EZB vor Zinsentscheid:Inflation muss her - um jeden Preis

European Central Bank President Mario Draghi Announces Interest Rate Decision

Der EZB-Präsident Mario Draghi

(Foto: Bloomberg)

Preisverfall bringt Stillstand, nur Teuerung bedeutet Wachstum. Die Europäische Zentralbank steht sehr wahrscheinlich vor einer historischen Entscheidung. Was macht EZB-Präsident Mario Draghi?

Von Andrea Rexer und Markus Zydra, Frankfurt

Mario Draghi kann sich in einfachen Worten ausdrücken. Für einen Notenbanker ist das ein bemerkenswertes Talent. Wie gut der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) darin ist, war erst vergangene Woche in Portugal wieder zu beobachten.

Draghi hatte Akademiker, Politiker und Währungshüter aus aller Welt zur ersten Denker-Konferenz der EZB in die Weltkulturerbe-Stadt Sintra geladen. Der Italiener saß gemütlich in einem Polstersessel und sprach über Europas Zukunft. "Früher wollten die Menschen Frieden, Demokratie und Freiheit", sagte Draghi. "Nun fordern die Bürger andere Dinge. Es geht um Wohlstand, Jobs und Wachstum."

Dann faltete er die Hände wie zum Gebet und legte den Kopf nach hinten. Man traut ihm zu, dass er in diesem Moment nach den richtigen Worten suchte. Man traut ihm aber auch zu, dass die Worte schon exakt in seinem Kopf abgespeichert waren und er sie mit theatralischer Geste abrief. "Europas Regierungen müssen hier mehr liefern."

Draghi gilt als der mächtigste Mann Europas. Im Juli 2012 reichten wenige Worte, um Spekulanten, die auf einen Zusammenbruch der Währungsunion gewettet hatten, in die Schranken zu weisen. Draghi versprach damals in einer Rede in London, "alles zu tun, um den Euro zu retten."

Und fast augenblicklich kehrte Ruhe ein an den Finanzmärkten. Damals merkte die Welt: Die EZB steuert nicht nur den Preis des Geldes, sie ist auch zu einer politischen Schaltzentrale der Eurozone geworden.

Nun steigt Draghi wieder in den Ring. Der EZB-Rat wird am Donnerstag sehr wahrscheinlich ein historisch einmaliges Maßnahmenpaket beschließen. Diesmal geht es um ein Signal: Inflation muss her - um jeden Preis. Denn die Eurozone bewegt sich gefährlich nah an der Nulllinie, an der Grenze zur Deflation. Im Mai lag die Teuerung bei 0,5 Prozent, so das EU-Statistikamt Eurostat am Dienstag. Die EZB möchte eine Inflation von zwei Prozent - als Puffer zur Nulllinie, wo die Deflation beginnt.

Inflation entsteht durch Wirtschaftswachstum. Deflation befördert das Gegenteil. Die EZB aber möchte Wachstum erzwingen, indem sie Unternehmen ermuntert, Kredit aufzunehmen, und Banken drängt, Kredit zu geben. Der Leitzins soll von 0,25 auf 0,1 Prozent abgesenkt werden. Ein Strafzins für Bankeinlagen ist geplant. Bankinstitute sollen Subventionen erhalten, wenn sie Kredite vergeben an kleine und mittlere Unternehmen. Womöglich kündigt Draghi ein Kaufprogramm für Kreditverbriefungen an, so genannte ABS. Banken können dann ihre vergebenen Kredite als Bündel an die EZB verkaufen. Damit wären sie das Ausfallrisiko los.

Dass sich schon vor einer EZB-Sitzung abzeichnet, was am Ende herauskommen könnte, ist ungewöhnlich. Selten wurde vor der monatlichen Zinssitzung der EZB so viel geredet wie dieses Mal. Selten waren die Erwartungen an die Notenbank so hoch. Schuld daran ist ein einziger Satz von Mario Draghi. Anfang Mai hatte er in der Pressekonferenz gesagt: "Der EZB-Rat fühlt sich wohl damit, beim nächsten Mal zu handeln." Das war der Auftakt zu einer ganzen Serie von Deutungsversuchen. Hier ein Interview, da eine Äußerung - Analysten, Marktteilnehmer und Journalisten überschlugen sich geradezu.

Ein verbaler Fauxpas könnte Milliarden kosten

Die Nervosität ist nicht verwunderlich. Die EZB gibt den Takt an den Finanzmärkten an: Bei ihr holen sich Banken das Geld, das sie weiterverleihen können. Sie bestimmt auch den Preis des Geldes, den Zinssatz. Schon eine kleine Änderung in ihrem Verhalten kann Marktteilnehmer Millionen kosten - oder ihnen viel Gewinn bescheren. Deswegen zucken sie bei jeder Äußerung der Notenbanker zusammen und versuchen ihre Strategie anzupassen.

Nicht alle waren glücklich über Mario Draghis Pressekonferenz im Mai. Denn abgestimmt war diese klare Ansage nicht, wie in Notenbank-Kreisen zu hören ist. Was Draghi auf die Fragen der Journalisten antwortet, ist seine alleinige Entscheidung, nur ein kurzer Text, den Draghi zu Beginn jeder Pressekonferenz verliest, ist abgestimmt. Die Ankündigung, dass die EZB in ihrer nächsten Sitzung "handeln" würde, war so nicht abgestimmt.

Das hat hohe Erwartungen geweckt. "Das ist gefährlich: Wir könnten zwar die Erwartungen enttäuschen, aber das darf nicht zu oft passieren. Sonst glaubt uns keiner mehr", sagt ein Ratsmitglied. Denn schleicht sich der Eindruck ein, dass auf das Wort der EZB kein Verlass ist, wird diese mächtigste Waffe der EZB stumpf.

Draghis Worte hatten zuletzt im Mai die Märkte aufgewühlt. Damals drückte er wohl dosiert seine "ernste Sorge" über den starken Wechselkurs des Euro aus. Es dauerte keine zwei Sekunden, da fiel der Preis für Europas Einheitswährung an den Börsen um einige Cent, was auf diesem Markt einem Preiskollaps nahe kommt.

Man lernt: Der starke Euro mag vielen Menschen Sorge bereiten. Es gibt aber nur einen, dessen Sorgen der Markt wirklich ernst nimmt. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sich Draghi einmal verplappern sollte. Ein verbaler Fauxpas könnte Milliarden kosten. Draghi hat die Mittel, die der Politik fehlen. Regierungen und Staaten der Eurozone sitzen auf Schulden, die EZB kann auf Knopfdruck binnen Sekunden Milliarden Euro erschaffen. Spekulanten können den Kampf mit der Notenpresse nur verlieren. Es sei denn, die Zentralbank zaudert. Damit dieser Eindruck nicht entsteht, braucht Draghi Glaubwürdigkeit. Die Welt muss ihm abnehmen, dass er im Ernstfall wirklich eingreift.

Notenbanker wie Draghi steuern die Finanzmärkte mit Worten. Im besten Fall müssen sie dann überhaupt kein Geld in die Hand nehmen, um die Börsen zu lenken. Deswegen ist es Draghi auch wichtig, dass künftig die Sitzungsprotokolle des EZB-Rates rasch veröffentlicht werden. Bisher ist das, was in der Runde der 23 Notenbankchefs und Direktoren gesprochen wird, ein streng gehütetes Geheimnis. Erst nach 30 Jahren werden die Protokolle öffentlich, Draghi möchte, dass sie schon nach zwei Wochen einsehbar sind. Die EZB reagiert damit auf Kritik: Viele beklagen die mangelnde Legitimität der Notenbank. Draghi sagt, "unser Mandat, die Preisstabilität zu wahren, ist von den Parlamenten abgesegnet". Das sei Legitimation genug.

Der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan ist als Orakel in die Geschichte eingegangen, man wusste nie genau, was er meinte. Einmal sagte Greenspan im US-Kongress: "Ich weiß, Sie meinen zu verstehen, was ich eben sagte. Doch ich glaube, was Sie hörten, ist nicht das, was ich meinte." Diese divenhafte Kommunikation ist passé. Draghi leitet seine Sätze häufig ein mit dem Hinweis: "Lassen Sie mich das nun ganz klar sagen." Genau das wird an diesem Donnerstag von ihm erwartet.

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