Europa-Rettung:Was vom Gipfel übrigblieb

Europa ist gerettet! Das sollte die Botschaft des großen Gipfels Anfang Dezember sein. Doch Worte sind billig - und die Märkte haben sich noch nicht beruhigt. Was ist seitdem eigentlich tatsächlich passiert? Die wichtigsten Punkte.

Cerstin Gammelin, Catherine Hoffmann, Claus Hulverscheidt und Hans-Jürgen Jakobs

Die Vokabel des Tages hieß "Stabilitätsunion". Das war die Botschaft, die vom Europa-Gipfel in Brüssel in der Nacht auf den 9. Dezember ausgehen sollte. Es sollte Schluss sein mit dem Leben auf Pump in der Euro-Zone. Gesucht wurde und wird das Vertrauen der Finanzmärkte. Doch die Märkte bleiben nervös. Was ist seit der Brüsseler Nacht passiert? Wie werden die Beschlüsse verwirklicht? Wo gibt es Defizite? Eine Bestandsaufnahme.

Europa-Rettung: Das war ermüdend: Der Euro-Gipfel in Brüssel zur Abwehr der Schuldenkrise.

Das war ermüdend: Der Euro-Gipfel in Brüssel zur Abwehr der Schuldenkrise.

(Foto: AP)

Mehr Feuerkraft für den IWF

Wie viel ist "maßgeblich"? Die EU-Staaten und die großen außereuropäischen Industrieländer wollen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bis zu 200 Milliarden Euro leihen, die der IWF dann zur Bekämpfung der Schuldenkrise einsetzen kann. Die Begeisterung hält sich weltweit in Grenzen. Vor allem die USA als größter Anteilseigner des Währungsfonds haben signalisiert, dass sie kein Geld geben wollen. Das hat die Bundesbank auf den Plan gerufen, die Deutschland im Kreis der IWF-Aktionäre vertritt und die 45 Milliarden Euro beisteuern soll: Sie sei dazu nur bereit, wenn sich auch Staaten außerhalb der Währungsunion "maßgeblich" an der Aktion beteiligen. Anderenfalls gerieten die Notenbanken der Euro-Länder in den Ruch der verbotenen Staatsfinanzierung.

Was "maßgeblich" in Länderzahlen oder in Euro ausgedrückt bedeutet, hat die Bundesbank offen gelassen. Ist eine "maßgebliche" Beteiligung dann gegeben, wenn sich zwar die USA verweigern, dafür aber Großbritannien, China und Russland mitmachen? Oder muss Washington dabei sein? Die Briten haben sich zurückhaltend geäußert, die Dänen hingegen wollen fünf Milliarden beitragen.

Auch Russland und Brasilien haben Unterstützung angekündigt. Wie viel genau sie einzahlen werden, wollen sie im Rahmen der sogenannten Brics-Gruppe klären, zu der noch Indien, China und Südafrika zählen. Auch ob sich die USA am Ende verweigern werden, ist offen. Zwar sagte Notenbankchef Ben Bernanke, er habe "weder die Absicht noch die Befugnis", das Geld der US-Steuerzahler zur Rettung Europas einzusetzen. Er machte dem Vernehmen nach aber klar, dass ein Zusammenbruch der Euro-Zone "sehr schädlich" für die USA wäre.

EFSF, die Hebelei

Im Krisenfall kann der Euro-Rettungsschirm EFSF Kredite von bis zu 440 Milliarden Euro aufnehmen, indem er Anleihen begibt; die Mitgliedstaaten haften für das Ausfallrisiko. Davon stehen derzeit noch 250 Milliarden Euro zur Verfügung - zu wenig, um damit im Notfall das hoch verschuldete Italien zu stützen. Deshalb wollen die Euro-Staaten mit einem "Hebel" neue Milliarden mobilisieren. Ursprünglich sollte die Finanzkraft des Fonds auf eine Billion Euro vervierfacht werden. Doch inzwischen räumt selbst der EFSF ein, dass es hierfür nicht genügend Investoren gibt. EFSF-Chef Klaus Regling und der IWF hatten versucht, Schwellenländer wie China, Brasilien oder Russland zu gewinnen; sie blitzten ab.

Die potentiellen Anleger haben kalte Füße bekommen. Seit vom "Hebel" die Rede ist, sind die Risikoaufschläge, die der EFSF am Markt zahlen muss, wenn er sich Geld leiht, immer wieder gestiegen. Logisch: Je weiter der Fonds ausgedehnt wird, desto größer ist die Gefahr für Geberländer, auf Milliarden-Forderungen sitzen zu bleiben. Dadurch gerät letztlich auch die Bonität Deutschlands und Frankreichs in Gefahr. Nun soll versucht werden, die restlichen EFSF-Mittel zu verdoppeln, im besten Fall zu verdreifachen, um höchstens 750 Milliarden Euro zur Hand zu haben.

ESM, die neue Last

Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen die Euro-Staaten eine Festung zum Schutz der Währungsgemeinschaft errichten. Dieser dauerhafte Rettungsschirm sollte ursprünglich erst Mitte 2013 kommen und den Rettungsfonds EFSF für klamme Euro-Mitglieder ablösen. Doch nun wird der ESM nach Möglichkeit schon im Juli 2012 am Start sein und nach einer Übergangsphase den jetzigen Euro-Rettungsfonds ersetzen. Nach dem bisherigen Plan soll der ESM mit einer Kreditkapazität von 500 Milliarden Euro starten. Darin eingerechnet sind allerdings die rund 190 Milliarden Euro, die bis dahin zur Unterstützung von Irland, Portugal und Griechenland ausgegeben wurden.

Damit der Fonds so viel Geld ausleihen kann, muss er nicht nur mit Bürgschaften über 720 Milliarden Euro ausgestattet werden, sondern auch mit einem Kapitalstock in Höhe von 80 Milliarden Euro. Deutschland zahlt davon 21,7 Milliarden Euro in fünf Raten ein. Zumindest die erste Tranche über 4,3 Milliarden Euro muss nun vorgezogen werden, damit der ESM früher einsatzfähig ist. Im März 2012 werden die Euro-Finanzminister prüfen, ob die 500 Milliarden Euro überhaupt ausreichen. Deutschland lehnt es ab, mehr Geld für die Krisenabwehr auszugeben, es wird von den Niederlanden, Finnland und der Slowakei unterstützt. chof

Die Schuldenbremse

Es klingt gut: Eine Schuldenbremse soll, nach deutschem Vorbild, in die Verfassungen der Euro-Staaten eingeführt werden. Grundsätzlich soll der Staatshaushalt ausgeglichen sein, laut Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die "goldene Regel", für seinen Kontrahenten François Hollande dagegen "vielleicht eine Falle". Das strukturelle Defizit dürfe den Grenzwert "von 0,5 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen". Darüber wird öffentlich eine heftige Debatte geführt, nicht nur in Großbritannien, wo die Daily Mail bereits vor Wochen vom "Vierten Reich" fabulierte, weil sich Deutschland mit der Schuldenbremse den Kontinent gefügig mache.

Dennis Snower, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, spricht öffentlich von einer "falschen Hausaufgabe". Die Regel würde ja bedeuten, dass die Schulden immer deutlich langsamer wachsen müssten als die Wirtschaft, denn nur sinkt auf Dauer die Schuldenquote, also das Verhältnis der Verbindlichkeiten zum Inlandsprodukt. Das sei "langfristig schädlich", so Snower, und bremse womöglich das Wachstum ab. Entwickelte Volkswirtschaften bräuchten zum Beispiel öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. In Österreich entwickelte sich das Thema "Schuldenbremse" bereits zum Gegenstand des Vorwahlkampfs der beiden Regierungsparteien: Während die konservative ÖVP für Steuersenkungen plädiert, tendiert die linksliberale SPÖ zur Erhöhung der Vermögenssteuer. Ein Verfassungsjurist sieht die Bremse als symbolische "Verbeugung vor den Ratingagenturen".jja

Die Vertragsprobleme

Kanzlerin Angela Merkel will "den Flaschenhals im Lissabon-Vertrag" beseitigen. Damit meint sie Artikel 126, der festlegt, dass Sanktionen für nicht regelkonform wirtschaftende Länder mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Nun wollen die Euro-Länder auf dieses Recht verzichten. In einem von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vorgelegten Vertragsentwurf verpflichten sie sich, keine Abstimmung zu verlangen. Diesmal ist Brüssel sehr schnell. Ab Dienstag kommender Woche beraten Unterhändler darüber. gam

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