Euro-Krise:Reiche Südeuropäer bunkern ihr Geld im Norden

Während Europas Politiker mühevoll an der Rettung der gemeinsamen Währung basteln, bahnt sich ein neues Problem an: Reiche Südeuropäer ziehen seit Monaten ihr Vermögen aus der Heimat ab. Allein aus Spanien verschwanden im ersten Quartal dieses Jahres lautlos 163 Milliarden Euro. Das spüren vor allem die klammen Finanzminister.

Catherine Hoffmann

Im Moment ist Europa vor allem eines: eine Krisengemeinschaft. Trotz aller Schwierigkeiten, der Euro ist bislang weder abgestürzt noch zerbrochen. Kein einziges Euro-Land im Süden ist pleitegegangen oder aus der Währungsunion ausgeschert. Und auch der Norden bekundet, wenn auch zähneknirschend, Solidarität mit der gemeinsamen Sache. Ist also alles gut, so halbwegs zumindest? Mitnichten.

Viele Ökonomen beklagen, dass es so nicht weitergehen kann. Und Anleger werden von der Unsicherheit geplagt, wie die Zukunft der Schicksalsgemeinschaft wohl aussieht. "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem der bisherige Rettungskurs für den Euro an seine Grenzen stößt", sagt Andrew Bosomworth, der Deutschland-Chef bei Pimco ist, dem weltweit größten Investor in Staatsanleihen. "Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können: Der gegenwärtige Zustand ist nicht haltbar."

Die Akteure am Finanzmarkt haben das messerscharf erkannt. Gnadenlos teilen sie den Euro-Raum auf in Nord und Süd. Dazu muss man sich nur die Renditen anschauen, die einzelne Länder für zehnjährige Anleihen bieten müssen. Die Schere der Zinssätze klafft immer weiter auseinander. Gewichtet man die Renditen mit der Wirtschaftskraft ihrer Länder, dann springt ins Auge, wie sie am Rentenmarkt die Zukunft des Euro sehen: Drin im Euro sind Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Belgien und Finnland - die geringen Renditen signalisieren dies.

Draußen sind Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Irland und die Slowakei, die mehr und mehr für Kredite zahlen müssen. Mangels historischer Daten sind einige kleinere Länder nicht enthalten. Nord- und Süd-Euro also, die Vision des früheren BDI-Chefs Hans-Olaf Henkel, gibt es bereits - nicht nur in den Köpfen der Menschen, sie handeln danach.

Ein Viertel der Wirtschaftskraft geht flöten

Reiche Bürger aus Südeuropa ziehen seit Monaten lautlos ihre Ersparnisse vom heimischen Konto ab. Sie deponieren das Vermögen in anderen, sicheren Teilen Europas. Griechen, Spanier und Italiener bringen ihr Geld in die Schweiz - oder zumindest nach Deutschland und in andere Staaten, die als Hort der Stabilität gelten. Sie lagern es dort, wo ein hoffentlich werthaltiger Nord-Euro eingeführt wird, wenn alles schiefgegangen ist und die gemeinsame Währung zerbricht.

Sie zogen nach Angaben der Zentralbank zwischen Januar und Mai dieses Jahres die Rekordsumme von insgesamt 163 Milliarden Euro aus Spanien ab. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum hatte das Land noch einen Kapitalzufluss von 14,6 Milliarden Euro verzeichnet. Analysten der Schweizer Bank Credit Suisse rechnen vor, dass Spanien und Italien beim gegenwärtigen Fluchttempo rund 700 Milliarden Euro im Jahr verlieren, etwa ein Viertel ihrer Wirtschaftskraft. Auch Griechenland, Irland und Portugal verbuchen einen massiven Exodus an Kapital.

Es sind nicht nur die heimischen Anleger, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Es sind auch die Ausländer, die es nicht mehr in den Krisenländer investieren möchten, sondern gleichfalls den Rückzug antreten. Das bekommen vor allem die klammen Finanzminister zu spüren.

Das Phänomen ist nicht neu

Jahrelang konnten Länder wie Spanien, Italien und Griechenland problemlos ihre Schulden finanzieren, und dann sind sie plötzlich in heftige Not an den Bondmärkten geraten. Für Politiker ist das oft schwer zu verstehen. Dabei ist das Phänomen nicht neu: Es gibt unzählige Beispiele von Ländern, die nach Jahren scheinbarer Stabilität mit einer Finanzierungsnot konfrontiert waren.

In der Wissenschaft wird so etwas sudden stop genannt, abrupter Stillstand. Genauer gesagt, handelt es sich um eine dramatische Umkehr der Kapitalströme. Was Auslöser von Emerging-Market-Krisen war - wie in Lateinamerika in den siebziger Jahren und in der Asienkrise Ende der neunziger Jahre -, macht nun den Krisenländern Europas zu schaffen. Mit ihrem Misstrauen gefährden die Kapitalflüchtigen den Zusammenhalt des Kontinents.

"Ich gehe davon aus, dass sich der Kapitalabfluss fortsetzen wird", sagt Bosomworth. Und nun? Der Anlageprofi sieht nur zwei Möglichkeiten: eine Fiskalunion anzustreben, die Transferleistungen von Nord nach Süd gewährleistet; oder eine kleinere, stärkere, homogenere Währungsunion zu schmieden, in der die Fiskalpolitik weiter auf nationaler Ebene bleibt.

Die Politik kämpft für die große Lösung, die Deutschen wünschen sich mehrheitlich eine kleine oder die Rückkehr zur D-Mark, wenn man Umfragen glauben darf. "Ich fürchte, es läuft eher auf eine kleine Währungsunion raus", sagt Bosomworth, eine Art Nord-Euro also. "Wir stellen uns auf ein solches Szenario ein", so der Experte von Pimco, das weltweit 1770 Milliarden Dollar verwaltet. Die Gefahr, dass die Kapitalabflüsse durch Notenbanken und Rettungsschirme nicht bewältigt werden können, sei zu groß.

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