EZB im Kampf gegen die Schuldenkrise:Europas heimliche Regierung

Sie hilft Kreditinstituten, kontrolliert Staaten und soll bald die Finanzaufsicht übernehmen: Die Europäische Zentralbank gilt als Nebenregierung. Die Macht von EZB-Chef Mario Draghi wächst. Er hat die Trägheit der Politiker spürbar satt. Nun möchte er die Euro-Zone retten - mit der Notenpresse.

Markus Zydra und Andrea Rexer, Frankfurt

Mario Draghi soll am Donnerstag die Euro-Zone retten. Das ist die Elle, die EU-Kommission, Regierungen und Finanzmärkte anlegen. Darunter geht es nicht mehr. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der vor einem Monat durch forsche Aussagen selbst diese Erwartung geschürt hat, muss liefern.

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Es knackt im Gebälk des Euro-Finanzsystems, und die Europäische Zentralbank soll es richten. Mit der Notenpresse - ohne Plazet der Steuerzahler.

(Foto: Bloomberg)

Viele hoffen, dass der Italiener nach der Sitzung des EZB-Rats konkrete Maßnahmen präsentiert. Es geht da vor allem um Stützungskäufe an den internationalen Anleihemärkten. So sollen die Kreditzinsen für Italien und Spanien gesenkt werden.

"An den Finanzmärkten wird mittlerweile ein Auseinanderbrechen des Euro-Raums eingepreist", sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen am Dienstag auf einer Bankenkonferenz in Frankfurt. Auch er meint, Bond-Käufe könnten den Märkten das Misstrauen austreiben.

Die Arbeit der Notenbanker steht im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Die EZB kann Geld drucken und damit klammen Regierungen aus der Bredouille helfen. Rettung der Euro-Zone - das ist eine ungleich spannendere Aufgabe als die Geldmenge M3 zu erörtern, auch wenn sich die EZB da nicht in den Vordergrund gedrängt hat.

Doch EZB-Chef Draghi hat die Trägheit der Regierenden spürbar satt, im Frühjahr forderte der Notenbanker die Politiker auf, sie müssten eine Vision für den Euro entwickeln. Der Italiener sprach damals in Brüssel. Spätestens da überschritt der frühere Investmentbanker in den Augen der Bundesbank die rote Linie. Er griff ein in die Europapolitik, er forderte mehr Integration und den Aufbau einer Bankenunion.

Draghi sitzt seither mit am Tisch, wenn in Brüssel gerettet wird. Er möchte alles tun, um den Euro zu bewahren. Das hat er Ende Juli in London gesagt, daran wird er nun gemessen.

Draghi hat ein Ziel. Im Frankfurter Osten ziehen Bauarbeiter den neuen EZB-Tower hoch, und der Präsident möchte da noch einziehen, und zwar mit allen 17 Euro-Staaten an Bord. Das neue Hochhaus am Main wird eine neue Zentralbank beherbergen, ein viel mächtigere. Schon jetzt gilt die EZB als europäische Nebenregierung - die einzige mit Geld.

Konsequent hat die Notenbank im Laufe der Finanzkrise ihren Aktionsradius ausgebaut. EZB-Vertreter sind neben der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds Teil der Troika-Delegationen, die in Portugal, Irland und Griechenland die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen kontrollieren und entscheiden, ob diese Länder weitere Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds erhalten.

"Eine unabhängige Aufsicht arbeitet besser"

Die EZB hält auch das europäische Bankensystem am Laufen, vielen Instituten droht die Pleite, wenn Frankfurt den Geldhahn zudreht. Nach Plänen der EU-Kommission soll die EZB nun auch noch Europas Banken beaufsichtigen und im Notfall abwickeln dürfen. Bisher fiel diese Entscheidung in den Finanzministerien oder in deren nachgelagerten Behörden. "Eine Aufsicht arbeitet besser, wenn sie politisch unabhängig ist", meint Christoph Kaserer, Wirtschaftsprofessor an der TU München.

Doch wenn nun die Bankenaufsicht in die Hände der Notenbanker gerät, könnte sich das zum Einfallstor für politische Einflussnahme gegenüber der EZB entpuppen, sorgen sich viele Ökonomen. "Je mehr Macht die EZB bekommt, desto größer wird die Versuchung, politisch Einfluss zu nehmen, vermutlich über die Auswahl des Personals", sagt Kaserer.

Der größte Streitpunkt sind derzeit aber die geplanten Bond-Käufe der EZB. Draghi knüpft daran Bedingungen. So soll zunächst der Euro-Rettungsfonds ESM direkt Anleihen kaufen, zudem müssten Spanien und Italien als Gegenleistung politische Auflagen erfüllen. Die Aufgabe der EZB besteht darin, die Höhe der Kreditzinsen zu managen. Doch was heißt das? Niemand weiß, welche Zinshöhe für Italien ökonomisch "fair" wäre. Zudem hat es den Ruch von Planwirtschaft, wenn die Notenbank Marktzinsen für Staaten fixiert.

Die Bundesbank ist gegen die Käufe. In diesen Tagen kursierten Gerüchte, Bundesbankchef Jens Weidmann hege Rücktrittsgedanken, weil er mit seiner Skepsis bei den 22 Kollegen im EZB-Rat zu wenig Unterstützung finde. Sein Rücktritt steht nicht auf dem Programm, aber natürlich stellt sich nun die Frage nach dem Rückhalt Weidmanns in der Bundesregierung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stützt ihren früheren Wirtschaftsberater in Deutschland, in Brüssel hat Merkel jedoch wenig Einwände gegen die geplanten EZB-Interventionen, die in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung auch mit großer Sorge gesehen werden.

Das komplette Design des Rettungsplans wird Draghi dem Vernehmen nach am Donnerstag noch nicht präsentieren. Zunächst muss das Bundesverfassungsgericht der Euro-Rettungsschirm ESM durchwinken. Fest steht: ESM und EZB wollen künftig kooperieren. "Draghi muss klarmachen, dass die EZB nur unter klarer Konditionalität eingreift. Das wird dem Vorwurf, dass die betroffenen Länder nicht mehr sparen wollen, den Wind aus den Segeln nehmen", sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank.

Die Rating-Agentur Moody's hat am Dienstag den Ausblick für die Kreditwürdigkeit der EU auf "negativ" gesenkt. Zudem erschüttern Fliehkräfte den europäischen Finanzsektor. Banken ziehen Gelder in ihr Heimatland zurück, sie gewähren grenzüberschreitend kaum noch Kredit.

Der Leitzinssatz der EZB liegt bei 0,75 Prozent, doch in Spanien müssen Unternehmen 6,5 Prozent Zinsen für einen Kredit bezahlen. Das ist viel zu hoch, Spanien steckt in der Rezession. Es knackt im Gebälk des Euro-Finanzsystems, und die Notenbanker sollen es richten. Mit der Notenpresse - ohne Plazet der Steuerzahler.

Im EZB-Rat sitzen sechs Direktoren und 17 Präsidenten der nationalen Zentralbanken - die Mitglieder sind nicht vom Volk gewählt und riskieren Steuergelder. Der Oxford-Ökonom Clemens Fuest meint: "Die EZB läuft Gefahr, das Budgetrecht der Parlamente zu umgehen."

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