EU-Richtlinie:Handelsstopp

Privatinvestoren sind sauer, weil sie Tausende Wertpapiere derzeit nicht kaufen können. Die Banken bieten diese nicht an, weil Informationen fehlen.

Von Nils Wischmeyer

Ambros Hauser wollte nur ein Wertpapier kaufen. Also loggte sich der Bayer in das Online-Depot seiner Bank ein, wählte das Produkt und klickte auf Kaufen. Statt eines neuen Zertifikats im Portfolio bekam er eine Meldung: "Bitte wenden Sie sich an Ihren Bankberater." Etwas irritiert probierte er es bei einem anderen Geldhaus, doch auch da poppte nur eine Meldung auf. Diesmal mit der Erklärung: Das Papier kann nicht gehandelt wird, weil Informationen fehlen.

Für Hauser ein Ärgernis, das er mit vielen privaten Investoren teilt. Sie alle leiden unter den Startschwierigkeiten von gleich zwei EU-Regularien. Seit Anfang Januar gelten die Finanzmarktrichtlinie Mifid 2 und die PRIIPs-Verordnung. Beide EU-Projekte haben ein Ziel: Sie sollen Verbraucher besser schützen. Bisher läuft das alles andere als reibungslos. Zwar ist das befürchtete Chaos an den Finanzmärkten ausgeblieben. Doch Hersteller und Banken kämpfen täglich mit dem größten Regulierungsprojekt der vergangenen zehn Jahre.

Einer der größten Knackpunkte: Es fehlen Daten. Mit dem Start der neuen Regeln müssen Anbieter von Anlageprodukten deutlich mehr Informationen an die Bankberater weitergeben. Die Hersteller sind gezwungen, die Kosten für ihr Produkt detailliiert aufzuschlüsseln und einen Zielmarkt zu definieren. Das bedeutet, sie müssen sagen, für welche Anlegergruppe ein Produkt geeignet ist - und für welche nicht. Liefern die Hersteller nicht, fliegen sie aus dem Vertrieb der Banken.

Trotz der harten Konsequenzen fehlen zwei Wochen nach Start noch immer Tausende Datensätze für Fonds und Derivate, berichten Bankberater. Einige sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem "holprigen Start", andere direkt von "mittelgroßem Chaos". Dabei hätte es schlimmer kommen können, wie Torsten Ulrich von der WM Datenservice berichtet. Das Unternehmen gehört zu den führenden, wenn es um Aufbereiten der Daten geht. Die meisten Banken beziehen ihre Informationen aus dem Pool der Firma. Tatsächlich haben fast alle Fonds die nötigen Informationen geliefert, sagt Ulrich. Nur 4000 der von ihm geschätzten 50 000 Fonds würden fehlen. "Wir sind auf einem guten Weg und nähern uns dem Ziel", sagt Ulrich. Jeden Tag kommen neue Datensätze dazu.

Er erwartet, dass die Fondsinformationen für die Mifid 2 in den kommenden Tagen eintrudeln. Die fehlenden Daten stammen vor allem von kleineren Fondsgesellschaften, die ihren Fokus nicht auf Deutschland legen. Große Gesellschaften wie die Deka von der Sparkasse oder die Union Investment der Volksbanken- und Raiffeisenbanken haben keine Probleme.

Hintergrund der Verwirrung sind zwei neue EU-Richtlinien, es fehlen wichtige Daten

Im nächsten Schritt prüfe man die Qualität der Daten. "Bei 20 000 Seiten Richtlinie ist viel Verwirrung programmiert", sagt Ulrich. Unter den Herstellern der Finanzprodukte ist man sich uneinig, welche Information in welchem Format in welches Feld gehört. Das kann verheerende Folgen haben. Wenn der Wert 2 Prozent nicht als "2" sondern als "0,02" übermittelt wird, haben wir einen um Faktor 100 falschen Wert in der Datenbank, sagt Ulrich.

Komplizierter ist es nur bei Wertpapieren, wie Hauser sie in seinem Online-Depot handeln wollte. Deren Herausgeber sind ab sofort auch der PRIIPs-Verordnung unterworfen und müssen den Banken ein Blatt mit Basisinformationen für ihre Wertpapiere bereitstellen. Nur wenn das vorliegt, dürfen Kunden diese bei der Bank oder selbständig kaufen. Fehlen die Informationen, müssen die Banken sie aus dem Vertrieb nehmen.

Auch in diesem Bereich sei bereits ein großer Teil der schätzungsweise 1,8 Millionen Datensätze eingetroffen, sagt Ulrich. Doch es gibt einen Unterschied: Die Informationen werden nicht von der WM Datenservice kontrolliert. Sie stellt nur den Link zum Papier bereit. Im Extremfall kann es sein, dass Hersteller ein fehlerhaftes oder leeres Blatt hinterlegen. Da nicht geprüft wird, welche Daten vollständig sind, weiß niemand so recht, wie viele Wertpapiere gerade handelbar sind. Banken haben die entsprechenden Derivate aus ihrem Vertrieb genommen. Kunden wie Hauser müssen sich eine Alternative suchen - zumindest temporär.

Langfristig birgt die EU-Regulierung ein anderes Problem. Einige Banken beobachten, dass die Hersteller der Finanzprodukte die Hürden für private Investoren höher legen als bisher. Waren bestimmte Fonds oder Wertpapiere bisher für risikoscheue Anleger ausgelegt, könnten dieselben Produkte nun ausschließlich für risikoaffinere Investoren empfohlen werden. Wer sich in einer Bank beraten lässt, bekommt möglicherweise weniger Angebote vorgelegt. Damit wollen die Hersteller und Banken sich vor möglichen Klagen schützen, sollte die Anlage ausfallen. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken bestätigt die Befürchtung: "Der Umfang der an Privatkunden vertriebenen Wertpapiere ist aufgrund der Mifid-Bestimmungen geringer geworden." Wer hingegen selbständig mit den Derivaten handelt, darf kaufen und handeln, was er möchte. Das geht allerdings immer auf eigenes Risiko.

Wird der Kunde so zum Anleger zweiter Klasse? Einige Experten argumentieren, dass die geringere Zahl an Anlageoptionen ein Schutz für die Anleger sei. Banken und auch freie Vertriebe würden künftig weniger oft risikoreiche Produkte verkaufen. Die Gegenseite führt an, dass das Gegenteil von gut oft gut gemeint sei. Gerade in Zeiten der Niedrigzinsphase würde die neue Regulierung es Anlegern schwer machen, eine vernünftige Rendite zu erwirtschaften.

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