Expertenforum Mittelstand:Die Renaissance der Tugenden

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Viele Mittelständler besinnen sich auf die alten Werte - und halten auch in der Not an ihren Beschäftigten fest.

Angelika Slavik

Am Ende gewinnen immer die Guten. Glaubt zumindest Anton Kathrein. "Wer sein Unternehmen führt wie ein ordentlicher Kaufmann, wer fair mit den Mitarbeitern umgeht und gegenüber seinen Geschäftspartnern Handschlagqualität beweist, wird auch die Krise gut überstehen", sagt er.

Kathrein leitet den gleichnamigen Familienbetrieb mit Sitz in Rosenheim. Das Unternehmen produziert Antennen für die Elektroindustrie, erwirtschaftete zuletzt 1,3 Milliarden Euro Jahresumsatz. An diesem Donnerstag sitzt Kathrein im Gebäude der Hypo-Vereinsbank in München. Er ist gekommen, um beim Expertenforum Mittelstand mit Wissenschaftlern, Bankern und Unternehmern über neue Wege aus der Krise zu diskutieren - doch Kathrein setzt in schwierigen Zeiten weniger auf innovative Konzepte als auf alte Werte, spricht über Beständigkeit, Qualität, Fairness und konservatives Risikomanagement. "Die klassischen Tugenden erleben eine Renaissance", sagt Kathrein.

Innovationsschub durch die Krise

Mit dieser Ansicht bleibt er am Donnerstagabend nicht alleine - auch wenn nicht alle Mittelständler der Krise so viel Positives abgewinnen können wie Helmut Schreiner. Dessen Unternehmen stellt RFID-Tags her, also moderne Etiketten, auf denen auch Daten gespeichert werden können. Die Krise, sagt er, habe in seinem Unternehmen zu einem regelrechten Innovationsschub geführt: Prozessabläufe wurden optimiert, Verwaltungsstrukturen vereinfacht.

Dass das Unternehmen dennoch nicht ohne Kurzarbeit auskam, sei für ihn "wie der Verlust der Unschuld gewesen" - wie ihn vieles in der Krise persönlich berührt habe: Die Probleme der Familienunternehmerin Maria Elisabeth Schaeffler etwa, deren Unternehmen fast an der Übernahme von Continental zerbrochen wäre, oder der Absturz der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz. Schreiner interpretiert beide Fälle als Mahnung, Risiken bewusst abzuwägen und "Ordnung" in den Bilanzen zu halten. Spieler und Hasardeure sind out, darüber sind sich Deutschlands Mittelständler einig - der neue Trend heißt: Am Boden bleiben.

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Mit dieser Entwicklung kann sich Ulrich Brugger durchaus anfreunden. Der Rechtsanwalt ist auf die Sanierung maroder Unternehmen spezialisiert. Viele der Betriebe, um deren Rettung er sich bemühe, hätten in guten Zeiten zu wenig Eigenkapital angesammelt, zu viel Gewinn entnommen. Diese Sorglosigkeit räche sich nun: "Wenn dann die Krise kommt, sind Mittelständler oft zu wenig flexibel und schnell in ihrem Schuldenberg gefangen", sagt Brugger.

Wer hingegen konservativ wirtschafte, könnte sich auch in schwierigen Zeiten wie heute auf die Banken verlassen: "Ein Unternehmer, der seine Bilanzen in Ordnung hält und einen gut begründeten Kreditantrag vorbringt, der wird von der Bank eine Zusage bekommen", ist Brugger überzeugt. Lediglich die Konditionen seien schlechter als vor zwei Jahren.

Ist die Kreditklemme also nichts als ein Krisenmythos? Theodor Weimer, Chef der Hypo-Vereinsbank, räumt ein, dass Unternehmen heute nicht mehr so leicht an frisches Kapital kämen: Die Banken seien "strukturell zugeknöpfter" geworden, sagt Weimer. Bei der Kreditvergabe spiele langgewachsenes Vertrauen heute eine größere Rolle als früher: "Die Unternehmen, die loyal zu uns waren und nicht immer dem billigst möglichen Geld hinterher gerannt sind, die können auch in schweren Zeiten Loyalität von uns erwarten", sagt Weimer.

Wird ein Betrieb von der Krise richtig schwer getroffen, erwarte man aber auch finanzielles Engagement vom Unternehmer selbst. Ein Mittelständler müsse bereit sein, in einem gewissen Maß mit seinem Privatvermögen zu haften, oder der Firma mit einem Gesellschafterdarlehen auszuhelfen, findet der Bankmanager. "Wenn er dazu nicht bereit ist, werde ich misstrauisch", sagt Weimer.

Bodenhaftung als Wachstumsgarant

Persönlicher Einsatz ist also gefordert, nicht nur von den Unternehmern selbst, sondern auch von den Führungskräften - zumindest wenn sie bei Eberhard Sasse arbeiten möchten. Sasses Betrieb ist auf Facility Management, also auf Gebäudemanagement spezialisiert. Jeder seiner Manager muss vor seiner Einstellung zumindest einmal selbst ran, mit Lappen und Eimer. "Eine Führungskraft, die nicht weiß, was bei den Mitarbeitern vor Ort los ist, kann ich nicht brauchen", sagt Sasse.

Es ist diese neue Bodenhaftung, die die Mittelständler als Garant für künftiges Wachstum ansehen - allerdings sollte man auch hier Vorsicht walten lassen, meint Dirk Holtbrügge, Professor für Internationales Management an der Universität Erlangen-Nürnberg: "Es gibt kritische Wachstumsschwellen", sagt Holtbrügge. Etwa, wenn die Zahl der Mitarbeiter erstmals auf mehr als 1000 ansteige. "Oder wenn ich zum ersten Mal nicht mehr alle meine Führungskräfte persönlich kenne", sagt Holtbrügge. Oft würden Familienunternehmen diesen Strukturwandel nicht verkraften - sie scheitern letztlich am eigenen Erfolg.

Der Philosoph und Jesuit Michael Bordt hingegen kümmert sich weniger um Organisationsstrukturen, Vertriebswege oder Bilanzzahlen. Er glaubt, dass Unternehmen sich mehr Gedanken über den Nutzen ihrer Produkte für die Gesellschaft machen sollten. "Wir haben uns in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu weit von der Frage entfernt, was uns als Gesellschaft insgesamt eigentlich weiterbringt", sagt Bordt. Zu viele Produkte würden hergestellt, die dieses Kriterium nicht erfüllten.

Ähnlich argumentiert der Unternehmer Karl Schweisfurth. Seine Familie hatte bis Mitte der achtziger Jahre eine Wurstfabrik und setzte auf Massentierhaltung. Dann machte das Unternehmen eine radikalen Schnitt, stellte auf artgerechte Tierhaltung um. Schweisfurth selbst leitet heute die Herrmannsdorfer Landwerkstätten und gründete den Verband ökologischer Lebensmittelhersteller. Er plädiert dafür, nicht nur Umsatz- und Gewinnmaximierung in den Vordergrund unternehmerischen Denkens zu stellen: "Der Wert eines Produkts ist die Arbeit, die in ihm steckt."

Ein Ansatz, den Sanierer Ulrich Brugger nicht unwidersprochen stehen lassen kann: "Der Wert eines Produkts", sagt Brugger, "ist der Betrag, den jemand dafür bereit ist zu zahlen. Und sonst gar nichts."

© SZ vom 24.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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