Europäische Zentralbank:Eine Bank mit beschränkter Freiheit

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Das neue Gebäude der EZB. (Foto: dpa)

Die Europäische Zentralbank nutzt ihre Unabhängigkeit anders, als die Deutschen sich das vorgestellt haben. Doch was darf die Bank, die mit ihren Entscheidungen das Leben der Bürger so extrem beeinflussen kann?

Von Marc Beise

Niemand steht über dem Gesetz - das ist ein Kernprinzip des Rechtsstaats. Ein Fundamentalprinzip, das Bürger über Jahrhunderte erstritten, verteidigt, verloren und wiedererkämpft haben. Niemand kann tun und lassen, was ihm so einfällt, kein Präsident, kein Kanzler, kein Verfassungsschützer, kein Verwaltungsangestellter. Auch kein Notenbanker, sollte man meinen.

An diesem Grundsatz aber kratzt die Konstruktion der Euro-Union mit einer Europäischen Zentralbank, die dem Einfluss der Politik und des Gesetzgebers weitgehend entzogen ist. Die Unabhängigkeit der Notenbanker drückt sich darin aus, dass allein sie Geld drucken lassen, die Geldmenge regeln und die Zinsen bestimmen, dass sie also extremen Einfluss auf das Leben der Bürger nehmen.

Die EZB nutzt ihre Unabhängigkeit ganz anders, als sich das die Deutschen bei der Einführung des Euro einmal vorgestellt haben. Sie macht nicht nur das Geld teuer und billig, sie ist drauf und dran, Staaten zu finanzieren und damit ins politische und ökonomische Spiel einzugreifen. Die Notenbank und ihr mächtiger Präsident Mario Draghi machen den Job der Politiker, ohne sich in Wahlen dem Urteil der Bürger stellen zu müssen.

Wegducken als Strategie

Niemand steht über dem Gesetz? Die EZB schon - weil die Regierenden sich wegducken, weil die Parlamente schweigen. Die EZB meint, das Vakuum füllen zu müssen, und sie tut das bisher sogar mit Erfolg: Draghis Drohung auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2012, notfalls die Gelddruckmaschine anzuwerfen und die Wertpapiere zu kaufen, die am Markt unverkäuflich waren, hat den Kursverfall der Euro-Staatsanleihen gestoppt. Diese Woche nun will die EZB den Kauf von Anleihen im ganz großen Stil beschließen.

Worum es dabei geht, versteht der Laie nur in Ansätzen, und selbst Experten sind von den Details überfordert. Schon die Chiffren der EZB sind dazu angetan, die Dinge zu verschleiern: OMT - Outright Monetary Transactions - hieß die Drohung von 2012; QE - Quantitative Easing - nennt sich das, was jetzt kommen soll. Die Regierenden tragen das alles mit, froh, dass sie nichts machen müssen. Höchste Zeit, dass Richter eingreifen.

Diesen Ruf hat das Bundesverfassungsgericht gehört, es hat schwere Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des OMT-Programms geäußert. Karlsruhe schaltete aber, um keine europäische Verfassungskrise heraufzubeschwören, erstmals den Europäischen Gerichtshof ein. Dessen Generalanwalt Pedro Cruz Villalón hat am Mittwoch einen ziemlich weisen Urteilsvorschlag gemacht.

Der Generalanwalt folgt Karlsruhe darin, die Kompetenz der EZB auf die Geldpolitik zu beschränken, sie darf sich nicht in die Finanzierung von Staaten einmischen. Nichts anderes freilich würde Draghi sagen, der nicht müde wird zu betonen, dass seine EZB sich im Rahmen ihres gesetzlichen Mandats halte. Dies wirklich zu überprüfen, zu beurteilen und am Ende womöglich zu verwerfen, maßt sich der Generalanwalt - bisher - nicht an. Beinahe demütig spricht er davon, dass Gerichte die EZB "mit einem erheblichen Maß an Zurückhaltung" kontrollieren sollten, "da ihnen die Spezialisierung und Erfahrung fehlen, die die EZB auf diesem Gebiet besitzt".

Handeln muss begründet werden

Das wäre die Abdankung des Rechts - wenn nicht der Spanier einige wichtige Einschränkungen nachgeschoben hätte. So müsse die EZB bei einer derart "unkonventionellen" Maßnahme, mithin in einer Notsituation, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Sie muss ihr Handeln genau begründen (und damit vor Gericht überprüfbar machen). Und sie muss zwischen Reden und Handeln so viel Zeit lassen, dass "tatsächlich die Bildung eines Marktpreises für die Staatsschuldtitel" ermöglicht wird.

Das kann man in der Summe eine vermittelnde Position nennen zwischen denen, die der EZB freie Hand geben wollen und denen, die sie schon jenseits aller Regeln stehen sehen. Die Bundesverfassungsrichter werden das sorgfältig lesen und einigermaßen zufrieden sein, ein Kampf der Gerichte ist wohl abgewendet.

Trotzdem bleibt die Lage labil. Erstens ist nicht gesagt, dass das bunt gemischte Europarichter-Gremium der Linie des Generalanwalts folgt. Und selbst wenn das geschieht, ist zunächst nicht viel gewonnen. Am Ende sind Papiere und Richter geduldig. In der Praxis muss die EZB vor allem sich selbst zügeln.

Draghi und seine Kollegen haben damit eine hohe Verantwortung: Wirtschaftlich - weil die Politik des ganz lockeren Geldes brandgefährlich ist. Politisch - weil die vielen Kritiker in Deutschland nur darauf warten, dass die EZB immer umfassender agiert.

Der Kampf um den Euro ist nicht vorbei.

© SZ vom 15.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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