder Felder pflügen. Es war im süddeutschen Adel kaum üblich, den Betrieb selbst zu führen. Wir haben eine lange Tradition von Fremdmanagement. Adlige sind nicht mehr oder weniger talentierte Unternehmer als Bürgerliche. Häufig gilt ja die Grundregel: Die erste Generation baut die Firma auf, die zweite vermehrt es und die dritte ruiniert es. Wir haben auch deshalb überlebt, weil wir das operative Geschäft immer angestellten Managern überlassen haben. Deshalb gibt es das Unternehmen nun schon in der 26. Generation. Unternehmerisches Talent in jeder Generation weiterzuvererben, ist extrem unwahrscheinlich. Meine Vorfahren waren nicht alle große Leuchten.

SZ: Heute ist die Skepsis gegenüber angestellten Managern besonders groß, weil man ihnen häufig unterstellt, in erster Linie das eigene Einkommen zu maximieren.

Castell: Wir haben gute Erfahrungen gemacht. Fremdmanager sind etwas Wunderbares. Auch wir haben uns schon mal in einer Person geirrt, aber dann haben wir es schnell korrigiert. Unsere Bank wird seit mehr als 200 Jahren von angestellten Geschäftsleitern gemanagt. Die richtigen Menschen für das Tagesgeschäft zu finden, ist unsere wichtigste Aufgabe.

SZ: Was muss ein Manager für die Castell'sche Bank mitbringen, was er für die Deutsche Bank nicht braucht?

Castell: Er muss alles mitbringen, was er auch für eine börsennotierte Großbank braucht. Er muss etwas vom Geschäft verstehen. Darüber hinaus muss er sich für ein Familienunternehmen entscheiden.

SZ: Das heißt konkret?

Castell: Er muss als Vorstandsmitglied ständig mit den Inhabern in Kontakt bleiben und er muss akzeptieren, dass der Inhaber sich auch mal für einzelne Geschäftsvorgänge interessiert. Der Vorstand muss akzeptieren, dass die Mitarbeiter neben der Loyalität zu ihm auch loyal zum Inhaber sind. Die Führungskraft darf das nicht als Bedrohung empfinden. Die Fremdmanager müssen den gleichen langfristigen Ansatz für das Vermögen haben wie wir.

SZ: Wie groß ist Ihr Vermögen?

Castell: Den Marktwert könnte ich auch nur schätzen. Wie soll ich meine Weinberge bewerten? Wir haben knapp 70 Hektar Rebfläche, die stehen seit knapp 750 Jahren in der Bilanz. Da gibt es keinen Anschaffungswert und es gibt auch keinen Marktwert, weil wir der einzige große Weinbaubetrieb im Ort sind und ich keine Vergleichspreise für größere Flächen kenne.

SZ: Das glaube ich Ihnen nicht.

Castell: Es wäre für mich eine rein akademische Übung, den Wert unseres Waldes oder des sonstigen Vermögens auszurechnen, schließlich ist es ja nicht verkäuflich.

SZ: Warum nicht?

Castell: Wir betrachten unser Vermögen nicht als Eigentum, sondern als Besitz.

SZ: Juristisch gesehen ist es Eigentum.

Castell: Ja, aber wir behandeln es wie einen Besitz. Mit Eigentum kann ich tun und lassen, was ich will: Ich kann es verschenken, verkaufen oder zerstören. Der Besitzer darf die Sache nutzen, ist aber dem Eigentum verantwortlich. Ich glaube, dass diese Haltung aus dem mittelalterlichen Grundgedanken des Lehens kommt: Der Kaiser hat das Land von Gott, die Herzöge vom Kaiser und Grafen wie wir vom Herzog oder direkt vom Kaiser.

SZ: Das klingt altmodisch.

Castell: Für unsere Familie ist der Grundgedanke "Ich verwalte das Eigentum nur" sehr wichtig. Juristisch bin ich der Eigentümer und ich würde gegen jede Einschränkung kämpfen. Moralisch gesehen darf ich es nicht verkaufen. Mein Vater hat mir das Vermögen übergeben, um es zu pflegen, zu entwickeln, noch schöner und ertragreicher zu machen und es weiterzugeben. Es ist nicht zu meinem Vergnügen da: Der Wald ist nicht nur mein Jagdrevier, die Bank ist nicht meine Cashcow, meine Melkkuh, der Wein dient nicht meiner persönlichen Imagepflege.

Lesen Sie weiter, warum im Wald und im Bankwesen dieselben Regeln gelten.

"Das Vermögen ist nicht zu meinem Vergnügen da"

SZ: Empfinden Sie Ihr Vermögen bisweilen als Last?

Castell: Verantwortung zu tragen, ist immer Last, aber auch Vergnügen. Es ist doch toll, wenn man den Beruf seines Vaters ausüben kann und im Unternehmen aufgewachsen ist.

SZ: Ihre Familie besitzt Wald, Äcker, Weinberge und eine Bank. Von welcher Sparte würden Sie sich im Falle einer Krise am ehesten trennen?

Castell: Wir würden zunächst einmal unsere Lebenshaltung einschränken. Wir leben sehr schön, aber nicht in Saus und Braus. Wir haben keinen Privat-Jet, den wir verkaufen könnten. Mein Großvater ist in den 30er Jahren, da waren die Zeiten schlecht, für einige Jahre aus dem Schloss ausgezogen, um Lebenshaltungskosten zu sparen.

Ich möchte keine Sparte aufgeben. Die Diversifizierung hat sich über viele Jahrhunderte bewährt. Langfristig muss jede Sparte mit Gewinn arbeiten, aber wir müssen nicht Quartalsergebnissen hinterherhecheln. Die höchste Rendite liefert heute die Bank. Das Weingut ist ein Werbeträger für das ganze Haus. Der Wald erwirtschaftet nicht die höchste Rendite, aber er sorgt für Stabilität in der Gruppe. Wenn wir Geld brauchen, schlagen wir Holz. Es gibt viele Parallelen zwischen Wald und Bank.

SZ: Die müssen Sie erklären.

Castell: Die Anlagen mit den höchsten Risiken bringen die höchsten Zinsen.

SZ: Was heißt das konkret?

Castell: Seit dem 19. Jahrhundert haben wir hier vornehmlich Fichten in Monokultur gepflanzt. Der Baum ist eigentlich hier im Steigerwald nicht heimisch, doch er wächst schnell und bringt rasch Erlöse. Die Risiken aber hat niemand ausreichend in die Kalkulation einbezogen.

SZ: Welche Risiken?

Castell: Der Boden versauert, die Fichte hat einen flachen Wurzelteller und fällt bei Sturm leicht um. Sie ist anfällig gegen die hier auftretenden Arten des Borkenkäfers, den Buchdrucker und den Kupferstecher. Große Teile unseres Waldes sind davon befallen und wir müssen die Fichten fällen, lange bevor die Stämme dicker sind und wesentlich höhere Erträge abwerfen.

Jetzt pflanzen wir Mischwald, das ist sehr mühsam, denn der Boden auf den Kahlflächen ist trocken und das Wild verbeißt am liebsten die selteneren Jungpflanzen. Pro Hektar pflanzen wir zehn verschiedene Baumarten, Edelhölzer wie Eiche, Buche, Kirsche, Ahorn oder Elsbeere. Damit sinkt das Risiko eines Totalausfalls, aber wir müssen länger auf die Erträge warten. Was wir heute pflanzen, ernten unsere Enkel.

SZ: Und was hat das mit dem Bankgeschäft zu tun?

Castell: Im Wald wie im Wertpapiergeschäft gilt: Die Anlagen mit den höchsten Zinsen bringen - wenn es gut läuft - die höchsten Erträge, aber sie bergen auch die größten Risiken. Die Castell'sche Bank taucht in Boomzeiten in den Ranglisten der Kreditinstitute mit den höchsten Renditen im Wertpapiergeschäft nie ganz vorne auf, aber in schwachen Börsenzeiten auch nie ganz hinten.

SZ: Ihr Weingut gehört zu den größten in Deutschland, und Sie sind einer der größten privaten Waldbesitzer. Ihre Bank ist aber ein Winzling in der Bankenwelt. Hatten Sie nie Zweifel an ihrer Überlebensfähigkeit?

Castell: Doch. Vor rund 15 Jahren haben wir intensiv darüber nachgedacht, wie lange das noch mit einer Bank dieser Größe gutgehen kann. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Uns trifft jede Novelle des Kreditwesengesetzes genauso stark wie die Deutsche Bank, nur setzt die einen Stab mit 40 Mann dran. Sie trifft uns so stark wie jede Sparkasse, nur da kümmert sich der Verband. Wir müssen alles selber machen. Bei uns verteilt sich alles auf sehr viel weniger Mitarbeiter, auf sehr viel weniger Geschäftsvolumen und sehr viel weniger Konten.

SZ: Warum haben Sie die Bank trotzdem behalten?

Castell: Wir haben inzwischen akzeptiert, dass die Castell'sche Bank ein kleiner Nischenanbieter ist. Aber unsere Nische wird täglich größer. Krisen, wie wir sie gerade an den Finanzmärkten erleben, treiben uns die Kunden in die Arme. Viele Kunden entdecken jetzt den Wert einer familiengeführten Bank, die unabhängig entscheiden kann, der Stabilität wichtiger ist als Gewinnmaximierung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: