EZB:Furcht vor Nebenwirkungen

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In der Europäischen Zentralbank wächst der Druck, die lockere Geldpolitik zu beenden. Doch Präsident Mario Draghi zaudert noch; das sorgt für Unverständnis in den eigenen Reihen. Was tun bei der nächsten Krise?

Von Markus Zydra, Frankfurt

Ewald Nowotny, 73, durfte als Chef der Österreichischen Notenbank den Ausbruch der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren miterleben. In der Folge hat der Ökonom als Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die in Deutschland umstrittenen Rettungsmaßnahmen der Zentralbank stets unterstützt. Doch jetzt findet er, dass Schluss sein sollte. Nowotny machte sich daher öffentlich über eine Anhebung der Leitzinsen Gedanken. Die liegen seit Jahren bei null Prozent, Banken müssen sogar Strafzinsen zahlen. Eine Zinsanhebung setzt jedoch ein Ende des Anleihekaufprogramms voraus. Nowotny wagte damit einen ungewöhnlich weiten Blick nach vorne. Zu weit für die Institution. In einem ungewöhnlichen Schritt distanzierte sich die EZB von ihrem Ratsmitglied. Der Österreicher habe seine persönliche Meinung kund getan.

Es rumort im obersten Entscheidungsgremium der Zentralbank. Die europäische Wirtschaft wächst so stark wie seit 2007 nicht mehr, doch die EZB unter Führung von Präsident Mario Draghi macht weiterhin eine Geldpolitik, die viel lockerer ist als in den schlimmsten Krisenzeiten 2011/2012. Das Anleihekaufprogramm, das noch mindestens bis September laufen wird, beläuft sich mittlerweile auf 2,7 Billionen Euro. Die Finanzmärkte gehen davon aus, dass die EZB den Erwerb von Anleihen zum Jahresende auslaufen lassen wird. Doch den konkreten Beschluss zögert Draghi immer weiter hinaus. Bei der letzten EZB-Ratssitzung Ende April war es wieder der rebellische Nowotny, der das Ausstiegsthema im Kollegium thematisieren wollte, so ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg. Doch Draghi soll dieses Ansinnen abgelehnt haben. Der EZB-Präsident scheut nicht nur den Ausstiegsbeschluss, er mochte auch die Ausstiegsdebatte unterdrücken. Stattdessen betont er immer wieder, die EZB könne die umstrittenen Ankäufe jederzeit verlängern. Noch mehr Geld aus der Notenpresse? Die jüngsten Anzeichen für eine Abschwächung des Wachstums in Europa machen Draghi Sorge. Dazu kommt: Die Inflation in der Eurozone liegt aktuell bei 1,2 Prozent - die EZB strebt jedoch zwei Prozent an. Sie tut dies seit Jahren vergeblich.

Die Zentralbank macht die Reichen noch reicher, sagen Kritiker

Die Störrigkeit von Draghi sorgt für Unverständnis im EZB-Rat. Bundesbankpräsident Jens Weidmann fordert schon lange ein Ende der Ankäufe, auch EZB-Direktor Benoît Coeuré und der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot fordern ein Ende. Zuletzt nannte der belgische Notenbankchef Jan Smets sogar ein konkretes Datum. Die EZB werde nach seiner Einschätzung wohl im Laufe des Sommers Schritte hin zu einer Beendigung des Anleihekaufprogramms einleiten. Einen entsprechenden Beschluss könne die EZB nach ihrer Sitzung am 26. Juli bekanntgeben, so Smets gegenüber dem Wall Street Journal.

Die EZB kauft noch bis September jeden Monat Staats- und Firmenanleihen im Wert von 30 Milliarden Euro. Sollte sich die EZB im Sommer auf ein Auslaufen des Programms bis zum Jahresende einigen, könnte ab Frühjahr 2019 die erste Zinserhöhung durchgeführt werden. Die Notenbank steht unter Druck, denn sie ist mit ihrer lockeren Geldpolitik so sehr am Anschlag, dass sie kaum noch Spielraum hat, um auf den nächsten Wirtschaftsabschwung zu reagieren. Viel tiefer als null Prozent kann man den Leitzins nicht absenken. Irgendwann gibt es auch nicht mehr genügend Staats- und Firmenanleihen, die die Notenbank kaufen könnte. Was soll sie dann machen, um die Konjunktur wieder anzukurbeln? Aktien kaufen? Das Helikoptergeld einführen, sprich Geld an die Menschen verschenken? Diese radikalen Maßnahmen möchte bei der EZB wohl kaum jemand beschließen, schon allein deshalb scheint das baldige Ende der lockeren Geldpolitik geboten. Wie hoch der Leitzins aber steigen kann, ohne dass sich die Finanzierungskosten für Länder wie Italien zu stark verteuern und damit die Eurozone destabilisiert werden könnte, dass muss sich erst weisen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Zinsen in Europa noch lange Zeit vergleichsweise niedrig bleiben werden - zumindest solange die Inflation nicht merklich anzieht.

Die lockere Geldpolitik hat Europas Wirtschaft aus der Rezession geführt. Doch mittlerweile entfaltet das billige Geld Nebenwirkungen. Es drohen Preisblasen. So treibt Draghis Nullzinspolitik Anleger an die Börsen, weil Anleihen kaum mehr etwas abwerfen. Die Aktienkurse steigen seit Jahren. Die billigen Kredite haben dazu geführt, dass die Immobilienpreise in Deutschland massiv gestiegen sind. Vor allem in den Ballungszentren sind Mieten und Grundstückspreise für Normalverdiener unerschwinglich geworden. Die EZB muss sich daher immer häufiger die Frage gefallen lassen, ob ihre Geldpolitik die Reichen nur noch reicher mache. Die Notenbank beschwichtigt: Der Wirtschaftsboom nutze allen, vor allem denen, die nicht mehr arbeitslos seien und einen Job gefunden hätten.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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