Euro-Debatte:Krise? Erst mal investieren!

New Government Attempt To Lift Italy Out Of Economic Crisis

Euro-Krise: Szene aus Neapel, Italien, aus dem Jahr 2011

(Foto: Getty Images)

In Europa kann es erst wieder Aufschwung geben, wenn die europäischen Peripherieländer Hilfe bekommen, um ihre Wirtschaft anzukurbeln.

Gastbeitrag von Marcello Messori

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Sechs Jahre schon schwelt die Krise in Griechenland - ein Extremfall, der die Unzulänglichkeiten der Euro-Zone offenbart: Die Mitgliedsländer der Währungsunion zögerten viele wichtige Entscheidungen zu lange hinaus; europäische Institutionen forderten Reformen, die nicht zu realisieren waren; und die griechischen Politiker stimmten diesen Forderungen allzu leichtfertig zu. All dies hat die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Krise für Griechenland stark ansteigen lassen, zumal das Land viele strukturelle Schwächen aufweist. Die Unzulänglichkeiten der Währungsunion haben die griechische Wirtschaft in die Depression getrieben und die griechische Gesellschaft in eine Notlage gebracht. Schließlich blähten sich auch die finanziellen Lasten auf, die von den anderen Euro-Ländern und den internationalen Institutionen geschultert werden müssen.

Der Autor

Marcello Messori, 65, lehrt Ökonomie an der römischen Privathochschule Luiss und ist Direktor der Luiss School of European Political Economy. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentrierte sich im vergangenen Jahrzehnt auf das italienische Bankensystem, die neuen Modelle keynesianischer Wirtschaft und auf die wirtschaftliche Governance der EU. Seit 2014 ist Messori Präsident des italienischen Bahnkonzerns Ferrovie dello Stato, der vor der Privatisierung steht.

Diese Krisenmerkmale erklären den dramatischen Verlauf der Verhandlungen zwischen den europäischen Institutionen und der griechischen Regierung unter der Führung von Alexis Tsipras. Sie begannen Anfang 2015 und endeten Mitte August. Ihr Ergebnis stellt nicht nur eine provisorische "Lösung" der griechischen Krise dar, sondern ist auch eine negative Hinterlassenschaft für die Zukunft der Währungsunion. Dieses Vermächtnis fußt auf vier zentralen Punkten.

Ein Ende des Euro würde die Uhren um ein halbes Jahrhundert zurückdrehen

Zum ersten Mal seit Bestehen des Euro droht die Mesalliance zwischen einer Gruppe von "Kernländern" und den Vertretern Griechenlands zu zerbrechen, ein Grexit wäre die Folge. Ein solcher Schritt hätte die Währungsunion in ein System fester Wechselkurse verwandelt, das der Finanzspekulation ausgesetzt wäre. Ein eventuelles Ende des Euro hätte die Europäische Union auf einen gemeinsamen Markt zurechtgestutzt und die Uhren um ein halbes Jahrhundert zurückgedreht.

Die Euro-Debatte

Sparen oder nicht? Schuldenschnitt - ja oder nein? Prominente Ökonomen diskutieren in der SZ über die Krise in Griechenland und was daraus für Europas Zukunft folgt. Alle bisherigen Beiträge - von Marcel Fratzscher über Ludger Schuknecht bis hin zu Jeffrey Sachs - finden Sie unter: www.sz.de/szdebatte-griechenland

Zweitens war Tsipras Entscheidung, eine Volksabstimmung über eine bereits überholte Einigung abzuhalten, eine Verzweiflungstat, um sich aus dem Zangengriff des radikalen Syriza-Flügels zu befreien. In dieser Situation gab es keine "technischen Lösungen" mehr. Die Suche nach einem Ausweg wurde nun ausschließlich zu einer Sache der Politik. Denn die Einberufung des Referendums zwang Griechenland, aus dem alten europäischen Hilfsprogramm auszusteigen und seine Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erklären. Das hinderte die Europäische Zentralbank (EZB) daran, das griechische Bankensystem weiter mit Notfallkrediten am Leben zu halten. Der Kollaps der Zahlungssysteme und damit der gesamten Wirtschaft war die Folge.

Drittens kam die rein politische Einigung über ein 86 Milliarden Euro schweres Hilfsprogramm für Griechenland, die in letzter Minute erzielt wurde, in einem dermaßen verdorbenen Klima zustande, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Mitgliedsländern und deren Bürgern auf der einen und den europäischen Institutionen auf der anderen Seite zerstört wurde.

Der vierte Punkt führt auf das Feld der Wirtschaft zurück. Das von der Eurogruppe Mitte August verabschiedete Hilfsprogramm erneuert die alten unrealistischen Forderungen an die griechische Regierung nach Einsparungen und Reformen. Zudem ist ein Großteil der 86 Milliarden Euro der Begleichung alter Schulden und der Rettung der griechischen Finanzbranche gewidmet. Folglich wird die Umsetzung des Plans nicht ausreichen, um das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln und die griechische Krise zu überwinden. Auch die politische Instabilität in Athen - abzulesen an den Neuwahlen im September - legt nahe, dass Griechenland und die Frage nach einer nötigen Restrukturierung der griechischen Staatsschulden schon bald auf die Tagesordnung zurückkehren werden.

Ein Euro-Exit ist erstmals realistisch geworden

Es wäre ein Fehler, die vier erwähnten Punkte als Etappen einer kontinuierlichen Fortsetzung der griechischen Krise zwischen 2010 und 2012 zu betrachten. Wir haben es mit mindestens drei neuen Elementen zu tun: Die lange Rezession in der Euro-Zone (von 2011 bis 2013) hat kurzfristig zwar die makroökonomischen Ungleichgewichte reduziert, aber die strukturellen Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen zentralen und peripheren Ländern verstärkt. Das Ausscheiden eines Mitglieds aus dem Euro ist erstmals zu einem realistischen Szenario geworden, so dass die Währungsunion nun als auflösbar wahrgenommen wird. Der Handlungsspielraum der europäischen Institutionen wird durch den Verlust des Vertrauens zwischen den Mitgliedsländern und durch ihre geringe Repräsentativität gegenüber den Wählern in den einzelnen Ländern eingeschränkt. Die Wechselwirkung dieser negativen Entwicklungen schuf eine explosive Mischung.

Zahlreiche Akteure der europäischen Politik haben begriffen, was auf dem Spiel steht. Ihre Vorschläge streben jedoch in zwei unterschiedliche Richtungen. Einige Europabefürworter aus den zentralen Ländern - allen voran der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble - glauben, dass die aktuellen Schwierigkeiten des Euro nur überwunden werden können, wenn einige Länder ihre öffentlichen Haushaltsdefizite drastisch reduzieren. Sie fordern daher, in der Euro-Zone eine mächtige Finanzbehörde zu schaffen, die dafür sorgt, dass sich die Mitgliedsstaaten an die Regeln halten. Nur so sei es möglich, das Gefälle in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen, das Vertrauensvakuum zu füllen und die Zukunftsperspektive einer Fiskalunion und eines politischen Föderalismus zu eröffnen.

Im Gegensatz dazu meinen viele Europäer in den peripheren Ländern, dass die politischen Institutionen der Euro-Zone weiterentwickelt werden müssen, will man aus der gegenwärtigen Sackgasse herauskommen. Dazu müssten das gemeinschaftliche Vorgehen und die Rolle des EU-Parlaments gegenüber der Bürokratie gestärkt werden. Nach dem Vorbild der USA müsse der Weg zu einer politischen Vereinigung föderalen Typs freigemacht werden. In diesem Vereinten Europa wären die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit und in der Finanzpolitik kein unbeherrschbarer Faktor mehr, der zu Instabilität führt.

Keiner der beiden Vorschläge scheint aber in der Lage zu sein, die tatsächlichen Probleme der Währungsunion zu lösen. Der erste Vorschlag geht davon aus, dass sich der Mangel an Vertrauen durch strenge Kontrollen beheben ließe. Ob die von den zentralen Ländern getroffenen Entscheidungen auch geteilt werden, wird nicht gefragt. Außerdem stellt der Vorschlag jene Kausalverbindung zwischen Sparpolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum wieder her, deren Richtigkeit durch die tiefe Rezession in Frage gestellt wurde. Der zweite Vorschlag geht hingegen davon aus, dass die Übertragung nationaler Souveränität sowie die institutionelle Gemeinschaftlichkeit auf gegenseitiges Vertrauen der betroffenen Länder verzichten können. Man vergisst dabei, dass die historisch-institutionellen Besonderheiten jedes Euro-Mitglieds eine Aufhebung der Wettbewerbs- und Fiskalunterschiede nach US-amerikanischem Vorbild unmöglich machen.

Reformen lassen sich leichter in einer Wachstumsphase umsetzen

Der Wandel der wirtschaftlichen und institutionellen Ordnung der Währungsunion muss so tief greifen, wie es die beiden Vorschläge anregen. Doch muss er zwangsläufig graduell erfolgen. Es geht vor allem darum, die kurz- und mittelfristigen Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung Europas zu schaffen. Die Hauptrolle muss einem europäischen Investitionsprogramm zukommen, das den Juncker-Plan aufgreift, aber finanziell robuster ist und die peripheren Länder privilegiert.

Der neue Plan würde eine ideale Brücke bilden zwischen einer kurzfristigen Ankurbelung der Nachfrage in der Eurozone und einem mittelfristigen, zumindest partiellen Aufschließen der peripheren Länder bei der Wettbewerbsfähigkeit. Eine Rückkehr der Investitionsquote auf das Vor-Krisen-Niveau und ein zurückgewonnenes stabiles Wachstum sind notwendige, wenn auch nicht ausreichende Voraussetzungen, um den einzelnen Mitgliedsländern den Spielraum zu geben, ihre finanziellen Korrekturen und Reformen umzusetzen. So ließen sich die makroökonomischen Ungleichgewichte auf ein Maß reduzieren, das mit der Stabilität der Eurozone kompatibel ist. Denn es ist leichter, die oft mit sozialen Belastungen verbundenen Reformen in Zeiten von Beschäftigungs- und Einkommenswachstum umzusetzen als während einer Rezession.

Damit die nationalen Reformen und die europäischen Reformen zur Stärkung der Währungsunion zusammenwirken, müsste jedes Mitgliedsland sein Programm mit den europäischen Institutionen im Rahmen von Vertragsvereinbarungen abstimmen. Dieser Einklang würde die Realisierbarkeit der Reformen und ihre Kompatibilität mit dem Gleichgewicht der Staatshaushalte erleichtern. Zugleich entstünde eine wirkungsvolle Koordinierung der Finanzpolitik innerhalb der Währungsunion. Sie könnte auf einem Modell einer europäischen Versicherung fußen, die das gegenseitige Vertrauen unter den Euroländern wieder aufbauen würde und als Brücke zu einer Teilung der Risiken führen könnte (zum Beispiel über den Rettungsmechanismus ESM). Das Zusammenspiel aus nationalen Reformen und europäischen Versicherungsverträgen würde so auf nahezu natürliche Weise in einem Teilen der Risiken münden. Es würde so eine solide Grundlage für den Aufbau eines europäischen Finanzministeriums geschaffen sowie für die Verschiebung finanzieller Ressourcen aus den nationalen Haushalten in einen Etat der Eurozone.

Ein gemeinsamer Haushalt macht auch die Erhebung einer europäischen Steuer nötig. So würde sich das unverzichtbare Prinzip "no taxation without representation" in den wirtschaftlichen Hebel verwandeln, Europas Institutionen Repräsentativität zu verleihen und Vertrauen zwischen den Institutionen sowie den Bürgern der Euroländer wiederherzustellen. Die Vereinigung von Haushaltspolitik und der föderalen politischen Integration würden zu zwei Teilen eines einzigen Prozesses.

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