Europa:Gleicher Lohn für alle

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Argumente geprüft, Entscheidung belassen: EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen. (Foto: imago/Reporters)

EU-Kommission setzt sich gegen Protest vieler Länder durch. Die Regel betrifft etwa die Fleischbranche.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Trotz heftigen Widerstandes der mittel- und osteuropäischen Staaten hält die EU-Kommission an ihren Plänen fest, die sogenannte Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der EU neu zu regeln. Wichtigste Neuerung: Künftig gilt das Prinzip gleicher Lohn für alle, die am gleichen Ort arbeiten. Die Entsende-Richtlinie betrifft Arbeitnehmer, die ins Ausland entsandt werden, die aber in der Sozialversicherung ihres Heimatlandes bleiben. Sie sollen künftig zu gleichen Bedingungen wie ihre Kollegen im Gastland arbeiten. Besonderes Augenmerk galt bei der neuen Richtlinie Niedriglohn-Jobs in der Fleischverarbeitung, auf dem Bau, in der Landwirtschaft und im Transportgewerbe. Hier klagen Deutschland, Frankreich und Belgien über Sozialdumping. In diese Länder werden die meisten Arbeitnehmer entsendet. Der Kommission zufolge verdienen sie dort etwa ein Drittel weniger als Einheimische.

Bisher müssen Arbeitgeber den aus dem Ausland kommenden Arbeitnehmern nur die nationale Gehaltsuntergrenze zahlen, die meist niedriger ist als die Mindestlöhne in der jeweiligen Branche. Künftig sollen auch Boni und andere Zulagen gezahlt werden müssen. Tarifverträge sollen in allen Bereichen, nicht nur im Baugewerbe, auch für entsandte Arbeitnehmer gelten. Für Leiharbeiter greifen die Regeln des Gastlands, wenn ihr Unternehmen dort niedergelassen ist. Zudem soll die Entsendung auf 24 Monate begrenzt werden.

Mehrere osteuropäische Staaten kritisierten die Kommissionspläne vehement. Ihre Unternehmen profitieren von den unterschiedlichen Lohnniveaus und wollen den Wettbewerbsvorteil nicht aufgeben. Das sei legitim, hieß es. Man solle lieber den Lebensstandard in den Mitgliedstaaten angleichen, forderte Tschechien. Die Slowakei und andere klagten, mit der Reform werde in die kollektive Lohnfindung eingegriffen, bei der die EU nicht mitreden dürfe. Einspruch erhob auch Dänemark. In Beschwerden an die Kommission machten sie vor allem politische Einwände geltend. Formal versuchten sie die Reform aber als angeblichen Eingriff in nationale Rechte auszuhebeln.

Im Mai zückten elf Staaten daher eine "gelbe Karte". Sie hatten das Quorum von mindestens einem Drittel der nationalen Parlamente erreicht, die gemäß dem Vertrag von Lissabon einen Brüsseler Vorschlag zurückweisen dürfen, wenn er ihrer Ansicht nach das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Die Kommission musste den Plan überdenken; es stand ihr aber frei, ihn unverändert zu lassen, was sie nun getan hat. Bei einer ersten gelben Karte, als es um soziale Grundrechte im Binnenmarkt ging, zog sie ihren Vorschlag 2012 zurück; im Falle der geplanten EU-Staatsanwaltschaft behielt sie ihn 2014 bei.

Da bei der Entsendung mehrere Staaten betroffen seien, sei die Regelung naturgemäß Aufgabe der EU, begründete EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen ihren Schritt. Auf die inhaltliche Kritik werde man jeweils einzeln in schriftlichen Antworten eingehen. Man habe die von mehreren europäischen Parlamenten dagegen vorgebrachten Argumente sorgfältig geprüft, sagte Thyssen und sei zum Schluss gekommen, dass der Vorschlag nicht gegen das Prinzip verstoße, wonach die Union nur tätig werden darf, wenn eine Angelegenheit auf der nationalen oder lokalen Ebene nicht gelöst werden kann.

Grüne und Sozialdemokraten begrüßten das Vorgehen der Kommission. "Wir brauchen klare EU-weite Regelungen und härtere Sanktionen, um Ausbeutung bei Subunternehmerketten zu bekämpfen", erklärte Terry Reintke (Grüne). Über den Vorschlag befinden nun der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament. Diese Institutionen können ihn noch verändern.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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