EU in der Krise:Deutschland ist der Sparmeister Europas? Von wegen!

Eurogroup Finance ministers meeting

Deutschland gibt heute so viel Geld aus wie kein anderes EU-Land. Trotzdem muss Finanzminister Wolfgang Schäuble sich als Sparmeister rechtfertigen.

(Foto: dpa)

Der Vorwurf, Deutschland beharre auf seinem Spardiktat, ist dreist. Die Bundesrepublik gibt heute so viel Geld aus wie kein anderes EU-Land.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Verpasste Chance: Obwohl er es besser wissen muss, hat Italiens Regierungschef Matteo Renzi den EU-Gipfel von Bratislava demonstrativ genutzt, um das verhasste Bild vom deutschen Sparmeister in Europa aufzuwärmen. Dem gemeinsamen Auftritt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verweigerte er sich, weil Deutschland nicht bereit sei, das Spardiktat zu widerrufen, und damit Europa in die Armut stürze. Einen Neuanfang für Europa, wie er jetzt überall gefordert wird, könne es so nicht geben, meinte Renzi - eine dreiste Behauptung.

Zwar entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Italiener in seiner Logik durchaus recht hat. Wer alte Reflexe nicht abstellen kann, bringt auch keinen Neuanfang zustande. Aber Renzis Vorwürfe sind von der Realität überholt. Von Sparpolitik kann in Europa längst keine Rede mehr sein, und auch nicht in Deutschland. Im Gegenteil gibt die Bundesrepublik heute so viel Geld aus wie kein anderes EU-Land.

Kanzlerin Merkel zu düpieren, wird den Italienern nicht helfen

Der im Süden Europas so unbeliebte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble macht vieles, aber eines jedenfalls nicht: sparen. Auch Bundesländer und Gemeinden knapsen nicht. Investitionsfonds müssen verlängert werden, weil die Kommunen nicht hinterherkommen, das Geld zu verbauen. Auch die Verbraucher konsumieren wie lange nicht mehr. Ob die Deutschen das aus Lust tun, weil sie mehr Lohn in der Tasche haben, oder aus Frust, weil Sparen keine Zinsen mehr bringt: Das Geld fließt.

Man mag einwenden, dass die Bundesrepublik eine Ausnahme ist. Ihre gute Wirtschaftslage und ihr hohes Ansehen an den Finanzmärkten beschert ihr Haushaltsüberschüsse, die andere Staaten nicht vorweisen können. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Zur Wahrheit gehört, dass überall in Europa die Milliarden regelrecht auf der Straße liegen. Die Europäische Zentralbank kauft Anleihen von Staaten und Unternehmen, sie hat Geld so billig gemacht wie lange nicht. Kommission und Europäische Investitionsbank stellen über den sogenannten Juncker-Fonds Hunderte Milliarden Euro für Investoren bereit. Die Bundesregierung unterstützt alle diese Programme, schon das widerlegt den Vorwurf des Spardiktats.

Obwohl viele Deutsche angesichts niedriger Sparzinsen alarmiert sind, hält die Bundesregierung auf europäischer Ebene still. Sie weiß, dass die Regierungen ihre Staatsverschuldung bei niedrigen Zinsen so finanzieren können, dass sie im besten Falle Geld übrig haben für Reformen, die sie durchziehen müssen, um sich fit zu machen für kommende Hochzins-Zeiten.

Eines wird die Regierung nie tun: öffentlich den Stabilitätsregeln abschwören

Hier schließt sich der Kreis zwischen Deutschland und Italien. Obwohl beide Volkswirtschaften in der Euro-Zone liegen, ist ihre Lage höchst unterschiedlich. Deutschland versetzt die Geldpolitik in die Lage, den Bürgern ein Steuergeschenk ankündigen zu können, das sich aus dem Haushaltsüberschuss finanziert. Auch Italien will Einkommensteuer und Sozialabgaben senken, allerdings vor allem, um wettbewerbsfähiger zu werden. Das Problem ist nur: Renzi reicht dazu der Spielraum im Haushalt nicht aus. Deshalb fordert er, die Verschuldungsregeln flexibler auslegen zu dürfen - und legt sich fürs heimische Publikum mit dem vermeintlichen Sparmeister Deutschland an. In der Sache führt das zu nichts.

Die Bundesregierung weiß, was sie an Renzi hat, er wird geschätzt wie keiner seiner Vorgänger. Sie weiß, dass die Euro-Zone an einem stabilen Italien hängt - und sie ist längst dazu übergegangen, Rom stillschweigend, soweit es irgendwie geht, entgegenzukommen. Aber eines wird diese Bundesregierung niemals tun: öffentlich den Stabilitätsregeln abschwören. Wenn Renzi also weiter gegen Berlin polemisiert, gefährdet er sein eigenes Überleben.

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