Europa:Sorge um den Euro

Bundestag Sondersitzung

Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Der Bund fürchtet um die Währungsunion. Probleme: Streit um die Grenzkontrollen, Einhaltung der Stabilitätskriterien, Erosion der bürgerlichen Regierungen.

Von Cerstin Gammelin

In der Bundesregierung wächst die Sorge um den Euro. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) warnen eindringlich davor, dass die von der Flüchtlingskrise ausgelöste negative Dynamik in Europa dazu beiträgt, die Fundamente der Währungsunion weiter zu zerstören.

Angela Merkel sagte am vergangenen Montag bei einer Parteiveranstaltung im nordhessischen Volkmarsen: "Wenn wir wieder in kleine Staaten zerfallen, dann wird das ganz schwierig" mit einer gemeinsamen europäischen Währung. Wolfgang Schäuble hatte Mitte Januar in einem SZ-Interview überraschend das Ende des Euro durchgespielt. "Der europäischen Währung, der würden viele in Deutschland nachtrauern, die jetzt sagen, sie sei schuld an allen unseren Problemen", sagte er. "Man lernt ja viele Dinge erst wertschätzen, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind." Bei einem internationalen Finanztreffen am vergangenen Wochenende in Shanghai legte der Minister nach. "In Europa werden wir in nächster Zeit auf Instrumente der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit setzen und auf eine Koalition der Willigen. Ich glaube, dass sich daraus eine neue Dynamik entwickeln kann".

Der europäischen Währung, der würden viele in Deutschland nachtrauern, sagt Schäuble

Schäuble fühlt sich veranlasst, seine alte Idee eines Kern-Europa wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Danach arbeiten nur die EU-Ländern politisch und wirtschaftlich eng zusammen, die sich an die vereinbarten vertraglichen Grundlagen halten.

Die Sorge um den Euro speist sich aus drei Entwicklungen.

Die Flüchtlingskrise hat dazu geführt, dass sich die Europäische Union zurück entwickelt. Das grenzenlose Europa, auf dem Binnenmarkt, Schengensystem und Euro basieren, wird durch die Rückkehr nationaler Grenzen konterkariert. Wenn die freie Bewegung von Bürgern und Waren nicht mehr möglich ist, schränkt das automatisch den Binnenmarkt ein, was sich wiederum auf die gemeinsame Währung auswirkt, für die der gemeinsame Markt existenzielle Grundlage ist.

Die Wiederkehr der Grenzen verstärkt das grundsätzliche Problem, das die Bundesregierung umtreibt: dass nämlich der Stabilitäts- und Wachstumspakt wirkungslos geworden ist. Die Europäische Kommission hat dessen Regeln bis zum Äußersten gedehnt, ein Ende ist nicht in Sicht. Gerade wird in Brüssel heftig darüber diskutiert, die Kosten der Flüchtlingskrise nicht auf die Neuverschuldung anzurechnen. Trotz aller Flexibilität reißen fünf Länder praktisch permanent die Defizitgrenze von drei Prozent, darunter die Schwergewichte Frankreich und Spanien. Italien ist auf bestem Weg dahin und will zudem erreichen, dass die nationalen Schuldenbremsen des Fiskalpaktes ausgesetzt werden. Hintergrund der ständigen Forderungen aus Italien, Spanien, Frankreich und anderen Ländern, die Defizitregeln flexibel auszulegen, ist deren Wunsch, wegen des schwachen Wachstums mehr Geld in Konjunkturprogramme stecken zu können. In Berlin wächst parallel die Erkenntnis, dass die Konstruktion, auf der die Gründerstaaten des Euro die gemeinsame Währung aufgebaut ist, nicht mehr hält.

Noch schlimmer ist, dass es absehbar nicht möglich sein wird, die Stabilitätskriterien wieder politisch durchzusetzen. Der Union sind die Partner in den Nachbarländern abhanden gekommen. Denn die Europäische Volkspartei (EVP), also die europäische Parteienfamilie, zu der die Union gehört und die gleiche Interessen teilt, ist aus vielen Regierungen verschwunden.

In Portugal hat eine Linksregierung Ende November die Geschäfte ihrer konservativen Vorgänger übernommen. Die Zahlungsfähigkeit der Regierung in Lissabon hängt inzwischen an der positiven Bewertung einer Ratingagentur aus Kanada - sollte die ins Negative korrigiert werden, müssten die Euro-Länder über ein neues Hilfsprogramm beim Euro-Rettungsfonds ESM nachdenken. Schäuble müsste den Bundestag überzeugen, warum das Land, dass sich mithilfe des ersten Hilfsprogramms angeblich modernisiert hat, wieder Milliardenhilfe braucht. In Spanien hat der konservative Premier Mariano Rajoy bei Wahlen im Dezember 2015 die Mehrheit verloren. In Irland ist dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Enda Kenny gerade dasselbe passiert. Auch in den Benelux-Staaten haben Christdemokraten keine Regierungsmacht mehr. In Belgien, den Niederlanden und Luxemburg regieren liberal geführte Koalitionen. Ebenso in Finnland und Estland. In Litauen und Österreich sind es Sozialdemokraten.

Frankreich, Italien und Spanien kommen mit dem Euro wirtschaftlich nicht in Schwung

Nun sind politische Machtwechsel in Demokratien normalerweise kein Grund zur Beunruhigung, sondern Alltag. Doch auch hier erweist sich die Konstruktion des Euro als fragil. Hinzu kommt, dass drei der vier größten Euro-Volkswirtschaften unter den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht auf die Beine kommen. Frankreichs Wirtschaft liegt deutlich hinter der Deutschlands zurück, den regierenden Sozialisten sind innenpolitisch die Hände gebunden - 2017 wird gewählt, die Rechten haben Zulauf. Italien wächst seit Einführung des Euro kaum noch, hat ein riesiges Problem mit Banken und fürchtet, vom Flüchtlingschaos infiziert zu werden.

In Spanien ist eine Linksregierung nicht ausgeschlossen. Die großen Probleme lassen die Dauerkrise in Griechenland in den Hintergrund treten. Schäuble ließ am Mittwoch endgültig wissen, dass er zu Zugeständnissen bereit sei: Athen habe im Rahmen des laufenden Rettungsprogramms die Möglichkeit, strittige Maßnahmen wie Rentenkürzungen durch andere Eingriffe zu ersetzen. Voraussetzung sei, "dass am Ende die Zahlen stimmen". Das gilt auch für die Zukunft der Währungsunion.

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