Euro:Arbeitsmigranten müssen willkommen sein

Wirtschaft in Ostdeutschland

Es fehlen Arbeitskräfte in Deutschland.

(Foto: Peter Endig/dpa)

Eine Währungsunion kann nicht funktionieren, wenn die Mobilität auf den Arbeitsmärkten fehlt. Das zeigt sich gerade in Europa. Migranten aus anderen Ländern können dabei helfen.

Von Klaus F. Zimmermann

Bei der Einführung des Euro wurden unter skeptischen Ökonomen zwei große Gefahren diskutiert. Einmal, so die Sorge, könnte dessen Stabilität durch unsolide Staatsfinanzen in einzelnen Ländern bedroht sein, zum anderen durch einen immobilen Arbeitsmarkt in Europa. Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung einzelner Länder waren zuvor mittels flexibler Wechselkurse abgefedert worden. Nun, mit dem Euro, mussten Haushaltspolitik und Arbeitsmarkt bei Krisen für die nötige Anpassung der Volkswirtschaften sorgen. Beide Aufgaben blieben aber in der letzten Verantwortung der nationalen Regierungen unerledigt liegen. Weder wurde ein effektives System von Finanzhilfen oder ein Transfersystem zugunsten schwacher Mitgliedsländer etabliert, noch wurde die Mobilität der Arbeitskräfte hinreichend gefördert.

Folglich kann die anhaltende Krise des Euro auch nicht verwundern. Das wird am Beispiel von Griechenland klar. Reformen und Haushaltsdisziplin mussten als Basis für Hilfen aus den anderen Ländern der Eurozone erst mühsam erstritten werden. Trotz dramatisch steigender Arbeitslosenzahlen nahm die griechische Zuwanderung nach Deutschland nur relativ bescheiden zu. Sonst hätten jetzt die Geld-Überweisungen der Arbeitsmigranten an ihre Familien den Lebensstandard in Griechenland stärken und dessen hohen Importe finanzieren können.

Arbeitsmärkte müssen bewirken, was Wechselkurse nicht mehr können

Noch immer wird die Bedeutung integrierter Arbeitsmärkte für das Gelingen der europäischen Einigung und die Zukunft des Euro gewaltig unterschätzt. Seit seinen Anfängen gehörte zu diesem Projekt der europäischen Einigung das Ziel der Integration der Arbeitsmärkte, um so den gemeinsamen Wohlstand zu steigern. Es geht darum, die Produktionsfaktoren, also Arbeit und Kapital, möglichst optimal zu verteilen. Auch der Einsatz von Arbeit muss sich flexibel an den Bedarf anpassen und darf nicht durch Institutionen oder Unterschiede in der jeweiligen Kultur gehemmt werden. Erfahrungsgemäß führt Mobilität der Arbeitskräfte dann auch zu einer rascheren Durchsetzung von Innovationen, mit positiven Folgen für Wachstum und Beschäftigung. Wenn sich die Unterschiede der Entwicklung im Währungsraum wieder ausgeglichen haben, muss die Migration auch nicht dauerhaft sein. Wanderungen dienen vielmehr dazu, temporäre Ungleichgewichte abzubauen. Rückkehrer bringen dann nicht nur Berufserfahrung, sondern auch Sprachkenntnisse und nützliches Wissen über wichtige wirtschaftliche Neuerungen in ihre alte Heimat mit.

Viele Länder konnten dem Euro erst nach einem ehrgeizigen Stabilisierungsprogramm beitreten. In den ersten Jahren des neuen Währungsraumes haben sich die Volkswirtschaften einzelner Länder auch, wie erwartet, aneinander angepasst. In der Euphorie wurden beim Beitritt neuer Länder zum Euro jedoch zu viele Kompromisse gemacht, darunter auch bei Griechenland. Die große Wirtschaftskrise hat dann gezeigt, dass die Anpassungsfähigkeit vieler am Euro beteiligten Länder nicht groß genug war und der Bedarf an Reformen nicht gründlich genug gedeckt wurde. Als Folge entwickelten sich die Volkswirtschaften, insbesondere im Euro-Raum wieder auseinander.

Klaus F. Zimmermann

ist Direktor des unabhängigen Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Er berät unter anderem die Europäische Kommission und die Weltbank.

Gleichzeitig richtete sich in den vergangenen Jahren die Stimmung zunehmend gegen Arbeitnehmer aus dem Ausland. Arbeitsmobilität, so ging die Sorge, schade einheimischen Arbeitskräften und führe zur Ausnutzung nationaler Wohlfahrtssysteme. Dies jedenfalls lässt sich aus den Wahlerfolgen rechter und europakritischer politischer Bewegungen in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union schließen. Dabei spielte es keine Rolle, dass diese Stimmungen nicht durch harte empirische Fakten getragen werden. Weder schaden Zuwanderer einheimischen Arbeitskräften, noch beuten sie systematisch Wohlfahrtssysteme aus. Vielmehr waren sie wirksame Stimulatoren für Wirtschaftswachstum. Dieses Missverständnis bedroht nicht nur die europäische Idee von der Offenheit der Märkte, sondern gefährdet auch unseren Wohlstand. Ein Zerfall der Europäischen Union könnte die Folge sein.

Die Euro-Debatte

Sparen oder nicht? Schuldenschnitt - ja oder nein? Prominente Ökonomen diskutieren in der SZ über die Krise in Griechenland und was daraus für Europas Zukunft folgt. Alle bisherigen Beiträge - von Marcel Fratzscher über Ludger Schuknecht bis hin zu Jeffrey Sachs - finden Sie unter: www.sz.de/szdebatte-griechenland

Der europäische Arbeitsmarkt gilt generell als starr und unflexibel, zumindest im Vergleich mit dem Wirtschaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt demnach nicht zu viel, sondern zu wenig innereuropäische Arbeitsmobilität. Zu den Faktoren, die dies bewirken, gehören mangelhafte Sprachkenntnisse, kulturelle Unterschiede, fehlende Informationen über Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen, die Schwierigkeit, Sozialleistungen in ein anderes Land mitzunehmen, starke lokale Bindungen etwa durch den Besitz von Wohnraum und die Notwendigkeit von Doppelarbeitsplätzen für Ehepartner.

Zuwanderung ersetzt Mobilität

Aber Europa hat in jüngster Zeit aufgeholt. Erkennbar verantwortlich dafür war einerseits die Osterweiterung der Union. In Mittel- und Osteuropa gibt es eine wanderungsbereite Bevölkerung, Menschen, die auch in die Ursprungsländer zurückgingen, als sich die Wirtschaftslage in den Aufnahmeländern verschlechterte. Andererseits hat auch die Integration der europäischen Wirtschaft selbst die Arbeitsmobilität gestärkt. Die Bedeutung von Migration für die Fähigkeit, sich an Störungen anzupassen, hat in den vergangenen Jahren größeres Gewicht bekommen.

Empirische Untersuchungen belegen dies eindeutig. So nimmt die internationale Arbeitsmobilität zu, wenn ein Land der Europäischen Union beitritt. Arbeitskräfte aus Euro-Ländern sind stärker dazu bereit, wenn die Lage im eigenen Land schlechter wird, in Länder der Union mit besseren Arbeitsmarktchancen zu wandern. Migranten aus Drittstaaten, also solchen von außerhalb der Europäischen Union, stellen allerdings den größeren Teil der Zuwanderung; sie bilden die größere Mobilitätsreserve. Asymmetrische wirtschaftliche Störungen, also solche, die nicht gleichzeitig in allen Mitgliedsländern des Euro auftreten, werden durch Arbeitsmobilität zu 25 Prozent in einem Jahr und zu 50 Prozent im Verlaufe von fünf Jahren abgebaut. Das Ausmaß der Wanderung von Arbeitskräften als Anpassungsreaktion auf asymmetrische Schocks hat sich seit der Einführung des Euro 1999 verdoppelt. Auch die Reallöhne reagieren seither stärker und ermöglichen so raschere wirtschaftliche Anpassungen.

Die Mobilität europäischer Bürger kann allerdings nicht unbegrenzt weiter gesteigert werden, zumal künftig mit einem weiteren wichtigen Hinderungsfaktor zu rechnen ist: Die einheimische Bevölkerung schrumpft und altert, das trifft auf die meisten europäischen Staaten zu, besonders auch auf Deutschland. Mit dem Alter sinkt aber generell die Bereitschaft, in einem anderen Land zu arbeiten. Falls sich dies nicht ändert, muss langfristig mit einem Rückgang der Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt gerechnet werden. Zuwanderung ist auch aus diesen Gründen zumindest eine Lösung für den Übergang. Sie ersetzt fehlende Bevölkerung, im Bestand wie bei der Mobilität. Bereits heute sind Drittstaatler, seien es frische, seien es temporäre Arbeitsmigranten oder auch eingebürgerte Zuwanderer, mobiler als die einheimische Bevölkerung. Drittstaatler könnten also die Flexibilitätsreserve Europas am Arbeitsmarkt werden.

Ausländer kommen und gehen - das ist der Normalfall

Aber auch Zuwanderer altern. Es wird deshalb auf Dauer sinnvoll sein, auf die so genannte zirkuläre Arbeitsmigration von Drittstaatlern zu setzen. Ohnehin ist schon bei einer normalen Wanderungsbewegung immer auch mit einer hohen Zahl von Migranten zu rechnen, die Europa wieder verlassen und in ihre Heimat zurückkehren. Menschen kommen und gehen nach ihren individuellen Wünschen, aber auch in Abhängigkeit von den Chancen und Risiken, die sich ihnen in einzelnen Ländern tatsächlich bieten. Vielleicht kommen sie wieder, dann sprechen wir von zirkulärer Migration. Damit ist insbesondere bei Arbeitsmigration zu rechnen. Bereits heute haben viele Staaten Erfahrungen mit bilateralen Abkommen über zirkuläre Arbeitsmigration. Beispielsweise hatte Spanien in den vergangenen Jahren viele zirkuläre Migranten im Bausektor und in der Landwirtschaft aus Südamerika und Marokko beschäftigt.

Zirkuläre Migration mit temporären Arbeitsverträgen ist ein Konzept, das mehr Erprobung und mehr Vertrauen verdient. Die Europäische Kommission lässt es seit Jahren prüfen. Es nutzt die Bereitschaft vieler Menschen, ihre Vorteile nur für einige Jahre in Europa zu suchen. Der Aufenthalt ist an einen Arbeitsplatz gebunden, bei seinem Verlust oder bei Beendigung bleiben die Menschen in der Regel nicht illegal, weil dies die Chance verstellen würde, später wieder legal zurückzukommen. Zirkuläre Abkommen mit Drittstaaten, zum Beispiel mit den Ländern des Westbalkans oder mit Senegal, wären auch ein effektiver Ansatz, um Wirtschaftsflüchtlinge vom Elend und der Verschwendung von Ressourcen durch den Missbrauch von Asylverfahren abzuhalten. Auf Dauer könnte Europa zirkuläre Migrationsverträge unter anderem mit den Ländern des Mittelmeerraums unterhalten.

Natürlich ist dies nur ein Schritt zu einem globaleren Modell freier Arbeitsmigration. Hinreichend dotierte Arbeitsverträge oder die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, sind dabei Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht. Ein automatischer Anspruch auf soziale Unterstützung im Aufnahmeland besteht nicht; er ist nur denen vorbehalten, die ihn sich durch Einzahlung in soziale Sicherungssysteme oder durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft in der Vergangenheit verdient haben. Dann würden wirtschaftliche Faktoren und individuelle Entscheidungen der Menschen durch die Koordination der Märkte über Löhne und Arbeitsbedingungen das nötige Flexibilisierungspotenzial liefern. Ganz gleich, ob das nun allen passt: Das Modell zirkuläre Migration könnte rascher kommen, als wir uns das noch heute vorstellen können. Die Realität wird sich ändern. Die wirtschaftlichen und demografischen Zwänge machen den Wandel unvermeidbar.

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