Schuldenkrise in Griechenland:EZB gewährt letzte Frist

Schuldenkrise in Griechenland: EZB-Chef Mario Draghi.

EZB-Chef Mario Draghi.

(Foto: AP)
  • Die EZB friert die Notkredite für griechische Banken auf einem Volumen von 89 Milliarden Euro ein.
  • Vor dem Referendum in Griechenland am Sonntag wird es keine Entscheidung mehr über neue Hilfen für das Land geben.
  • Viele Punkte aus dem jüngsten Angebot der Gläubigergruppe akzeptiert Griechenlands Premier Tsipras in einem neuen Brief. Bei Renten und der Mehrwertsteuer möchte er allerdings nachverhandeln.
  • Aus Athen berichtet Christiane Schlötzer, aus Berlin Cerstin Gammelin und aus Brüssel Alexander Mühlauer.

Umstrittene Entscheidung

Die Europäische Zentralbank (EZB) hält den Druck auf Griechenland aufrecht und gewährt Athen kein frisches Geld. Der Rahmen für die Notfallkredite bleibt bei etwa 89 Milliarden Euro eingefroren.

Die Entscheidung war umstritten. Bundesbankchef Jens Weidmann und EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger sollen sich nach SZ-Informationen dafür ausgesprochen haben, die Nothilfen zu beschränken. Die Regeln sehen vor, dass die Notkredite nur an solvente Banken vergeben werden dürfen. An der Solvenz des griechischen Finanzsystems gibt es große Zweifel, weil die Banken viele griechische Staatsanleihen halten. Weil Athen den IWF nicht bezahlt hat und nicht mehr unter dem Hilfsprogramm der EU steht, gilt der Staat praktisch als pleite.

Die griechische Zentralbank hatte eine Erhöhung der ELA-Volumens um mehrere Milliarden Euro beantragt, weil das Geld knapp wird. Die griechischen Sparer dürfen seit Sonntag zwar nur noch 60 Euro am Tag abheben, doch auch diese Beträge trocknen in der Summe die Bargeldvorräte schnell aus. Die EZB-Erlaubnis, das ELA-Limit beizubehalten, gilt bis auf Weiteres, wahrscheinlich auf jeden Fall bis Montag, wenn das Referendum in Griechenland ausgezählt sein sollte.

Keine Entscheidung über weitere Hilfen von Seiten der Geldgeber

Vor dem Tag des Referendums ist keine Entscheidung mehr über weitere Hilfen für Griechenland zu erwarten. Das gab die Euro-Gruppe nach einer Telefonkonferenz bekannt. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte zudem: "Es wird keine Gespräche mehr in den nächsten Tagen geben" - weder auf Ebene der Euro-Gruppe noch zwischen griechischen Regierungsvertretern und den Gläubiger-Institutionen. Grund dafür sei, dass die griechische Regierung dem Volk empfohlen habe, gegen die Reformen zu stimmen. "Ich bin sehr traurig über die Situation angesichts der Entschlossenheit des griechischen Volkes Teil von Europa zu sein und Teil der Euro-Zone zu bleiben, was wir vollkommen unterstützen", sagte Dijsselbloem.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat sich der Financial Times zufolge ebenfalls dafür ausgesprochen, über neue Hilfen für Griechenland nicht mehr vor dem Referendum am Sonntag zu entscheiden. Kanzlerin Merkel äußerte sich im Bundestag ähnlich: "Wir warten jetzt das Referendum ab", sagte sie. Und weiter: "Vor dem Referendum kann über kein neues Hilfsprogramm verhandelt werden."

Fernsehansprache des Regierungschefs

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras gibt sich kämpferisch und hält am Referendum fest. Er ruft weiterhin das Volk dazu auf, am Sonntag gegen das Kreditprogramm der Gläubiger zu stimmen. Von Montag an habe Athen eine bessere Verhandlungsposition. "Der Wille des Volkes ist viel stärker als der Wille einer Regierung", sagte Tsipras. Nachdem er das Referendum ausgerufen habe, seien ihm die Gläubiger entgegengekommen.

Tsipras wirbt weiterhin deutlich für ein Nein. Das hatte die Gläubiger verärgert. Ein Nein bedeute keinen Bruch mit Europa, so der Premier. Er wolle Griechenland nicht aus der EU führen.

Die Kapitalverkehrskontrollen kritisierte der Premier scharf. "Es ist nicht akzeptierbar, dass in einem Europa der Solidarität Bankenschließungen erzwungen werden, als Antwort darauf, dass die Regierung das Volk entscheiden lässt", sagt Tsipras. Die Kapitalkontrollen führten zu "finanzieller Atemlähmung", unter der Tausende Senioren leiden würden.

Athen kommt Gläubigern entgegen

Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat offiziell ein neues Kreditprogramm beantragt. Der entsprechende Brief wurde in Brüssel und Berlin bekannt (hier eine Kopie als PDF). In dem Brief - datiert auf den 30. Juni - akzeptiert Tsipras viele Punkte aus dem jüngsten Angebot der Gläubigergruppe. Einige Änderungen möchte Tsipras allerdings durchsetzen.

  • Die Gläubiger halten das Rentensystem in Griechenland für zu teuer. Deswegen soll ein gewisser Zuschlag von 2019 an entfallen, in Griechenland bekannt als EKAS. Tsipras akzeptiert das. Die Gläubiger wollen, dass Griechenland sofort bei den Rentnern kürzt, die den höchsten Zuschlag bekommen. Das lehnt Tsipras ab. Er fordert, dass die Zahlung nach und nach ausläuft.
  • Die Gläubiger wollen durchsetzen, dass das griechische Mehrwertsteuersystem vereinheitlicht wird. Auf Inseln soll die Mehrwertsteuer Tsipras zufolge aber um 30 Prozent niedriger sein als auf dem Festland.
  • Tsipras will weniger beim Militär sparen als die Gegenseite. Die Ausgaben sollen um 400 Millionen Euro sinken, fordern die Gläubiger. Griechenlands Premier will 2016 zunächst nur 200 Millionen Euro kürzen, von 2017 an um 400 Million Euro.

Brüssel und Berlin bleiben skeptisch

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble äußerte sich in einer Pressekonferenz zurückhaltend. Der Brief habe nicht für "Klarheit" gesorgt. Aus EU-Kreisen heißt es, unter dem Strich müsse die Einsparsumme stimmen. Man sei immer offen für Vorschläge aus Griechenland gewesen.

Was die aktuellen Vorschläge Tsipras' angeht, so herrscht noch Skepsis in Brüssel. Die Geldgeber fordern wohl weiterhin, dass die Rentenreform umgehend in Kraft tritt. Brüssel prüft Tsipras' Brief. "Die Europäische Kommission nimmt eine vorläufige Bewertung vor", sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis.

Dissens in der Athener Regierung

Vize-Regierungschef Giannis Dragasakis ging am Dienstagabend öffentlich auf Konfrontationskurs zu Premier Tsipras. Im staatlichen Fernsehsender ERT sagte Dragasakis als erstes Regierungsmitglied, das Referendum müsse keineswegs abgehalten werden.

IWF bestätigt Zahlungrückstand

Griechenland hat seine fällige Kreditrate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro nicht fristgerecht an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückgezahlt. Das Geld sei am Dienstag nicht eingegangen, wie der IWF in Washington mitteilt. Damit ist Athen nicht pleite, sondern wie derzeit Sudan, Somalia oder Simbabwe beim IWF im Zahlungsrückstand. Was genau das bedeutet, steht in diesem Artikel.

SZ Espresso Newsletter

Auch per Mail bestens informiert: Diese und weitere relevante Nachrichten finden Sie - von SZ-Autoren kompakt zusammengefasst - morgens und abends im SZ Espresso-Newsletter. Hier bestellen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: