Europäische Zentralbank:"Toxische Atmosphäre"

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Jetzt ist der Streit öffentlich. Betriebsrat und EZB-Management beharken sich seit Jahren.

(Foto: imago/allOver)

Management der Angst: Der EZB-Betriebsrat beklagt in einem Brandbrief die Arbeitszustände in einer Abteilung der Bankenaufsicht.Dort würden auffallend viele Mitarbeiter freiwillig gehen - oder dazu gedrängt werden.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Mario Draghi begab sich neulich aus den Höhen der Geldpolitik in die Niederungen des täglichen Miteinanders. Es ging um die Frage, warum fünf Personalentscheidungen der EZB in diesem Jahr widerrufen werden mussten, und die Berufung des persönlichen Beraters von Draghi nun sogar vom Europäischen Gerichtshof überprüft wird. Die Arbeitnehmervertreter hatten entsprechenden Druck aufgebaut. Sie attestieren der EZB schon länger Vetternwirtschaft bei bestimmten Personalentscheidungen.

Draghi räumte in der Pressekonferenz ein, dass im Rekrutierungsprozess mitunter Fehler passierten. Diese würden dann aber korrigiert. Richtiggehend verärgert zeigte sich der EZB-Präsident darüber, dass all diese Fälle überhaupt publik wurden. Das erschwere die vertrauliche Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern. "Es ist sehr schwierig, jemandem zu vertrauen, der diese Dinge jedes Mal mit der Presse diskutiert."

Draghi ist sauer auf den Betriebsrat - er räumte aber auch das erste Mal öffentlich ein, dass in der Personalabteilung der EZB manchmal etwas schiefläuft.

Im Frühjahr organisierten die Arbeitnehmervertreter vor der EZB eine Demonstration

Jetzt gibt es neuen Ärger. Der Betriebsrat beklagt die Arbeitszustände in der EZB-Bankenaufsicht. In der Abteilung, in der etwa 300 Fachleute arbeiten, herrsche Angst, hoher Arbeitsdruck und eine "toxische Atmosphäre". Mitarbeiter würden mundtot gemacht. Es werde auf einige Aufseher Druck aufgebaut, die EZB zu verlassen. Diese schnörkellose Kritik liest man in dem Brief, den der Betriebsrat an die Chefinnen der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy und Sabine Lautenschläger, geschickt hat. Das Schreiben, das der SZ vorliegt, hat intern für Furore gesorgt, ging es doch per Mail an die gesamte Belegschaft und ist zudem im Intranet abrufbar.

"Es wird Druck aufgebaut, freiwillig zu gehen. Wenn man kooperiert, erhält man ein gutes Zeugnis", erzählt ein früherer EZB-Bankenaufseher, der beklagt, dass in seiner Abteilung Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt worden seien. "Wir sind dem öffentlichen Wohl verpflichtet, deshalb sollten diese Managementmethoden, die man aus dem Investmentbanking kennt, bei der EZB nicht vorkommen."

Die Vorwürfe richten sich gegen den Führungsstil in der Querschnittsabteilung der Bankenaufsicht. Die Einheit plant unter anderem die Sonderprüfungen bei Kreditinstituten, befindet über Sanktionen und prüft die Risikokontrollmodelle der Banken. Die Quote der Mitarbeiterabgänge in der Abteilung, so heißt es in dem Schreiben, habe 2016 fast vier Mal höher gelegen als im EZB-Durchschnitt.

Die EZB teilte mit, dass sich die Bankenaufsicht immer noch in der "Start-up-Phase befindet und die Abgänge vielerlei Gründe haben". Die Mitarbeiter in der betroffenen Abteilung hätten seit Jahresanfang die Möglichkeit, ihre Kritik in anonymisierter Form vorzutragen. Nouy und Lautenschläger hätten auf den Brief geantwortet und darin "die Sorgen thematisiert".

Ein Durchbruch, den Konflikt zu entschärfen, scheint die Replik aber nicht gewesen zu sein. "Leider legt die Antwort nahe, dass das Top-Management der EZB die Lage nicht wahrhaben will. Es gibt nicht viel Hoffnung, dass die Themen angegangen werden", sagte der Betriebsratschef Carlos Bowles.

Der Betriebsrat und das EZB-Management beharken sich seit Jahren. Die Notenbank steckt im Kulturwandel. Altgediente Mitarbeiter, die seit Gründung der Notenbank 1999 an Bord sind, sitzen plötzlich mit jüngeren Kollegen zusammen, die aus der Privatwirtschaft kommen. Erfahrung trifft auf Ungeduld.

Das gilt vor allem für die Bankenaufsicht, deren Verantwortung die EZB im Rahmen der Bankenunion im Jahr 2014 übernommen hat. Der Aufbau der neuen Aufsichtsbehörde geschah in aller Eile. Auf einen Schlag nahmen 1000 Kollegen ihre Arbeit auf, die aus verschiedenen Ländern kamen und sich kaum kannten. Einige haben vorher bei internationalen Großbanken gearbeitet, wo mitunter ein härterer Umgangston gepflegt wird.

Das führte zu Spannungen, die dadurch verstärkt wurden, dass Europas Bankenaufseher unter starkem öffentlichen Druck stehen.

Doch das Zerwürfnis zwischen Mitarbeitervertretung und Management geht tiefer. In der jüngsten Mitarbeiterumfrage beklagten etwa 80 Prozent der EZB-Mitarbeiter Vetternwirtschaft oder mangelnde Transparenz bei der Job-Vergabe. Das Thema beschäftigte schon das Europäische Parlament. Im letzten Herbst gab es einen Anhörungstermin vor dem parlamentarischen Wirtschafts- und Währungsausschuss, bei dem die Arbeitnehmervertreter erstmals den europäischen Politikern die Lage der EZB-Beschäftigten schildern konnten.

Im Frühjahr organisierten die Arbeitnehmervertreter vor der EZB eine Demonstration. Man kämpft um die Festanstellung von 120 langjährigen Fachkräften in der IT-Abteilung, die von Zeitarbeitsfirmen an die EZB ausgeliehen wurden. Die Notenbank möchte deren Aufgaben an eine Spezialfirma vergeben, dadurch könnten die Betroffenen ihren Job verlieren.

Das Verhältnis ist eisig, die Vorwürfe hart. Es entstünden "operationelle Risiken, wenn Fehler aus Angst vor Abstrafung nicht mehr an die Vorgesetzten gemeldet würden", sagt Bowles. Draghis Aufforderung an den Betriebsrat, in der Öffentlichkeit nichts mehr zu sagen, sei "unglücklicherweise nicht hilfreich", ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeiter frei sprechen könnten.

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