EZB:Wer Draghi attackiert, setzt Europa aufs Spiel

European Central Bank (ECB) President Draghi speaks during a news conference at the ECB headquarters in Frankfurt

EZB-Präsident Mario Draghi unter Druck

(Foto: REUTERS)

Einer für alle, alle auf einen: Mario Draghi hat der Euro-Zone Zeit erkauft. Doch die Politiker nutzen sie nicht - und beschimpfen den EZB-Chef stattdessen.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Für Politiker ist es wohlfeil, über Europa zu lästern. Die Briten haben es darin zur Meisterschaft gebracht und ein Referendum über den Verbleib in der Gemeinschaft erzwungen. Das Vorbild macht offensichtlich Schule. In Deutschland ist das Spitzenpersonal inzwischen dabei, durch stetes Nölen jene Festung zu stürmen, die es einst maßgeblich erschuf - die Europäische Zentralbank.

Sicher, es ist völlig normal, dass über geldpolitische Entscheidungen gestritten werden kann. Umso mehr, wenn sie nationale Traditionen wie das sprichwörtliche Sparbuch der Deutschen oder Geschäftsmodelle wie das der langjährigen Zinsbindung bei Immobilienkäufen oder Rentenpapieren konterkarieren. Was aber hierzulande zu beobachten ist, hat mit einer normalen Debatte nichts mehr gemein.

Dazu gehörte bisher, dass diejenigen Politiker, die einst die Regeln für die Notenbank der Euro-Zone erschufen, sich jetzt auch dazu bekennen - und verunsicherten Bürgern erklärten, warum die niedrigen Zinsen zwar nichts bringen auf Sparkonten, dass sie aber Arbeitsplätze sichern, Hauskredite billig machen und die schwarze Null, auf die Deutschland so stolz ist, überhaupt erst ermöglichen.

Zu protokollieren ist stattdessen ein unerwartet krasses Fehlverhalten der Verantwortlichen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schaut nicht nur zu, wie eine Garde an Unionisten verbal gegen den Präsidenten der Notenbank, Mario Draghi, zu Felde zieht - und damit unwidersprochen an Autorität wie Integrität kratzen darf. Schäuble lässt sich sogar dazu hinreißen, noch eins draufzusetzen und wirft Draghi vor, er treibe mit seiner Niedrigzinspolitik der AfD die Wähler zu.

Draghi hat der Politik Zeit erkauft. Der Lohn dafür: Beschimpfungen

Der Minister hat damit mehr als nur einen Lapsus begangen. Schäuble hat damit den Grundkonsens einer jeden deutschen Bundesregierung seit Einführung des Euro aufgegeben, wonach die Europäische Zentralbank, das Herz der Währungsunion, politisch unantastbar ist. Was natürlich die Frage aufwirft: Wie groß muss die Sorge des erfahrenen Politikers vor einem Siegeszug der AfD sein, wenn er sich bereit zeigt, die einzig funktionierende EU-Institution und möglicherweise sogar den Euro zu opfern?

Es ist ja nicht so, dass Schäuble keine andere Option hätte. Auch deutsche Politiker überhören, was Draghi seit Jahren predigt. Dass er zwar alles tun wird, was nötig ist, um die Euro-Zone zu sichern und stabile Preise zu gewährleisten. Dass er alleine es aber nicht schaffen wird - und deshalb die Regierungen in der Pflicht sind, ihrerseits die Konjunktur anzuschieben, etwa durch strukturelle Reformen.

Die letzte Strukturreform wiederum, die eine Bundesregierung durchgezogen hat, um wettbewerbsfähiger zu werden, liegt mehr als zehn Jahre zurück. Dass Deutschland heute prosperiert, liegt also unter anderem daran, dass die Zinsen so niedrig und der Euro so billig ist. Wer das ändern will, muss Draghi entlasten und Reformen angehen - statt Europa aufs Spiel zu setzen.

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