Euro-Krise:Italiens Wirtschaft kämpft ums Überleben

Wirtschaft Italiens in der Krise

Der Abstieg Italiens weckt heute Erinnerungen an die Große Krise von 1929

(Foto: Bloomberg)

Jeden Tag geben 1000 italienische Firmen auf. Drei von fünf Unternehmen müssen einen Kredit aufnehmen, um die Steuern bezahlen zu können, die Bevölkerung dreht jeden Cent dreimal um. Italien erlahmt.

Von Ulrike Sauer, Rom

Italien braucht eine Wiedergeburt. Mit dieser Botschaft war Mario Monti zu seinem letzten Wahlkampfauftritt in die Renaissance-Stadt Florenz gereist. Der scheidende Premier hatte sogar frohe Kunde aus Brüssel dabei. Das EU-Verfahren gegen Italien wegen übermäßigem Defizit stehe vor der Einstellung, kündigte Monti zwei Tage vor der Wahl im Februar an.

Weil das Schuldenland seine Haushaltslücken beseitigt hat, wird es aus der strengen Überwachung entlassen. Der Würgegriff des Sparens lockert sich so wohl demnächst ein wenig, doch die gute Nachricht kommt zu spät. Nicht nur für den Wahlkämpfer, auch für die 364.972 Firmen, die 2012 in Italien dichtmachten.

Depressive Spirale

Die depressive Spirale aus Austerität und Rezession rafft inzwischen selbst die Gesunden dahin. Jeden Tag geben 1000 italienische Firmen auf. Die Insolvenzrate bei Unternehmen mit schlechter Bonitätsnote ist nach Angaben der Ratingagentur Standard & Poor's von 5,7 Prozent auf 9,5 Prozent hochgeschnellt.

Der Abstieg Italiens weckt heute Erinnerungen an die Große Krise von 1929. Die Wirtschaftskraft des Landes ist seit 2007 stärker gesunken als in den Jahren zwischen 1929 und 1934. Für den römischen Ökonomen Gianni Toniolo geht der gegenwärtige Konjunktureinbruch "als schlimmste Krise in die Geschichte ein". Ihr Ende ist nicht in Sicht.

Die 13 Monate der Amtszeit Montis haben Italiens Haushaltslage zwar nachhaltig stabilisiert - der Chirurg trat im Dezember aus dem OP, die Notoperation war gelungen. Doch sein Patient erwacht nicht mehr aus dem Koma. Hinter Italien liegen 15 Jahre Stagnation und fünf Jahre Rezession.

Zweite Rezession in nur vier Jahren

Nicht einmal Japan traf es so schlimm. Den wirtschaftlichen Niedergang aber hat die Professorenregierung nicht gestoppt. Im Gegenteil. Italien fiel in die zweite Rezession in nur vier Jahren. 2012 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 2,4 Prozent.

Damit liegt der Kern der italienischen Misere heute allein in der Wirtschaft und nicht beim Haushaltsdefizit. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone verliert gerade das Rückgrat ihrer Ökonomie - das dichte Gewebe kleiner und mittlerer Betriebe. Die Industrieproduktion ging im vergangenen Jahr um sieben Prozent zurück - seit 2008 ist Italien ein Viertel seiner Produktion weggebrochen. Tag für Tag gehen seither 480 Jobs verloren. In fünf Jahren hat die Krise 818.000 Stellen vernichtet. Mehr als jeder dritte Italiener unter 24 Jahren ist arbeitslos.

Verzweifelte Rufe der Wirtschaft

Verzweifelt ruft die Wirtschaft nach einer sofortigen Schocktherapie, um den Teufelskreis zu unterbrechen. Bevor es zu spät ist. Einem Drittel der Unternehmen mangelt es heute an Liquidität, warnt der Industrieverband Confindustria. Weil es an Geld fehlt, müssen Firmen auch vielversprechende Vorhaben begraben.

Statt eines zaghaften Aufschwungs in der zweiten Jahreshälfte, befürchtet man eine Verschärfung der Rezession. Der Überlebenskampf wird von Monat zu Monat härter. Jede zweite kleine Firma bezahlt ihre Mitarbeiter heute in Raten, meldet das Forschungsinstitut CGIA aus Mestre. Drei von fünf Firmen nehmen heute in Italien einen Kredit auf, um ihre Steuern zu bezahlen, ermittelte der Verband Unimpresa. Die notleidenden Kredite der Unternehmen explodierten 2012 um 165 Prozent auf 95 Milliarden Euro.

Je länger der Abschwung anhält, desto mehr verschlechtert sich die Kreditqualität. Die hohen Zinsen hemmen auch das Wachstum. So zahlen kleine Unternehmer in Italien 14 Milliarden Euro mehr für Bankkredite als ihre deutschen Kollegen, errechnete der Handwerkerverband Confartigianato. "Killer-Spread" nennen italienische Zeitungen den Wettbewerbsnachteil.

Lähmung im Alltag

Im Alltag der Italiener schlägt sich die Lähmung deutlich nieder. Sie geben drei Prozent weniger fürs Essen aus. Besuchen immer häufiger Volksküchen. Kaufen erstmals mehr Fahrräder als Autos. Sie verzichten öfter auf den traditionellen Familienausflug am Wochenende, wie die Mautunternehmen in ihren Geschäftsberichten beklagen.

Auch für den Weg zur Arbeit lassen viele das Auto stehen. Dem Fiskus werden 2013 vermutlich 2,6 Milliarden Euro aus der Spritsteuer fehlen. Einschalt-Rekorde an Sylvester zeigten, dass noch nie so viele Italiener den Jahreswechsel vor der Glotze verbracht haben.

Konsum ist eingebrochen

Der Konsumeinbruch ist die Hauptursache der Misere. "Die Industriekrise ist keineswegs auf den Rückgang der internationalen Nachfrage oder auf den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen, sondern auf den Niedergang des italienischen Konsums", meint der Mailänder Ökonom Marco Fortis. Wie ernst die Lage ist, zeigte jetzt das Eingreifen von Giorgio Napolitano.

Der Staatspräsident empfing am Mittwoch Industriellenchef Giorgio Squinzi zu einem Krisengipfel. Dabei plagt sich Napolitano gerade mit seiner sehr schwer zu erfüllenden Aufgabe ab, einen Weg zur Bildung einer neuen Regierung zu finden. Der Staatschef mahnte eindringlich, die Probleme der Unternehmen in den Mittelpunkt der Institutionen und der Regierung zu stellen.

Vor allem forderte er den Staat auf, den Firmen ausstehende Rechnungen zu begleichen. Insgesamt schuldet die öffentliche Hand den Privatunternehmen mehr als 100 Milliarden Euro. Im Schnitt überweist der Staat den Zulieferern und Auftragsnehmern ihr Geld nach 180 Tagen. Im Gesundheitswesen warten viele Firmen vier oder fünf Jahre auf die Bezahlung von den Regionen. Wenn sie solange überleben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: