Europa:Sprachlos in Brüssel

EU-Parlament kritisiert Roma-Abschiebungen

Volles Haus im EU-Parlament. Doch ohne Dolmetscher ginge gar nichts mehr im politischen Europa.

(Foto: Christophe Karaba/dpa)

Die Dolmetscher des Europaparlaments wehren sich gegen längere Arbeitszeiten und mehr Abenddienste. Klar ist auch: Ohne sie ginge nichts im politischen Europa.

Von Thomas Kirchner, Straßburg

Es war ein unerhörter Vorgang im Straßburger Europaparlament. Abgeordnete mehrerer Parteien verzögerten am Dienstag den Beginn einer Rede des bulgarischen Premierministers Boiko Borissow. Die Parlamentarier blockierten die Reparatur der nach einer Störung ausgefallenen Mikrofon- und Lautsprecheranlage, indem sie 40 Minuten lang den roten Aus-Knopf besetzt hielten.

Gedacht war die Aktion als Geste der Solidarität mit den Dolmetschern im Haus, die sich über neue Arbeitsbedingungen beschweren. Sie hatten schon während der Tagungswoche im Juni streiken wollen, waren von der Parlamentsverwaltung aber zwangsverpflichtet worden. Und auch in dieser Woche wurden sie zur Arbeit gezwungen. Denn ohne Dolmetscher ginge gar nichts mehr im politischen Europa. Sie sind so unerlässlich wie Fluglotsen und Lokführer. Im Plenum übersetzen sie simultan in 24 Sprachen, hinzu kommen Ausschusssitzungen, Fraktionssitzungen, Pressekonferenzen und viele weitere Treffen. 330 Festangestellte und 1500 Freiberufler bilden einen der größten und angeblich besten Dolmetscherdienste der Welt, der zusammen mit dem Übersetzerservice ein Drittel des Parlamentsetats kostet.

"Wir werden dargestellt wie launische Kinder, die faulenzen wollen."

Wie alle EU-Beamten werden die Dolmetscher ordentlich bezahlt. Doch dafür arbeiteten sie nicht genug, meint die Parlamentsverwaltung. 2013 schlug sie vor, die Dienstzeiten den gewachsenen Zuständigkeiten der Kammer und dem Mehrbedarf an Flexibilität anzupassen: acht statt sieben Stunden Arbeit am Tag, sechs Abenddienste im Monat. "Das Unglück begann, als man zählte, wie viele Stunden pro Woche wir in unseren Kabinen sitzen", sagt eine Dolmetscherin, die anonym bleiben möchte, der SZ. Die Verwaltung ermittelte einen Schnitt von 11,54. "Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es wird kaum berücksichtigt, dass wir uns auch vorbereiten, die Aktualität verfolgen, die Sprache pflegen, Übungen machen müssen." Auch der Vergleich mit den Dolmetschern der EU-Kommission, die länger arbeiten müssen, gehe fehl. Im Parlament sei die Simultanübersetzung schwerer. Hier werde oft über viele Themen auf einmal gesprochen. Und zwar wegen der Redezeitbeschränkungen weitaus schneller: mit 200 bis 250 Wörtern pro Minute, normal sind 100 bis 150. "Wir werden dargestellt wie launische Kinder, die faulenzen wollen. Aber es geht auch um die Qualität." Und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Dolmetscher arbeiteten oft auf Abruf und müssten lange Wartezeiten überbrücken.

Nach jahrelangen Gesprächen zwischen Verwaltung und Personalrat lehnten die Dolmetscher eine Vereinbarung 2015 ab. 2017 erließ die Verwaltung dann einseitig neue Regeln. Beide Seiten sind nicht weit auseinander. In diesen Tagen laufen neue Verhandlungen.

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