EZB:Angst vor dem Ausstieg

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Er soll für die Zinswende sorgen, ohne die Finanzmärkte zu gefährden: EZB-Chef Mario Draghi. (Foto: Thierry Charlier/AFP)

Viele erwarten, dass die EZB 2017 ihre lockere Geldpolitik beendet, doch offenbar spielt sie weiter auf Zeit. Viele haben sich an das billige Geld gewöhnt, vor allem die Finanzmärkte und die Politiker. Ein Entzug kann schmerzen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Mario Draghi musste sich neulich einer Herzensfrage der Linguistik stellen, nämlich der nach der Bedeutung eines Wortes. Es ging um den englischen Begriff "Tapering". Die geübten Marathon-Läufer verstehen darunter eine Verringerung der Trainingsstrecken, um vor dem Wettkampf neue Kraft zu tanken. Im übertragenen Sinne kann man das Wort auch als das "Ausklingen einer Beziehung" verstehen. Der EZB-Präsident attestierte dem Begriff "viele Bedeutungen, abhängig davon, wer ihn in den Mund nimmt". Und dann stellte er klar: Wenn er von "Tapering" spreche, sei eine "allmähliche Reduktion der Anleiheaufkäufe bis auf null" gemeint.

Die Welt der Notenbanker ist seit jeher gespickt mit Fachtermini. Früher hat das niemanden gestört, damals erfüllten die Währungshüter ihre wichtige Funktion abseits der großen Öffentlichkeit. Doch seit die EZB als Retterin der Euro-Zone fungiert, ist das Interesse an der Arbeit der Institution deutlich gestiegen.

Hinter dem sperrigen Begriff "Tapering" verbirgt sich also eine für Draghi ziemlich knifflige Frage: Wann und wie beendet die EZB ihre großzügige Rettungspolitik für die Euro-Zone?

Ohne Reformen wirkt das billige Geld nicht gut. Alle wissen das, doch die Politik zögert

Fest steht: Die Politik der EZB hat Nebenwirkungen. Das Notenbankgeld fließt in die Aktien- und Immobilienmärkte. Dort drohen Preisblasen. Die Nullzinsen schwächen die Ertragskraft der Banken in Europa, und die Bürger verbuchen kräftige Einbußen bei ihrer privaten Altersvorsorge: Pensionskassen und Kapitallebensversicherungen können die versprochenen Erträge kaum mehr erwirtschaften.

Draghi muss die Geldschleusen irgendwann wieder schließen. Besser früher als später. Doch wie soll das gelingen? Viele haben sich an das billige Geld gewöhnt, vor allem die Finanzmärkte und die Politiker. Ein Entzug kann schmerzen. Selbst dessen Ankündigung. Ben Bernanke hat es erlebt.

Es war am 22. Mai 2013. Der damalige US-Notenbankchef Bernanke sagte damals vor dem US-Kongress, die Federal Reserve könnte alsbald ihr Anleihekaufprogramm reduzieren. Die Ankündigung sorgte für gehörige Turbulenzen an den Finanzmärkten, wo das viele Notenbankgeld in den Jahren zuvor für steigende Kurse gesorgt hatte. Bernanke begrub die Idee schnell wieder. Erst im Dezember 2013 reduzierte die Fed das Volumen ihrer monatlichen Anleihekäufe von 85 Milliarden Dollar auf 75 Milliarden Dollar. Im Oktober 2014 war das Programm beendet. Erst im Dezember 2015 kam die erste Leitzinserhöhung, in diesem Monat folgte die zweite.

Die Erfahrung der US-Notenbank zeigt: Der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik kann lange dauern. In den USA waren es über drei Jahre. Ist das eine Blaupause für die EZB? Auch Draghi wird sich viel Zeit nehmen müssen, um Hilfen abzustellen, die immer weiter ausgebaut wurden. Zur Erinnerung: Europas Zentralbank hat den Leitzins auf null Prozent gesetzt, das gab es noch nie davor. Gleichzeitig verlangt die Notenbank von den Geschäftsbanken Strafzinsen in Höhe von 0,4 Prozent für das Geld, das die Institute auf ihrem EZB-Girokonto liegen haben.

Die Währungshüter verschenken auch Geld: Gibt die EZB einer Bank eine Million Euro Kredit, muss das Institut zum Laufzeitende nur 996 000 Euro zurückzahlen. Immerhin 0,4 Prozent weniger. Die EZB hat bislang 1,3 Billionen Euro in Staatsanleihen investiert, sie kauft darüber hinaus auch Firmenanleihen und wird damit Gläubigerin von Dax-Konzernen. Die EZB wird auf diese Weise bis Ende 2017 mindestens 2,2 Billionen Euro in das Finanzsystem gepumpt haben. Sie möchte dadurch Wirtschaft und Inflation ankurbeln. Gleichzeitig fordert Draghi die Euro-Staaten immer wieder auf, wirtschaftspolitische Reformen umzusetzen: Ohne Reformen entfaltet das billige Geld zu wenig Wirkung. Alle wissen das, doch die Politik zögert aus Furcht vor den Oppositionskräften. In diesem Jahr stehen in Europa einige wichtige Wahlen an.

Noch hilft Draghi, aber der Druck aufzuhören, wächst, denn die Wirkung der Maßnahmen lässt zu wünschen übrig. Der lettische Notenbankchef und EZB-Ratsmitglied Ilmars Rimsevics sagte, die Wertpapierkäufe hätten dem Wachstum bislang "keinen wesentlichen Schub" verliehen. Das in die Wirtschaft gepumpte Geld ruhe auf Bankkonten und warte auf bessere Zeiten. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnt: Die Wirtschaft im Währungsraum leide in erster Linie nicht unter einer Nachfrageschwäche, sondern unter einem niedrigen Wachstumstrend. Die Geldpolitik sei dagegen weitgehend "machtlos".

Doch Draghi fürchtet die Ausstiegsdebatte. Er möchte, dass es an den Finanzmärkten in diesem Jahr ruhig bleibt. Experten rechnen frühestens 2019 mit einer Zinsanhebung. Das Ende der umstrittenen Anleihekäufe wird also noch dauern. "Wir haben ,Tapering' nicht diskutiert", sagte Draghi nach der letzten EZB-Ratssitzung. Das Thema sei noch nicht einmal auf der Agenda gewesen.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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