Europäische Geldpolitik:Draghis neue Milliarden

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Einkaufstour im Shopping-Center: Die Inflation ist auf ungewöhnlich niedrigem Niveau. Europas Notenbanker wollen sie unbedingt erhöhen.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Die Europäische Zentralbank will die Inflation erhöhen und dazu noch mehr Geld ins Finanzsystem pumpen - nicht nur die Bundesbank ist dagegen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es gibt ja viele Menschen, die halten Mario Draghi spätestens seit Sommer 2012 für den mächtigsten Mann in der Euro-Zone. Damals versprach der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), alles zu tun, um den Euro zu retten. Draghi sitzt am Geldhahn. Sein Versprechen rettete die Währungsunion vor dem Kollaps, und die Welt lernte damals, dass man sich im äußersten Ernstfall, wenn es um die Stabilität der Euro-Zone geht, auf Mario Draghi verlassen kann.

Doch im Tagesgeschäft läuft es für den EZB-Chef weniger rund. Die Inflation kommt und kommt nicht in Schwung. "Wir werden das tun, was wir machen müssen, um die Inflation so schnell wie möglich zu erhöhen", sagte Draghi am Freitag mit ziemlich klaren Worten. Die Währungshüter im EZB-Rat entscheiden am 3. Dezember darüber, ob sie den Strafzins für Europas Banken erhöhen und darüber hinaus noch mehr Geld in die Finanzwirtschaft schleusen. Es droht ein neuer Konflikt im Notenbankgremium. Dieses Mal geht es um die Essenz währungspolitischer Ziele: die Preisstabilität.

In Zeiten steigender Inflation versteht es sich von selbst, dass eine Notenbank eingreift, um den Teuerungsimpuls abzuschwächen. Die Euro-Zone leidet nun jedoch unter dem gegenteiligen Phänomen: Die Preise steigen fast gar nicht mehr. Die EZB hat sich wie fast alle Notenbanken der Welt auf ein langfristiges Inflationsziel von durchschnittlich zwei Prozent festgelegt. Bei diesem Teuerungswert, so die Überzeugung, habe die Wirtschaft genug Puffer vor einer gefährlichen dauerhaften Deflation, die in Japan zu einer jahrzehntelangen Stagnation geführt hat. In der Euro-Zone lag die Inflationsrate im Oktober bei 0,1 Prozent. Schon seit über einem Jahr lässt sich diese "Disinflation" beobachten. Vor allem der niedrige Ölpreis drückt die Geldentwertung: Niedrige Rohstoffpreise können eine Wirtschaft ankurbeln. Sie können aber auch Ausdruck einer sich abschwächenden Konjunktur sein. Wie der fallende Ölpreis zu interpretieren ist - darum dreht sich im Kern die aktuelle Auseinandersetzung im EZB-Rat.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann glaubt, die niedrigen Rohstoffpreise könnten die Konjunktur anschieben. Er warnte am Freitag erneut vor einer weiteren Ausweitung der Geldschwemme: "Je länger die extrem lockere Geldpolitik andauert, umso weniger wirkt sie und umso mehr Risiken und Nebenwirkungen kommen ins Spiel." Regierungen könnten sich an die niedrigen Zinsen gewöhnen und notwendige Reformen verschleppen. "Wir sollten auch nicht vergessen, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen noch Zeit brauchen, um voll zu wirken", sagte Weidmann. Im EZB-Rat gibt es noch einige andere Mitglieder, etwa der Notenbankchef Estlands, Ardo Hansson, die Draghis Wunsch nach Eile nicht teilen.

Zugleich erwägt Draghi, auch den Strafzins für Banken zu erhöhen. Das gilt als riskant

Die EZB kauft seit März jeden Monat Staatsanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro. Bis Ende September 2016 sollen so 1,1 Billionen Euro in das Finanzsystem fließen. Die Ankäufe drücken die Zinsen. Banken, so die Hoffnung, würden mehr günstige Kredite an Unternehmen geben. Die EZB könnte das Kaufprogramm noch ausweiten, sei es durch eine höhere Schlagzahl pro Monat, sei es durch eine Verlängerung über September 2016 hinaus, oder sei es durch den zusätzlichen Ankauf anderer Wertpapiere, beispielsweise von Unternehmensanleihen.

Gleichzeitig erwägt Draghi, den Strafzins für Banken weiter abzusenken. Schon jetzt müssen Europas Kreditinstitute eine Gebühr von 0,2 Prozent für ihre Einlagen bei der EZB bezahlen. Auf den EZB-Konten parken die Banken ihre Überschüsse. Die Idee: Je höher die Strafe, desto stärker der Druck auf die Banken, das überschüssige Geld zu verleihen, um so die Wirtschaftsentwicklung zu fördern.

Doch auch das Gegenteil kann passieren. "Die Geschäftsbanken könnten bei einer übermäßigen Senkung des Einlagensatzes versuchen, die finanziellen Belastungen durch höhere Kreditkonditionen auszugleichen", befürchtet Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. Die Kreditzinsen könnten also steigen, was die EZB-Politik konterkarieren würde. In Dänemark und der Schweiz war dieser Effekt zu beobachten. Zudem habe die bisherige EZB-Geldpolitik dazu geführt, dass die Margen der Banken bei der Kreditvergabe gesunken sind. "Schwindende Gewinne können grundsätzlich dazu beitragen, dass die Banken zu wenige Reserven haben. Dies verringert tendenziell die Widerstandskraft des Bankensystems und erhöht die Risiken für die Finanzstabilität", sagt Bielmeier.

Auch die amerikanische, japanische und britische Notenbank müssen sich seit Jahren mit dem Phänomen sinkender Preise auseinandersetzen. Dafür gibt es Gründe. In den Industriestaaten wächst die Zahl der älteren Menschen, die weniger konsumieren und mehr sparen. Gleichzeitig drückt die Digitalisierung vielerorts Löhne und Preise. "Die Notenbanker sollten sich nun allesamt fragen, ob ihre Politik des ultrabilligen Geldes wirklich das Wirtschaftswachstum stimuliert oder vielleicht die Unternehmensgewinne drückt und damit eine konjunkturelle Erholung behindert", sagt Bill Gross, Fondsmanager bei Janus Capital. "Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass eher das Letztere anzunehmen ist." Gross schlägt deshalb vor, mehr Inflation zuzulassen. Die Notenbanken sollten ihr Inflationsziel von derzeit zwei auf drei Prozent anheben.

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