Fachkräftemangel:Arbeitsagentur gibt Asylbewerbern eine Chance

Asylbewerber dürfen in Deutschland nicht arbeiten. Dabei wollen sie gerne - und die Wirtschaft braucht sie. Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit brechen Arbeitsagenturen nun ein jahrzehntelanges politisches Tabu.

Von Uwe Ritzer, Augsburg

Die Taliban haben seinem Vater eine DVD geschickt, auf der Männern Hände, Arme und andere Gliedmaßen abgehackt wurden. Eine Warnung. So werde es auch seinem Sohn gehen, wenn er weiter für die ungläubigen Besatzer arbeite. Dann haben sie den Sohn selbst angerufen. Jetzt verlangten sie, dass er ihnen ab sofort genaue Beschreibungen der Militärkonvois durchgibt, die das Lager verlassen. Schließlich säße er am Eingangstor. Zwei Jahre lang hat Yusuf Anis dort als Übersetzer für amerikanische und britische Truppen gearbeitet. Bis sein Vater entschied, dass es für ihn zu gefährlich geworden sei und er Afghanistan verlassen müsse.

Vor einem Monat saß Yusuf Anis, 22, zum ersten Mal vor Levente-Lehel Kolumban. Der Mann mit dem hierzulande ungewöhnlichen Doppel-Vornamen kam selbst als junger Mann vor 20 Jahren aus Rumänien nach Deutschland. "Ich kann mich in Menschen wie Yusuf Anis hineinversetzen", sagt er.

Heute ist Kolumban als Vermittler in der Augsburger Agentur für Arbeit daran beteiligt, ein jahrzehntelanges politisches Tabu zu brechen: Es geht darum, qualifizierten Asylbewerbern einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Und zwar noch vor ihrer etwaigen Anerkennung als politische Flüchtlinge.

"Wir haben diesen Personenkreis lange genug links liegen lassen"

Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) vor zwei Monaten ein entsprechendes Modellprojekt gestartet. Nicht nur in Augsburg, sondern auch in Bremen, Dresden, Freiburg, Hamburg und Köln. "Wir haben diesen Personenkreis lange genug links liegen lassen", sagt BA-Vorstand Raimund Becker. "Angesichts der demografischen Entwicklung und des zunehmenden Fachkräftemangels können wir uns das aber nicht länger leisten."

Allein im vorigen Jahr beantragten 109 000 Menschen in Deutschland Asyl. Mindestens noch einmal so viele Flüchtlinge leben zum Teil seit Jahren hier und dürfen aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Viele erhielten oder erhalten teilweise jahrelang keine Arbeitserlaubnis. Niemand weiß bislang zuverlässig, wie qualifiziert diese Menschen sind und ob es für sie Verwendung auf dem Arbeitsmarkt gebe. Allein das herauszufinden war lange Zeit politisch nicht gewollt.

Vor allem konservative Politiker sträubten sich dagegen, Asylbewerbern schneller und einfacher Arbeit zu erlauben. Das würde "nur weitere Anreize für illegale Zuwanderung und Asylmissbrauch schaffen", warnte etwa der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). "Wir dürfen nicht diejenigen, die unser Asylrecht missbrauchen, auch noch mit einer Arbeitserlaubnis belohnen." Mit einer ähnlichen Argumentation pfiff sein Parteifreund, der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, vorigen Sommer Manfred Schmidt zurück. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte sich zuvor für eine gezielte Fachkräftesuche unter den hierzulande lebenden Flüchtlingen ausgesprochen.

Inzwischen allerdings bewegt sich die Politik. Im Koalitionsvertrag formulieren CDU, CSU und SPD das Ziel, den Zugang von Asylbewerbern und Geduldeten zum Arbeitsmarkt künftig bereits nach drei Monaten zu erlauben. "Ein ermutigendes Signal", findet BA-Vorstand Becker. Derzeit dürfen sie erst nach neun, Geduldete sogar erst nach zwölf Monaten arbeiten.

Pilotprojekte in mehreren Städten

Die Zeit dafür ist offenkundig reif. "Der politische Mainstream für das Thema ist jetzt da", glaubt BA-Vorstand Becker. Dabei muss ein verfassungsrechtliches Problem umschifft werden. Das Grundgesetz garantiert politisch Verfolgten Asyl, nicht aber solchen, die in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben aus Nicht-EU-Staaten einreisen. Vorsichtshalber warnt Bamf-Chef Manfred Schmidt, dass die Teilnahme am Modellprojekt "keinen Einfluss auf den Ausgang des Asylverfahrens hat".

Schmidt sagt aber auch: "Wenn die Vermittlung in den Arbeitsmarkt gelingt, gewinnen beide: Die Menschen selbst, aber auch Deutschland." Experten argumentieren schon lange, es sei fahrlässig, Asylbewerbern selbst dann aus Prinzip den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verweigern, wenn sie gut qualifiziert sind und die Wirtschaft sie gut gebrauchen könnte.

So wird in den sechs genannten Städten seit zwei Monaten erprobt, was bald Standard in Deutschland sein könnte. Die zuständigen Experten des Bundesamtes für Migration registrieren dabei nicht mehr nur die persönlichen Daten von Asylbewerbern, sondern fragen auch gezielt deren berufliche Qualifikation und ihr Interesse am Pilotprojekt ab. Das ist groß. "Bislang haben mehr als 80 Prozent Interesse gezeigt", sagt eine Bamf-Sprecherin.

Die Betroffenen werden an die Arbeitsagenturen gemeldet, bislang nur in den sechs Modellstädten. "Wir versuchen dann zweierlei herauszufinden", erklärt BA-Vorstand Becker: "Welche Kompetenzen hat jemand tatsächlich, und was kann man gegebenenfalls tun, um seine Integration auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen."

"Fünfstellige Größenordnung"

Derzeit beschränkt sich die Auswahl noch auf Asylbewerber und Geduldete aus Herkunftsländern, "wo die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie so schnell nicht wieder dorthin zurück abgeschoben werden" (Becker). Das Bamf nennt konkret Syrien, Ägypten, Iran, Irak, Somalia, Eritrea, Pakistan, Sri Lanka und Afghanistan.

Damit sind auch die Chancen von Yusuf Anis nicht schlecht, der in Wirklichkeit anders heißt, mit Rücksicht auf seine noch in Kabul lebende Familie seinen wirklichen Namen aber nicht in der Zeitung gedruckt haben möchte. Sein Vater organisierte und bezahlte seine Flucht vor den Taliban. Über Dubai, Doha und die Türkei floh Yusuf Anis mit Hilfe von Schleppern nach Deutschland - und landete in Augsburg.

Am liebsten möchte er einen kaufmännischen Beruf lernen, erzählt der schlanke, zurückhaltende Mann mit dem weichen Händedruck in passablem Deutsch. "Ich gehe jeden Tag in die Bücherei und lese deutsche Zeitungen und Bücher", sagt er. Englisch beherrscht er perfekt, "sein Deutsch muss vor allem im Schriftlichen besser werden", sagt Levente-Lehel Kolumban, sein Betreuer in der Augsburger Arbeitsagentur. Er will ihm nun zu einem Sprachkurs und Bewerbungstraining verhelfen und ihn im Herbst in eine Lehrstelle vermitteln. "Ich sehe da Chancen, aber er wird auch einen Arbeitgeber brauchen, der seine Situation versteht", sagt Kolumban.

BA-Vorstand Raimund Becker hofft, das Modellprojekt werde helfen, bis Jahresende "ein Gefühl zu entwickeln, wie wir qualifizierte Asylbewerber in Arbeit bringen können". Wie viele das langfristig sein werden, weiß (noch) niemand. Becker meint: "Es könnte gelingen, eine fünfstellige Größenordnung zu rekrutieren."

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