EU:Junckers Verdikt

Der Kommissionspräsident will den Freihandelsvertrag Ceta ohne Zustimmung nationaler Parlamente verabschieden lassen. Viele sind dagegen- es ist ein erbitterter Kampf.

Von M. Bauchmüller und A. Mühlauer, Berlin/Brüssel

Jean-Claude Juncker redete nicht lange um den heißen Brei herum, er stellte die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel vor die Wahl: "Wollen wir TTIP überhaupt noch?", fragte der Kommissionspräsident. "Wenn wir aufhören sollen zu verhandeln, kann die Kommission die Verhandlungen gerne stoppen." Juncker war es leid, ständig Kritik aus den Mitgliedstaaten zu hören; dabei waren sie es doch, die der Brüsseler Behörde das Verhandlungsmandat für das Freihandelsabkommen gegeben hatten. Das Bekenntnis der 28 EU-Staaten war dann beim Gipfeltreffen auch eindeutig: Trotz des Brexit-Referendums sollen die Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) zum Abschluss gebracht werden.

Nur: Was passiert danach? Normalerweise werden Handelsabkommen anschließend vom Europäischen Parlament ratifiziert und von den Mitgliedstaaten abgesegnet. Voraussetzung dafür ist, dass das Abkommen nicht nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten tangiert. In so einem Fall spricht man von einem "gemischten Abkommen". Ist ein Abkommen aber nicht gemischt, dann reicht das übliche Prozedere - so wollen es auch die Vorgaben des Lissabonner Vertrags. Und so will es auch Juncker. In der Sitzung der Regierungschefs hatte er angekündigt, er werde nächste Woche vorschlagen, Ceta als reines EU-Abkommen ratifizieren zu lassen. "Wenn wir EU-Abkommen aus politischen Gründen zur gemischten Zuständigkeit erklären, ist das ein Rezept zur Lähmung der EU", warnte er. "Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, überhaupt noch Handelsabkommen verhandeln zu können."

Möglicherweise entsteht eine Pattsituation: Dann geht nichts mehr

So entspinnt sich eine Machtfrage um die Kompetenzen in der Handelspolitik, denn mehrere Mitgliedstaaten wollen Junckers Verdikt so nicht hinnehmen. "Handelspolitik braucht Akzeptanz", sagt Matthias Machnig, für Handelsfragen zuständiger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. "Diese Akzeptanz muss man erst herstellen, und das verlangt die Beteiligung nationaler Parlamente."

Schon am Dienstagabend machten Deutschland und Österreich ihrem Unmut Luft. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern warf der Kommission vor, mit einem Hauruckverfahren die Glaubwürdigkeit der EU zu unterminieren. "Im Interesse der EU darf man so was nicht tun", sagte er. Kern räumte aber ein, dass es rechtlich schwierig werden könnte, dies noch zu ändern. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, man müsse zur Kenntnis nehmen, dass die EU-Kommission eine andere Rechtsauffassung habe. Immerhin sei auch bei früheren EU-Handelsabkommen mit Drittstaaten nie auf eine Zustimmung auch der nationalen Parlamente gepocht worden. Dennoch kritisierte auch sie den Weg der Brüsseler Behörde. Der Bundestag werde auf jeden Fall über Ceta abstimmen, kündigte die Kanzlerin an. Dies sei wichtig, weil es eine breite öffentliche Debatte über das Handelsabkommen gebe.

File photo of container terminal 'Burchardkai' of the Hamburger Hafen und Logistik AG in the harbour of Hamburg

Probleme? Keine! Der Hamburger Hafen hat lediglich damit zu kämpfen, dass die Elbe vorläufig für einige Dickschiffe zu flach bleibt.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

So entsteht eine riskante Pattsituation. Um sich gegen die Haltung der Kommission durchzusetzen, bedarf es der Einstimmigkeit: Alle EU-Staaten müssten sich dafür aussprechen, Ceta als sogenanntes gemischtes Abkommen einzustufen, also einen Vertrag, der nationale Kompetenzen berührt. Doch in dieser Frage gibt es unterschiedliche Auffassungen. So hat der italienische Wirtschaftsminister bereits in einem Brief an EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zugesagt, die Kommissionslinie zu unterstützen. Andererseits müssen am Ende die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit ein Abkommen beschließen. Ob diese Mehrheit allerdings zustande kommt, sei allerdings fraglich, heißt es in deutschen Verhandlungskreisen. Jedenfalls dann, wenn die nationalen Parlamente umgangen werden. Bliebe nur noch die Möglichkeit, dass der Bundestag eine Entschließung abgibt, ehe die Regierung in Brüssel offiziell zustimmt. So wäre das Parlament zumindest eingebunden.

Vor allem für Sigmar Gabriel, den deutschen Wirtschaftsminister wird die Lage damit zunehmend brenzlig. Einerseits kämpft er seit Langem für Ceta und TTIP, schon der Chancen für die deutsche Industrie wegen. Andererseits haben die Ängste längst das Gewerkschaftslager erfasst und mithin die Sozialdemokraten, deren Chef Gabriel ist. "Für uns ist klar: Es gibt keinen Automatismus", heißt es im jüngsten SPD-Parteitagsbeschluss zu Ceta und TTIP. Ob die SPD den Handelsverträgen zustimmen könne, müsse ein Parteitag oder ein Konvent entscheiden.

In Belgien zum Beispiel müssen vier Regionalparlamente zustimmen - eines ist dagegen

Entsprechend klar stellt sich auch Gabriel gegen die Ansage aus Brüssel. "Ich bin nun wirklich ein Befürworter guter Handelsabkommen", sagt er. Allerdings falle die Kommission "allen Gutwilligen in den Rücken". Letztlich lasse Brüssel Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen "explodieren", würden sie einfach so durchgedrückt.

Ganz so einfach freilich ist das auch nicht, denn ob die Handelsabkommen die nationalen Parlamente überleben werden, ist alles andere als klar. In Belgien etwa müssen sie nicht nur durch ein Parlament - eines der vier Regionalparlamente hat sich bereits auf ein Nein festgelegt. Bulgarien und Rumänien wiederum wollen eine Zustimmung mit Visa-Erleichterungen durch Kanada für ihre Bürger verbinden. Zuletzt forderte das luxemburgische Parlament die Regierung auf, Ceta erst mal nicht zuzustimmen. Das Votum ist zwar rechtlich nicht bindend. Aber politisch könnte es sich die Regierung in Junckers Heimat Luxemburg kaum erlauben, es zu ignorieren.

Macht dieses Beispiel Schule, dann könnten nationale Parlamente mit ihrem Veto künftig die europäische Handelspolitik lahmlegen. "Wenn die Europäische Union glaubwürdig bleiben will, dann muss sie sich in dieser Frage an der Rechtslage orientieren", sagte Malmström kürzlich in Brüssel. Das Ganze sei eine rechtliche, keine politische Frage. Nächsten Dienstag will sie darlegen, wie die rechtliche Prüfung ausgegangen ist.

Mitglieder des Europäischen Parlaments gehen noch weiter. "Ich bin mehr und mehr genervt von meinen Kollegen in den Parlamenten daheim", sagt Daniel Caspary, der für die CDU im Europaparlament sitzt. "Die meinen, eine Entscheidung ist weniger demokratisch, wenn das Europaparlament ihr zugestimmt hat." Die Konsequenz sei, dass die demokratischen Strukturen in Europa untergraben würden, mit katastrophalen Folgen. "Dann", so Caspary, "brauchen wir kein europäisches Parlament mehr."

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