Europas Finanzpolitik:Plaudern statt beschließen

Griechenland, Finanztransaktionsteuer, Pleitebanken - die EU-Finanzminister haben viele Baustellen auf dem Zettel. Doch statt wichtige Entscheidungen zu treffen, beraten und vertagen die Herrschaften lieber. Dabei drängt die Zeit.

Ein Kommentar von Cerstin Gammelin, Brüssel

Wer in Brüssel das Vergnügen hat, europäischen Ministern bei der Arbeit zuzuschauen, schwankt zwischen zwei Extremen. Einerseits Respekt vor der unendlichen Geduld, welche die Herrschaften aufbringen müssen, wenn 28 Kollegen nebst EU-Offiziellen in sogenannten Tischrunden ausführen, wie dieses und jenes Gesetz auszusehen hat.

Stunden, Abende, Nächte, Tage ziehen vorbei, ohne dass entschieden wird. Andererseits ist man peinlich berührt davon, dass hochrangige Politiker trotz angeblich dringender europäischer Ziele wie 28 nationale Egoisten um jedes Eigeninteresse zocken und nur im Extremfall kompromissbereit sind.

Zu einem Desaster der besonderen Art wuchs sich das Treffen der 28 Finanzminister an diesem Montag und Dienstag aus. Geplant waren vier große Entscheidungen. Getroffen wurde: keine. Oder, um exakt zu sein, eine kleine: Die Finanzminister der Euro-Länder beschlossen, Zypern eine weitere Tranche an Hilfskrediten auszuzahlen. Business as usual. Aber überall dort, wo wirklich substanzielle Entscheidungen fallen sollen, siegten nationale Interessen über europäische Dringlichkeit.

Beispiel Griechenland. Seit Sommer vergangenen Jahres prüfen die Experten der internationalen Kreditgeber von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank, ob die griechischen Behörden reformieren und haushalten, wie sie versprochen haben.

Drei Monate sollte die Mission der Troika dauern, inzwischen sind beinahe neun um und kein Ende in Sicht. Niemand sagt offen, dass es in Griechenland nicht so klappt wie geplant. Stattdessen wird von Fortschritten gesprochen - und immer weiter geprüft.

Beispiel automatischer erweiterter Austausch über Kapitaleinkünfte. Peinlich genug, dass es der USA bedurfte, um die Aufhebung des Bankgeheimnisses in Europa anzustoßen. Weil die Amerikaner die Schweizer unmissverständlich aufgefordert haben, jegliche Einkünfte, die US-Staatsbürger erzielen, den amerikanischen Behörden zu melden, und weil sich die G-20 und die OECD den Amerikanern angeschlossen haben, ist klar, dass spätestens 2016 auch in der Europäischen Union dieser automatische Austausch stattfinden wird.

Für die Finanzparadiese Luxemburg und Österreich ist dies kein Grund, endlich die Blockade der entsprechenden EU-Gesetzgebung aufzugeben. Die Regierungen pokern weiter um Zugeständnisse.

Beispiel Finanztransaktionssteuer. Elf Euro-Länder haben vor knapp zwei Jahren erklärt, dass sie Finanzgeschäfte mit einer Umsatzsteuer belegen und damit auch Finanzinstitute zu Kasse bitten wollen, damit besonders riskante Finanzgeschäfte unattraktiv werden. Der Absichtserklärung ist praktisch nichts gefolgt. Die elf sind zerstritten, welche Produkte wie hoch besteuert werden sollen und was mit dem Erlös geschieht.

Dem französischen Finanzminister Pierre Moscovici ist es inzwischen wichtiger, französische Reporter über französische Kandidaten für EU-Topjobs zu unterrichten als zu einer von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gewünschten Runde zur Finanztransaktionssteuer zu kommen.

Die Zeit wird knapp

Beispiel vier, das Prestigeprojekt der Europäer, die Bankenunion, präzise: Wie werden künftig Pleitebanken geschlossen, wer zahlt dafür und wer entscheidet darüber? Erst Ende Februar, dann Anfang März sollten sich EU-Parlament und Minister auf das Prozedere zur Abwicklung einer Bank nebst Abwicklungsfonds geeinigt haben.

Die Zeit ist knapp: Am 16. April tagt das EU-Parlament zum letzten Mal vor den Europawahlen, da muss über den Kompromiss abgestimmt werden. Inzwischen hat es den Anschein, als ob diese zeitliche Deadline nicht mehr existiert. Das EU-Parlament erklärt die meisten Vorschläge der Minister für untauglich, die Minister wiederum sind in so unterschiedlichen nationalen Interessen gefangen, dass sie kaum in der Lage sind, sich untereinander zu einigen.

Um das Ausmaß des Dilemmas zu erahnen, empfiehlt sich ein Blick auf das ursprüngliche Ziel der Bankenunion. Das Prestigeprojekt wurde Ende Juni 2012 angesichts des drohenden Untergangs der Eurozone beschlossen. Es sollte die gefährliche Verbindung von Banken und Staatsanleihen kappen, die Schuldenspirale stoppen.

Sollten sich nun jene Minister durchsetzen, die energisch für nationale Entscheidungsrechte bei der Schließung maroder Banken kämpfen, verfehlt die Bankenunion ihr Ziel. Zudem stellt sich angesichts der nationalen Gefechte die Frage, was Beschlüsse wert sind, die nur mit dem Mut der Verzweiflung oder im Angesicht purer Erschöpfung zustande kommen.

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